Kapitel 57

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Jason

Eine bedrückende Stille herrscht als ich mich zum Abendessen, zu Dean an dem Tisch setze. Mein Blick fällt auf den leeren Platz von Phil und ich wende ihn eilig ab.

Scheiße, ist das seltsam. Dean scheint es jedoch ganz und gar nicht so zu gehen. Er mampft munter sein Essen und machte seine Witze wie immer.

»Wie kannst du nur so fröhlich sein?«, knurre ich, als er über seinen eigenen Witz lacht.

Dean runzelt die Stirn und das Grinsen ist ihm prompt vom Gesicht gewischt. »Soll ich heulen, oder was?« Seine Stimme klingt aggressiv und ich rolle mit den Augen, über seine dämliche Reaktion. »Zieh doch nicht so ein Gesicht, Jason. Phil hat sechzehn Jahre auf diesen Tag gewartet. Er war alt und wäre früher oder später sowieso an seinen ganzen Gebrechen gestorben. Er hat sich gefreut, dass er wenigstens noch etwas würdevoll abtreten kann. Jetzt ess deinen scheiß Brei und mach hier nicht einen auf melancholisch.«

Ich hebe fragend eine Augenbraue an und er zeigt daraufhin mit seinem Kunststofflöffel auf mich. »Versetz dich einfach mal in Phils Lage. Klar, sein Leben hätte nicht so verlaufen müssen, aber er ist selbst Schuld, dass er seine Frau getötet hat, als die zwei Murmeln in seinem Kopf zusammengeknallt sind.«

»Du hast ja recht«, murmle ich und stochere dennoch nach wie vor lustlos in meinem Essen rum.

»Wird schon alles gut und schnell gehen. Glaub mir, Phil wird keine Schmerzen leiden«, versucht mich Dean zu beruhigen, da er offenbar bemerkt, dass mir die ganze Sache doch näher geht.

»Ich hoffe es.« Dean nickt und isst weiter. »Es ist nur komisch, dass ich ihn nie wiedersehen werde. Das letzte halbe Jahr ist er mir ein echt guter Freund geworden. Er wird mir fehlen«, gebe ich zu und sehe zu meinem Gegenüber.

»Glaub ich dir. Aber dauert doch bei dir auch nicht mehr lange.«

»Autsch«, sage ich und Dean zuckt wenigstens anstandshalber zusammen, als ihm bewusst wird, was er da von sich gegeben hat.

»Ach, du weißt schon wie ich meine.« Er winkt ab und ich lasse es darauf beruhen. Recht hat er.

Ich nehme mir einen Löffel von meinem nach nichtsschmeckenden Essen, halte jedoch inne, als plötzlich das Licht gedimmt wird. Es ist das Zeichen, dass gerade einer von uns hingerichtet wird. In diesem Fall Phil.

Auch die anderen halten mit Essen inne.

Das Licht nimmt wieder seine normale Helligkeit an und der Moment der Ruhe, ist vorbei. Ob er bereits tot ist, frage ich mich und schiebe meinen Teller von mir. An essen ist jetzt nicht mehr zu denken.

Dean hebt plötzlich seinen Becher und steht auf. Fast alle wenden sich ihm zu und auch die Wärter an den Türen, widmen ihn seine Aufmerksamkeit. Hoffentlich hat er jetzt nichts Dummes vor, schießt es mir durch den Kopf und ich bin bereit einzugreifen, falls dem doch so ist.

»Ruhe in Frieden, Phil Rodri! Du warst ein super Kumpel«, ruft er laut und mehr, als ich gedacht hatte, stimmen ihm zu.

Perplex starre ich ihn an. »Was ist?«, fragt er unwirsch und isst seinen letzten Rest auf.

»Das hat bisher keiner gemacht«, stelle ich fest und überlege zeitgleich, wieso dem so ist. Phil kann nicht der einzige Häftling gewesen sein, der in Ordnung war.

»Echt? Was ist das denn hier für ein Saftladen? War in dem Knast, wo ich vorher war, nicht so. Da haben die anderen sogar teilweise rebelliert, wenn einer von ihnen hingerichtet wurde.«

»Du warst in einem anderen Gefängnis?«, frage ich neugierig nach und Dean setzt sein Grinsen wieder auf.

»Jep und ich werde dir nichts davon erzählen. Ist besser, wenn du es nicht weißt.«

»Wieso?«

»Würde dein gutes Weltbild über mich zerstören.«

»Dean ...«

»Ich sagte, ich werde dir nichts erzählen. Also belasse es dabei. Nur so viel: Sie haben mich hierher verlegt, weil es besser geschützt ist. Aber mich halten solche kleinen Mauern und ein paar Wärtern mit Waffen nicht auf, dass werden sie sehr bald schon herausfinden.«

Erschrocken blinzle ich, da er das alles halblaut sagt. »Red doch nicht so laut! Die bekommen das sonst mit!«

»Wer? Die anderen Häftlinge? Die haben viel zu viel Schiss vor mir. Die legen sich mit mir nicht an.«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und sehe mich um. Tatsächlich blickt keiner zu uns und sie halten alle ihren Blick gesenkt. Als ich mich Dean wieder zuwende, grinst er mich so hämisch an, wie er es immer macht, wenn er sich überlegen fühlt. Seine graufarbenen Augen funkeln belustigt und er streicht sich über seine Glatze. »Du hast nach wie vor keinen Schimmer, wer ich bin, nicht wahr?«, fragt er, obwohl er die Antwort genau kennt.

»Sicher, dass ich es wissen will?«

Dean scheint kurz zu überlegen, denn es dauert einen Moment, bevor er mit dem Kopf schüttelt. »Nein, es ist besser so. Aber keine Sorge, spätestens nach meinem Ausbruch, wirst du es mit Sicherheit wissen.«

»Aber selbst wenn es dir gelingen sollte, was du dir einfacher vorstellst, als es ist, wo willst du dann hin? Die werden dich mit jedem verfügbaren Mann suchen.«

Ihm scheinen meine Worte überhaupt nicht anzuheben, denn er gähnt herzhaft. »Keine Sorge, ich kenne genug, die mir helfen. Wie gesagt, du kannst gerne mitkommen. Zwar haben die dich hier echt im Visier, aber das bekommen wir schon hin. Wenn mir einmal draußen und über die Grenzen sind, ist alles andere ein Kinderspiel.«

Am liebsten würde ich aufstehen und ihn schütteln. »Du hast keine Waffen, nichts. Ist dir das bewusst?«

»Hältst du mich für dumm?«, stellt er mir als Gegenfrage.

»Eher für leichtsinnig.«

»Ach, was ist das Leben ohne ein kleines bisschen Risiko«, sagt er und zwinkert mir überheblich zu.

»Na ja, aber denk bloß nicht, dass ich deine durchlöcherten Körperteile dann aufsammele, wenn sie dich mit ihren Kugeln durchsiebt haben.« Dean fängt an zu lachen und ich muss mit einstimmen. Weniger über meine eigenen Worte, sondern eher über die ganze Situation. Phil hätte Dean bestimmt Mut zugesprochen, statt wie ich, ihn auf die Gefahren und Schwachstellen seines Planes hinzuweisen.

Kumpel, ich werde dich nie vergessen, denke ich mir, während Dean damit weiter macht, seine Witze zu reißen.

ENEMIESWhere stories live. Discover now