Kapitel 55

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Jason

Eine Woche und zwei Tage bis zur Hinrichtung  

Am nächsten Morgen fühle ich mich wie gerädert, als die Wärter mich aus meiner Zelle holen. Das Gespräch mit Sura hat sich immer wieder aufs Neue in meinem Kopf abgespielt. Zu gerne wüsste ich, was sie mir noch sagen wollte, bevor der Direktor ins Zimmer gestürmt kam. Fuck, ich hoffe, sie hat keinen Ärger bekommen.

Wobei, wenn es so wäre, dann dürfte ich mit Sicherheit nicht bereits jetzt auf den Hof. Eigentlich hätte ich ja noch bis Mittwoch alleine in meiner Zelle schmoren müssen.

Allerdings nützt es mir nichts, da ich Phil trotzdem nicht noch einmal sehe. Er ist bereits in den gesonderten Trakt gebracht wurden, wo die Häftlinge hinkommen, wenn nur noch ein Tag übrig ist, bis sie hingerichtet werden.

Ein Schauder überkommt mich, wenn ich daran denke, dass es für ihn heute Abend so weit ist. Wie er sich wohl fühlt? Verzweifelt? Ängstlich? Oder vielleicht sogar froh, dass es endlich ein Ende hat?

Die Wärter öffnen die Tür zum Hof und nehmen mir die Schellen ab, als ich draußen angekommen bin. Der kalte Wind zerrt an meiner weißen Gefängniskleidung und ich spüre das erste Mal seit langem wieder Regen auf meinem Gesicht. Was für ein unbeschreibliches Gefühl! Wenn Phil, dass doch bloß noch einmal erleben könnte, denke ich mir traurig und gehe über den Hof.

»Na, sieh mal einer an, wer wieder hier ist!«, ertönt es einen Augenblick später und ich zucke zusammen, da ich nach wie vor in Gedanken war.

Dean taucht neben mir auf und klopft mir auf die Schulter. »Hast wohl deine komplette Zelle zerlegt, sodass sie dich wieder rausbringen mussten, oder was?«, fragt er lachend und ich schüttle über ihn bloß mit dem Kopf. Wie kann er nur stets gut drauf sein?

»Wie kommt es denn, dass du bereits draußen bist? Schließlich hast du doch auch zwei zu Brei geschlagen.«

Er prustet laut los, als hätte ich einen Witz gemacht. »Ja, das war echt super. Schau mal, die Beiden sitzen dort drüben. Grüßen mich mittlerweile ganz freundlich. Offenbar haben sie Angst davor, dass ich ihnen wieder so fest in den Hintern trete, dass ihnen die Zähne im Mund klappern.«

Bei seiner Beschreibung muss ich ebenfalls lachen und wende mich in die von ihm gezeigte Richtung. Chims Gefolgsleute sitzen da und wenden ihre Blicke sofort ab, als sie bemerken, dass wir zu ihnen schauen. Was für Feiglinge. »Wo ist Samuel?«, frage ich, da er nicht mit dort sitzt.

»Der liegt noch auf der Krankenstation, wie ich gehört habe. Mussten wohl eine Not-OP durchführen, weil du ihm die Scheiße aus dem Darm geprügelt hast.«

»Oha«, bringe ich lediglich hervor. Zwar hat er es verdient, aber das ich offenbar doch so sehr die Kontrolle verloren habe, war mir gar nicht bewusst.

»So, nun zu aber etwas Wichtigerem. Wie kommt es, dass du heute schon hier herumschlenderst? Hab gehört, dass du eigentlich erst Mittwoch wieder aus der Einzelhaft raus darfst.«

Skeptisch hebe ich eine Augenbraue. »Woher weißt du das denn?«

Dean grinst breit und kickt einen Stein mit dem Fuß weg. »Ich habe halt so meine Kontakte.« Kaum hat er die Worte ausgesprochen, fischt er eine Zigarettenschachtel aus seinem Ärmel und hält mir eine Kippe hin.

Zunächst zögere ich, doch dann erinnere ich mich daran, dass ich eigentlich gar nicht mehr genug in Schwierigkeiten stecken kann, falls mich ein Wärter erwischt. »Will ich wissen, woher du die hast oder lieber nicht?«, frage ich und Dean steckt sich seine Zigarette zwischen die Lippen. Mit einigen Mühen macht er sie sich an, da es bereits immer mehr regnet. Er hält mir das Feuerzeug hin und ich tue es ihm gleich.

