Kapitel 39

198 6 0
                                    

Jason

Mit einem Lächeln, das ich partout nicht unterdrücken kann, nehme ich den Hörer und lasse Sura nicht aus dem Blick. »Hey«, sage ich und sie erwidert mein Grinsen.

»Hey, Jason. Wie geht es dir?«

»Bestens und dir? Du siehst heute so zufrieden aus. Habe ich etwas verpasst?«, frage ich sie direkt und ihr Lächeln wird eine Spur breiter.

»Es klappt«, sagt sie geheimnisvoll und mein Herz setzt doch tatsächlich einen Schlag aus. Das ist mir, glaube ich, noch nie passiert. Sofort frage ich, wie unser nächstes Treffen ablaufen wird. Kommen wir uns womöglich wieder so nahe?

»Im Ernst?«, murmle ich und halte gespannt den Atem an, als sie nickt.

»Meine Chefin hat zugesagt, dass ich mit Phil Rodri ein Interview führen darf. Wenn alles gut läuft, wird der Artikel sogar Freitag bereits veröffentlicht.«

Mein Lächeln fällt bei ihren Worten ein wenig in sich zusammen und ich könnte mir selbst eine dafür reinhauen, dass ich angenommen hatte, es ginge um ein weiteres Treffen.

»Das ist ... gut«, antworte ich zähneknirschend und sie sieht mich prompt misstrauisch an.

»Freust du dich etwa nicht, Jason? Es war doch deine eigene Idee. Aber wenn du es dir anders überlegt haben solltest, dann sage ich es ab.«

Ich schüttle mit dem Kopf. Warum kann ich nicht einmal meine Emotionen unter Kontrolle haben? »Das ist es nicht. Ich hatte nur gedacht, dass du von etwas anderem sprichst«, gestehe ich ihr.

»Du meinst ...?«

»Ja«, unterbreche ich sie kurzerhand, da es besser ist, wenn sie es nicht laut ausspricht. Immerhin haben mich heute erneut diese beiden grimmigen Wärter hierher gebracht und ich glaube kaum, dass sie sich wie die anderen einfach bestechen lassen.

Ich verdränge den Gedanken daran und konzentriere mich auf Sura, die ihren Mund öffnet um etwas zu sagen, ihn anschließend jedoch wieder schließt.

»Habe ich dich jetzt sprachlos gemacht?«, frage ich scherzhaft und ihre Wangen röten sich. Mir ist aufgefallen, dass das immer passiert, wenn ihr etwas unangenehm ist.

»Ich ... ähm ... Leo wird schon etwas in die Wege leiden. Aber lass uns jetzt lieber das Thema wechseln«, wiegelt sie ab und ich grinse vor mich hin. Wenn Leo wüsste, dass es zwischen uns beiden so funkt, würde er vermutlich graue Haare bekommen. Wenn ich Sura doch nur unter anderen Umständen getroffen hätte, denke ich mir und mein Lächeln verblasst bei dem Gedanken daran, dass wir uns nie wirklich kennenlernen werden.

»Sagst du deinem Freund Bescheid? Ich würde gerne morgen mit ihm sprechen. Meine Chefin klärt alles mit dem Direktor ab.« Sura blickt mich freundlich an und ich bin froh, dass sie meine Gedanken nicht hören kann.

»Klar, mache ich.«

»Ich muss jetzt leider langsam los. Wenn ich morgen mit Phil gesprochen habe, rede ich auch nochmal mit dir, okay?«, fragt sie und es klingt, als würde sie um Erlaubnis bitten mit mir sprechen zu dürfen. Dabei bin ich froh, wenn sie vorbeikommt, denn so habe ich wenigstens ein bisschen Abwechslung. Eine ziemlich hübsche sogar, denke ich mir schmunzelnd.

»Hmm, okay«, brumme ich gespielt gelangweilt, damit sie nicht mitbekommt, wie sehr ich mich tatsächlich auf ihren Besuch freue.

»Dann bis morgen, Jason«, verabschiedet sie sich und ich schenke ihr ein kleines besänftigendes Lächeln, bevor ich den Hörer auf seine Halterung hänge.

Nachdem mir die Wärter die Handschellen angelegt haben, unterdrücke ich den Drang, mich noch einmal zu Sura umzudrehen.

***

Wenig später ist es Zeit für den Hofgang. Jeden Tag dieselbe Tagesroutine ödet mich mittlerweile so sehr an, dass ich förmlich spüren kann, wie ich hier drinnen geistig verkümmere.

