Kapitel 31

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Sura

Mit Hector auf dem Schoß, sitze ich vor meinem Laptop und rufe die Internetseite unserer Zeitung auf. Heutzutage ist es unverzichtbar nicht auch online verfügbar zu sein.

Gedruckte Zeitungen verkaufen wir immer weniger, dafür sind aber die online Abonnenten deutlich in die Höhe gesprungen. Ich scrolle zu meinem Artikel und lese noch einmal flüchtig drüber.

Mein Blick bleibt an dem Foto hängen, dass ich auf Erlaubnis von Jason für den Artikel nutzen durfte. Es zeigt ihn vor zwei Jahren bei einem Einsatz in Irak und verdammt, sieht er gut darauf aus. Er wirkt auf diesem Bild sogar richtig sympathisch, mit seinem breiten Lächeln. Eines, das ich bisher im Gefängnis noch nicht zu Gesicht bekommen habe.

Ich seufze und scrolle weiter zu den Kommentaren. Der Artikel ist seit gerade mal knapp drei Stunden online und schon jetzt hat er über einhundert Bemerkungen. Kurz zögere ich, doch dann klicke ich darauf. Ich bin einfach viel zu neugierig.

Ein mulmiges Gefühl bildet sich jedoch in meinem Magen, als ich die ersten lese. Dass sie gemein sind, ist noch milde ausgedrückt. Ein besonders fieser Kommentar springt mir ins Auge und ich muss ihn zweimal lesen, um wirklich zu fassen, dass so etwas jemand öffentlich ins Netz stellen kann.

»Was für ein beschissener Artikel! Entweder war die Reporterin auf Drogen oder sie ist einfach nur dumm. Anders kann ich mir nicht erklären, wieso man so etwas über einen Mörder schreibt. Jason Strent gehört hingerichtet! Am besten heute, statt morgen. Solche Schweine wie ihn sollte man öffentlich hinrichten, damit jeder dabei zusehen kann. Hoffentlich verreckt er elendig.«

In meinem Hals bildet sich ein Kloß und ich muss schlucken. Ich bin ja herablassende und niederträchtige Kommentare sowie abfällige Bemerkungen gewöhnt, aber so etwas ... Wie kann man nur so über einen Menschen urteilen, den man gar nicht kennt?

Fast augenblicklich erinnere ich mich daran, wie ich vor ein paar Tagen noch genauso darüber gedacht habe. Zwar nicht so extrem wie dieser User, aber meine Einstellung war dieselbe. Die Todesstrafe war für mich immer das Normalste und die Menschen, die etwas verbrochen hatten, hatten es meiner Meinung auch verdient. Doch jetzt ... Jetzt kommen mir immer mehr Zweifel an unserem System. Auge um Auge, Zahn um Zahn – das ist doch nicht mehr zeitgemäß.

Ich seufze und streichle Hector auf meinem Schoß, der unbeeindruckt vor sich hin schlummert. Bevor ich Jason kennenlernte, gab es für mich immer nur schuldig und unschuldig. Alles dazwischen war mir egal und habe ich ignoriert. Wie schnell sich doch so manches ändern kann.

Ich lese noch ein paar Kommentare, aber sie werden nicht besser. Im Gegenteil. Nach dem vierten Kommentar, der mich als dumme Schlampe bezeichnet, schließe ich meinen Browser und klappe den Laptop zu. Ich weiß zwar selbst nicht wirklich, mit was für einer Reaktion ich gerechnet hatte, aber mit so etwas sicher nicht.

Mein Handy beginnt zu klingeln und Hector schreckt dadurch hoch und springt von meinem Schoß. Lustlos sehe ich darauf und meine Stimmung hellt sich auf, als ich realisiere, dass es Susann ist, die mich anruft. Nach meiner Nachricht gestern, hatte sie sich noch nicht wieder gemeldet.

»Na, du treulose Tomate«, gehe ich ran und höre, wie sie am anderen Ende mit Lachen anfängt. Sofort ist meine schlechte Stimmung ein wenig aufgehellt.

»Das sagst gerade du«, zieht sie mich auf. »Sorry, dass ich mich erst jetzt melde. Ich war gestern ziemlich spät zuhause und bin dann wie tot ins Bett gefallen.«

»Macht nichts. Hast du mit deinem Cousin geredet?«, komme ich direkt zum Punkt, bevor ich wieder vergesse, danach zu fragen.

»Jep. Ich wäre in einer Stunde bei dir, dann würde ich dir alles erzählen. Du bist doch daheim, oder?«

»Bin ich. Hector, dieser kleine Verräter, freut sich bestimmt, dich zu sehen.«

»Oh, ich freue mich schon auf den Süßen«, flötet sie gutgelaunt und ich muss grinsen.

