Kapitel 79

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Jason

Als ich das letzte Mal den Hof betrete, fühle ich mich merkwürdig. Heute Abend werde ich in die gesonderte Zelle gebracht und komme dort, bis ich zur Hinrichtung gehe, nicht mehr raus. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, als mir bewusst wird, dass ich nun das letzte Mal an der frischen Luft bin.

Ich strecke mein Gesicht zum Himmel, doch die Wolken verbergen die Sonne vor mir. Es ist ein grauer und kalter Tag. Dennoch erkenne ich zum ersten Mal wirklich die Schönheit der Welt.

Ein paar Vögel fliegen vorbei und ich wünsche mir für einen Moment, ich könnte auch einfach von hier fortfliegen. Weg von all den Sorgen und Problemen, die mich umgeben.

Ich seufze und gehe langsam ein paar Schritte. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie die anderen Häftlinge mich beobachten. Sie wissen mit Sicherheit, dass ich morgen hingerichtet werde. So etwas macht immer schnell die Runde.

Dean kommt auf mich zu und grinst dabei nicht so wie sonst. »Hey, Jason«, begrüßt er mich und ich nicke bloß knapp. Mein Hals ist nach wie vor wie zugeschnürt, sodass ich kein Wort hervorbringe. »Wie geht es dir?« Als Antwort zucke ich mit den Schultern. »Ich kann es nicht fassen, dass es morgen soweit ist. Wenn wir jetzt einfach abhauen, dann ...«

»Nein, wir haben keine Chance«, krächze ich und sehe mich kurz um. Es wäre aussichtslos. Vier Wärter stehen oben auf der Mauer und zahlreiche gehe Patrouille auf dem Hof. Ganz zu schweigen von denen, die uns womöglich hinter der Mauer erwarten. Mir kommt es heute sogar fast so vor, als würden sie mich besonders genau beobachten. Ob sie ahnen, dass ich etwas aushecken könnte?

»Wahrscheinlich, aber ein Versuch ...«

»Das würde nichts bringen«, unterbreche ich Dean abermals. »Ich bin körperlich nicht so fit wie früher. Zu lange war ich hier drinnen eingesperrt.«

»Vielleicht hast du recht«, murmelt er und klingt niedergeschlagen. Meine Zweifel kommen ins schwanken, als er so spricht. Womöglich ist er doch mein Freund und nicht mein Feind? Oder er will mich das nur glauben lassen? Ich schüttle mit dem Kopf, da es nun sowieso egal ist. Morgen Abend bin ich tot und all die Lügen und Intrigen können mir egal sein.

»Wie fühlst du dich?«

»Seltsam. Ich wünschte, man wüsste nicht genau, wann es passiert. Sie sollten einem einfach eine Kugel durch den Kopf jagen und gut. Diese Grübelei über die Hinrichtung macht mich noch wahnsinnig und es wird mit jeder Stunde schlimmer«, sage ich und atme gierig die frische Luft ein. Schon merkwürdig zu wissen, dass man nie wieder den Himmel und die Wolken sehen wird.

»Kann ich gut verstehen, aber vielleicht ...«

»Nein, Dean. Ich versuche, mir keine Hoffnungen mehr zu machen. Lieber bleibe ich ruhig und warte einfach ab, bis es soweit ist.«

»Mann, das ist alles so beschissen«, brummt er und ich nicke.

Schweigsam gehen wir nebeneinander her, da es eigentlich nichts mehr zu sagen gibt. Als ein Wärter mich aufruft, weiß ich, dass meine Hofzeit zu Ende ist. Ich bleibe stehen und halte Dean die Hand hin. Er ergreift sie und sein Gesicht wirkt blass.

»Halt durch, Kumpel. Vielleicht schaffst du es wenigstens lebend hier raus«, sage ich zu ihm und klopfe ihm auf die Schulter.

»Ich gebe mein Bestes.« Er grinst mich an, auch wenn es etwas gezwungen wirkt.

Ich lasse seine Hand los und gehe langsam in Richtung der Wärter. »Jason?«, ruft Dean und ich drehe mich noch einmal zu ihm um.

»Ja?«

»Wenn ich die Leute finde, die dich hier reingebracht haben, dann garantiere ich dir, dass ich sie leiden lassen werde, für das, was sie dir angetan haben.« Seine Miene ist grimmig und ich muss lächeln.

»Danke«, sage ich bloß und setze meinen Weg fort. Man legt mir wieder die Schellen an und bevor ich nach drinnen gehe, sehe ich noch ein letztes Mal in Richtung Himmel.

ENEMIESWhere stories live. Discover now