Kapitel 81

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Jason

Elf Stunden bis zur Hinrichtung

Ich höre Schritte vor meiner Zellentür und schätze, dass es bereits sieben Uhr morgens sein muss. Dann kommen immer die Wärter und bringen das Frühstück.

Tatsächlich geht einen Moment später die kleine Klappe auf und ein Tablett wird hereingeschoben. Ich rühre mich jedoch nicht von der Stelle, da ich keinerlei Appetit habe. Warum sollte ich auch etwas essen? In ein paar Stunden bin ich sowieso tot.

Mittlerweile läuft mir bei diesem Gedanken nicht mal mehr ein kalter Schauer über den Rücken. Überhaupt fühle ich seit gestern, als sie mich in diese Zelle in einem anderen Trakt gebracht haben, gar nichts mehr. Scheint fast so, als wäre ich innerlich bereits tot.

Ich erlaube mir nicht einmal an Sura zu denken. Wahrscheinlich würde ich sonst hier die Wände hochgehen und komplett die Fassung verlieren. Nein, lieber begnüge ich mich damit, weiterhin die kahle Decke der Zelle anzustarren.

Die gesamte Nacht habe ich kein Auge zugetan, da ich über mein Leben nachgedacht habe. Ich habe jede Entscheidung von mir noch einmal durchdacht und überlegt, wie es dazu kommen konnte, dass ich hier lande. Zu einem wirklichen Entschluss bin ich nicht gekommen. Vielleicht war ich einfach nur zur falschen Zeit, am falschen Ort.

Ich seufze und setze mich auf, da mein Rücken bereits von dem langen Liegen schmerzt. Stattdessen lehne ich mich nun im Schneidersitz an die Wand und starre auf die gegenüberliegende Seite. Immer wieder will die Frage hochkommen, ob es wohl schmerzhaft sein wird oder ob ich womöglich leiden würde. Doch ich erlaube es mir nach wie vor nicht Gedanken darüber zu machen. Selbst wenn es so sein sollte, dann kann ich nichts mehr daran ändern.

»Häftling 3367«, ertönt es plötzlich.

»Ja?«, frage ich und könnte mir selbst eine scheuern, weil ich so hoffnungsvoll klinge. Was erwarte ich denn bitte? Das hier eine Art Rettungsmission für mich stattfindet und ich der ganzen Scheiße doch noch entgehe? Wohl kaum.

»Essen Sie ihr Frühstück, in einer Stunde bekommen Sie ein letztes Mal die Möglichkeit, mit ihrem Anwalt zu sprechen. Danach gehen Sie duschen und ein Priester kommt vorbei«, erklärt mir der Wärter vor der Tür und ich rolle mit den Augen.

»Ich möchte mit keinem Priester sprechen«, brumme ich.

»Das sagen sie am Anfang alle«, höhnt der Wachmann und verschließt die Klappe wieder. Perplex sehe ich zur Zellentür. Offenbar scheint es ihm Gefallen zu bereiten, dass ich heute meinen letzten Atemzug nehmen werde. Na warte nur, denke ich mir grimmig und balle die Hände zu Fäusten.

***

Gefühle Stunden später höre ich erneut die Schritte des Wärters vor meiner Zellentür. Ich stehe auf, er nimmt das unberührte Tablett an sich und mir werden die Handschellen angelegt. Einen Moment später geht die Tür auf und ich werde nicht wie sonst nach draußen gebracht, sondern Leo kommt mit seinem Aktenkoffer herein. Sein Gesicht wirkt eingefallen und er scheint um Jahre gealtert zu sein.

Wenn ich mich nicht täusche, schimmern in seinen kurzen schwarzen Haaren sogar erste graue durch.

»Ich darf heute mit dir hier drinnen sprechen. Die Zellentür muss jedoch offenbleiben«, erklärt er mir, da ich ihn nach wie vor perplex anstarre. Ich nicke und setze mich auf mein Bett. Leo stellt sich an die Wand gegenüber und ein Wärter nimmt an der Zellentür Stellung. Ich spüre seinen Blick auf mir, reagiere jedoch nicht.