»Ich habe sie zumindest nicht in meinem Hintern hier rein geschmuggelt, falls du das meinst.«

Ich bekomme, dank seiner Bemerkung, den ersten Zug der Zigarette in den falschen Hals und muss heftig husten. Dean klopft mir lachend auf den Rücken, bis ich mich wieder erholt habe. »Sei mal nicht so zimperlich, Jason«, murmelt er und nimmt einen tiefen Zug.

»Du überraschst mich echt immer wieder aufs Neue«, stelle ich fest und genieße meine erste Zigarette seit mehreren Monaten. Seltsam, irgendwie hatte ich gehofft, dass es sich besser anfühlen würde.

Ein Kuss von Sura wäre mir wesentlich lieber, schießt es mir plötzlich durch den Kopf, doch ich schiebe diesen Gedanken schnell beiseite.

»Soll dir viele Grüße von Phil sagen.« Bei Deans Worten fällt mir die Zigarette fast aus den Fingern und ich nehme zittrig einen Zug, bevor ich ihn ansehe.

»Ehrlich?«

»Jep. Er fand es gut, dass du Samuel so fertig gemacht hast. Hat ihm noch mal so eine Art Frieden verschafft, dass sich jemand an ihm gerächt hat, für damals, als er ihn angegriffen hat.«

»Hmm«, brumme ich bloß, da es mir lieber gewesen wäre, wenn ich ihn noch einmal selbst hätte sprechen können.

»Er wünscht dir auch alles Gute und das du dir keine Gedanken wegen ihm machen sollst. Ehrlich gesagt hat er sogar ein wenig aufgeregt gewirkt.«

»Ist das dein scheiß Ernst?«, frage ich und drücke die Zigarette aus. Anschließend stecke ich sie ein, damit die Wärter sie hier nicht finden.

»Sehe ich aus, als würde ich lügen?« Düster blickt er mich an und schnippt seine Kippe einfach weg. Ich rolle daraufhin mit den Augen. »Schätze mal, er freut sich, dass er seine tote Frau im Himmel wiedersehen kann. Hab ihm allerdings auch gesagt, dass sie ihm wahrscheinlich eins mit der Bratpfanne überzieht, für das, was er ihr angetan hat.«

Ich muss lachen bei seinen Worten und stelle mir das bildlich vor. Ich hoffe für Phil, dass er wirklich seinen Frieden gefunden hat und sich vollkommen bewusst ist, dass es falsch war, was er damals getan hat. Mittlerweile bin ich dankbar, dass ich ihn hier kennenlernen durfte. Er hat mir gezeigt, dass nicht jeder Mörder gleich ist. Manchmal reicht schon ein einfacher kleiner Aussetzer, um einen anderen Menschen das Leben zu rauben.

»Wie kommt es, dass du nicht in Einzelhaft sitzt?«

»Och, mach dir darüber mal keine Gedanken.« Er grinst schelmisch und ich lasse es darauf beruhen. Mir ist schon mehrmals aufgefallen, dass Dean hier irgendwie Sonderrechte bekommt. Aber wieso? Er hat schließlich vier Cops getötet und normalerweise habe die Wärter so jemanden besonders auf dem Kicker. Warum also nicht ihn?

»Besser wenn ich manche Dinge von dir nicht weiß«, stelle ich fest und wir gehen weiter über den Hof. Der Regen lässt wieder etwas nach, dennoch sind meine Klamotten mittlerweile komplett durchnässt.

»Wie läuft es eigentlich mit deiner sexy Reporterin?« Ich rolle mit den Augen und antworte nicht. »Ah, doch so gut. Ob sie mit mir vielleicht auch mal ein Interview führen will?«

Bevor er es sich versehen kann, habe ich ihm am Kragen gepackt. »Mach keine Witze über Sura oder wir zwei haben ein ernstes Problem.«

Dean hebt entwaffnend die Hände und ich lasse ihn wieder los. »Ich habs kapiert, Kumpel. Alles gut.« Er fährt sich durch seine Haare und hat wieder diesen verschmitzten Ausdruck im Gesicht. »Phil hatte wirklich recht, du bist absolut verschossen in die Kleine.«

»Ach, halt dein Maul«, blaffe ich und er klopft mir auf die Schulter.

»Wenn du tot bist, tröste ich sie, okay?« Erneut will ich ihn packen, doch er schießt blitzschnell los und rennt vor mir weg. Ich muss über ihn lachen und nehme ihn schlussendlich seine Bemerkungen nicht krumm. Immerhin hat er es geschafft, mich wenigstens ein paar Minuten von Sura und meinen Gefühlen für sie abzulenken.

*Wow, 2k Reads! Vielen lieben Dank euch allen.<3 Ich freue mich riesig. <3*

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