»Und auf mich nicht? Na Dank auch«, ziehe ich sie auf und sie lacht.

»Er ist halt so schön flauschig. Da kannst du leider nicht mithalten.«

»Jaja, schon klar. Bis später, Susan.«

»Bis dann!«

Ich lege auf und bin froh, dass Susan mich endlich angerufen hat. So fällt es mir leichter, nicht länger über diese bösen Kommentare zu grübeln. Stattdessen räume ich ein wenig auf, bis es an der Haustür klingelt.

Ich öffne Susan und mein Kater kommt sofort angerannt und schmiegt sich an ihre Beine, als sie eintritt. Wenn er mich ansatzweise mal so begrüßen würde, wäre ich froh, denke ich mir grimmig. Immerhin bin ich sein Dosenöffner! Eigentlich müsste er mich so begrüßen!

Susan umarmt mich und wir gehen anschließend in mein überschaubares Wohnzimmer herüber. Susan lässt sich auf die Couch fallen und ich nehme neben ihr Platz.

»Und? Was sagt dein Cousin?«, frage ich neugierig, da ich es nicht länger aushalte zu warten.

Susan grinst mich an, weil sie genau weiß, dass ich kurz vorm Platzen bin. »Du bist aber ungeduldig! Er sagt eine ganze Menge. Jason war ziemlich bekannt unter den Seals. Außerdem kannten die zwei sich sogar. Hätte ich nicht gedacht.«

»Und warum war er bekannt?«, hake ich nach, als sie nicht weiter spricht.

»Hauptsächlich wegen seiner Einsätze. Er hatte wohl eine ziemlich hohe Erfolgsquote und seine Kameraden haben zu ihm aufgeblickt. Jedenfalls bis zu diesem einem Einsatz wo alles schief gelaufen ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Interessant ist jedoch, dass Jason vor fünf Jahren noch eine Freundin namens Mira hatte. Mein Cousin hat mir erzählt, dass er wohl öfters von ihr erzählt hätte«, erklärt sie mir.

Ich ziehe erstaunt die Augenbrauen nach oben. »Und warum sind die beiden nicht mehr zusammen?«

»Pass auf, jetzt kommt der Hit. Sie hat ihn betrogen. Und nicht mit irgendeinem Typen, sondern mit seinem besten Freund Brandon. Er ist ausgerastet und hat Brandon wohl ziemlich übel verprügelt. Jason hat sich dafür eingesetzt, dass Brandon rausfliegt und hatte damit zwei Jahre später auch Erfolg. Man muss sich das mal vorstellen, als die beiden noch Kameraden waren, hat Jason sogar sein Leben in einem Einsatz riskiert, um ihn zu retten. Es war damals genauso ein desaströser Einsatz wie vor einem halben Jahr, jedoch mit einem etwas besseren Ausgang. Mein Cousin hat mir erzählt, dass sich wohl einige gegen Jason verschworen hatten, nachdem Brandon die Seals verlassen hat. Deshalb kam ihnen dieser Fehler bei dem Einsatz vor knapp 8 Monaten ganz gelegen und Jason wurde unehrenhaft entlassen. Was so wirklich dort geschehen ist, weiß wohl nur er selbst und einige hohe Tiere.«

Meine Kinnlade klappt wie von alleine auf und ich kann mein Erstaunen gar nicht verbergen.

»Genau so habe ich auch geschaut. Jedenfalls weißt du jetzt schon mal, wer Jason womöglich hasst. Brandon soll wohl damals ziemlich sauer gewesen sein. Mittlerweile ist er aber bei der Polizei und die Beiden haben sich nie wieder gesehen. Jedenfalls erzählt es so mein Cousin.«

»Er ist bei der Polizei? Weißt du, wo genau er eingesetzt ist?«

Susan schüttelt mit dem Kopf, aber in mein Hirn arbeitet trotzdem auf Hochtouren. »Ist dir nicht bewusst, was das bedeuten könnte, Susan? Vielleicht hat dieser Brandon das Video aus der Bar verschwinden lassen!«

»Ganz ruhig, Sura. Möglich ist es, aber eher unwahrscheinlich. Wieso sollte er das seinem ehemaligen besten Freund antun? Klar, er hat wegen ihm seinen Job verloren, aber hier geht es um Mord! Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Jason so zum Fraß vorwerfen würde, egal was dieser ihm angetan hat«, schlussfolgert Susan und ich stimme ihr gedanklich zu.

Und dennoch bilden sich in meinem Kopf mögliche Szenarien und ich beschließe, in den nächsten Tagen herauszufinden, wo ich diesen Brandon antreffen kann.

Doch erst einmal rede ich mit Jason und höre mir seine Version der Geschichte an.

ENEMIESWhere stories live. Discover now