Wenn man den Häftlingen im Todestrakt wenigstens erlauben würde, dass man etwas Sport machen darf, wäre es ja halb so schlimm. Aber so ... Ich frage mich wirklich, wie Phil das hier sechzehn Jahre lang ausgehalten hat. Zumindest dürfen wir Häftlinge miteinander im Saal essen und draußen herumlaufen. Vor ein paar Jahren war es komplett isolierte Einzelhaft, wie mir mein Freund hier drinnen erzählt hat.

Als wir auf dem Hof sind, nehmen mir die Wärter die Hand- und Fußschellen ab, sodass ich mich wieder frei bewegen kann.

Phil sitzt auf einer Bank, wie ich nach kurzem Suchen erkenne und ich gehe auf ihm zu. Dean sehe ich aus dem Augenwinkel umhergehen. Ihm nicke ich lediglich knapp zur Begrüßung zu.

Ich bin gespannt, ob er den Ausbruch tatsächlich versucht. Dass es gelingt, würde ich ihm wirklich gönnen. Er ist ein guter Kerl, auch wenn er vier Menschen getötet hat. Aber wer weiß, warum er das getan hat. Bis jetzt hat er es uns nicht erzählt.

»Hey, Kumpel«, begrüße ich Phil, setze mich jedoch nicht. Er sieht zu mir auf und lächelt. »Gehen wir eine Runde?« Er nickt zögernd und steht mühselig und mit einem Ächzen auf. »Wie geht es dir?«, frage ich ihn und mir wird plötzlich bewusst, dass er genau heute in einer Woche hingerichtet wird. Scheiße, wo ist die Zeit nur hin?!

Ein bitterer Geschmack bildet sich bei dem Gedanken in meinen Mund, doch so langsam muss ich der Tatsache ins Auge sehen, dass ich meinen besten Freund hier drinnen bald verlieren werde. Der einzige Trost ist, dass ich es lediglich eine Woche und zwei Tage ohne ihn aushalten muss.

»Geht so. Die letzten Tage ziehen sich ganz schön«, sagt er leise und ich nicke. Stumm laufen wir nebeneinanderher und jeder hängt für ein paar Augenblicke seinen eigenen Gedanken nach. »Ich habe Angst«, flüstert Phil und wir bleiben stehen.

»Wovor?« Ich sehe ihn direkt an und er weicht meinem Blick nach einem Moment aus.

»Vor der Hinrichtung«, gesteht er mir, obwohl ich die Antwort bereits kannte. Jeder Häftling hat Angst davor. Auch wenn es die meisten nicht zugeben. »Was ist, wenn das erste Mittel nicht wirkt und ich alles mitbekomme?«

Ich klopfe ihm auf die Schulter. »Mach dir keine Gedanken, Phil. Das wird nicht passieren«, beruhige ich ihn, obwohl wir beide genau wissen, dass es schon oft genug vorgekommen ist.

»Ich hoffe, es geht schnell«, sagt er und klingt dabei nicht allzu zuversichtlich.

»Das wird es, Phil. Dann bist du wieder bei deiner Marge.« Seine Mundwinkel zucken ein wenig, als wollte er lächeln bei meinen Worten. »Morgen kommt übrigens jemand vorbei, der dich von den Gedanken an die Hinrichtung ablenken wird.«

Phil wirft mir einen irritierten Blick zu. »Zu mir? Du veralberst mich! Ich habe in den sechzehn Jahren die ich hier sitze, nie Besuch bekommen«, erklärt er mir und ich bin schockiert über seine Worte, lasse es mir jedoch nicht anmerken. Sechzehn Jahre und niemand hat ihn besucht? Das ist verdammt hart! Wieso hat er mir das nicht schon eher mal erzählt?

Mit einem Mal bin ich noch dankbarer, dass Leo und mittlerweile auch Sura vorbeikommen.

»Du wirst morgen schon sehen«, sage ich verschwörerisch und gehe auf seine anderen Worte nicht ein. Dazu kann man einfach nichts entgegnen.

Phil löchert mich noch ein paar Minuten mit Fragen, doch als er mitbekommt, dass ich nicht verrate, um wem es sich handelt, gibt er auf.

Mit Sicherheit wird er sich freuen, dass Sura mit ihm sprechen möchte und ich wette, dass es ihm nichts ausmachen wird, wenn es in der Zeitung veröffentlicht wird.

Denn ganz ehrlich, was haben wir hier drin schon noch zu verlieren?

ENEMIESWhere stories live. Discover now