Leo sieht sich in meiner Zelle um und schnalzt mit der Zunge. »Hübsch hast du es hier. Könnte man ja glatt neidisch werden.«

Ich muss kurz auflachen, obwohl mir eigentlich überhaupt nicht danach zumute ist und zeige ihm den Mittelfinger. »Du mich auch, Arschloch.«

Mein Anwalt grinst kurz, bevor er wieder eine ernste Miene aufsetzt. »Gestern Abend habe ich noch einmal mit Sura telefoniert, dabei hat sie mir erzählt, dass sie von Brandon Thompson ein Video aus der Tatnacht zugeschickt bekommen hat.«

Mein Kopf ruckt hoch. Wollte sie nicht damit noch etwas warten, bis sie genügend Beweise hat? »Sie hat es dir schon gesagt?«

Leos Augen weiten sich und sein Gesicht nimmt einen rötlichen Ton an. »Du hast es auch gewusst? Herrje, warum hast du es mir nicht wenigstens gesagt?!«, blafft er und ich zucke als Antwort mit den Schultern. »Na ist ja nun auch egal. Obwohl ich es nicht gutheißen kann, dass ihr mir das so lange unterschlagen habt. Ich bin dein Anwalt, verflucht nochmal!« Ich reagiere nicht auf seine Schimpftirade, sondern verschränke lediglich meine Arme. »Jedenfalls habe ich es gestern bei der Revision mit abgegeben.«

»Sie haben es abgelehnt, nicht wahr?«, erkundige ich mich, da ich die Antwort bereits in seinem Gesicht erkannt habe, als er hier hereingekommen ist.

»Leider ja«, sagt er tonlos und ich seufze.

»Siehst du, deshalb wollte Sura damit bis kurz davor warten. Vielleicht hätten sie bis dahin noch den alles entscheidenden Hinweis gefunden und sie hätten das Video nicht einfach so abschmettern können«, knurre ich und der Wärter räuspert sich, als Warnung, weil ich meine Stimme erhoben habe.

»Was denn für einen Hinweis, Jason? Es gibt keinen! Jeder wird mundtot gemacht, der irgendetwas sagen könnte! Es ist vorbei, kapier das endlich!«

Ich zucke zurück, als hätte Leo mich geschlagen. »Wow, du baust mich ja wirklich auf. Glaubst du, mir wäre nicht bewusst, dass es keine Hoffnung mehr gibt? Denkst du etwa, ich wäre so naiv, dass ich noch an ein Wunder glaube? Ich bin nicht dumm, Leo, auch wenn du öfters so tust.«

Leo wirkt zerknirscht und atmet laut aus. »Jason, tut mir leid. Mir gehen einfach ein bisschen die Nerven durch, weil ...«

»Weil es vorbei ist, ich habe es schon kapiert. Jetzt hau endlich hier ab.«

»Jason ...«

»Ich sagte hau ab!«, brülle ich und springe auf. Mit einem Satz bin ich bei ihm und packe ihn am Kragen. »Lass mich endlich alleine und verpiss dich! Ich brauche dich hier nicht!«

Es dauert keine Sekunde bis ein Wärter hinter mir steht und mich von Leo wegzieht. Ich wehre mich mit Händen und Füßen, da all die angestaute Wut in mir sich mit einem Mal entlädt.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Leo nach draußen gebracht wird und mich schockiert mustert. Was hat er auch erwartet? Das er hier eine fröhliche Ausgabe von mir hier trifft? Die Wärter halten mich nach wir vor im Zaun, doch mein Protest erlahmt immer mehr, da meine Kräfte schwinden. »Haben Sie sich jetzt endlich beruhigt, Häftling 3367?«, fragt der eine und ich murmle zustimmend.

Langsam lassen sie mich los und verlassen meine Zelle. Zurück bleibe ich auf den Boden liegend, mit dem Gewissen, dass ich nun auch den letzten Freund aus meinem beschissenen Leben vertrieben habe.

ENEMIESWhere stories live. Discover now