Kapitel 56

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Sura

Es regnet in Strömen, als ich am späten Nachmittag am Huntsville Gefängnis ankomme. Dennoch haben sich vor dem Gebäude eine Gruppe von Menschen versammelt. Sie protestieren gegen die Todesstrafe und die Hinrichtung von Phil Rodri.

Das erste Mal empfinde ich das Bedürfnis, mich mit dazuzustellen und ebenfalls gegen diese menschenverachtende Bestrafung zu demonstrieren.

Doch stattdessen wende ich meinen Blick ab, schnappe mir meine Tasche vom Beifahrersitz und steige aus. Ich ziehe den Kragen meiner Jacke etwas weiter nach oben und renne schutzsuchend vor diesem Platzregen zum Eingang.

Durch den trommelnden Regen hindurch, höre ich die wütenden Rufe der Protestanten. Als ich schließlich drinnen bin, überkommt mich ein seltsames Gefühl. In weniger als einer Stunde ist Phil tot und ich kann nichts mehr für ihn tun. Er wird tatsächlich sterben.

Mein Hals schnürt sich zu und mir ist schwindlig. Ich stütze mich an der Wand ab und muss ein paar Mal tief ein und aus ausatmen, bevor ich wieder klar sehe. »Ma'am, geht es Ihnen gut?«, spricht mich ein Wärter besorgt an und ich nicke keuchend. »Kann ich Ihnen helfen?«

Ich stelle mich vorsichtig aufrechter hin und lächle ihn freundlich an. »Danke, es geht schon wieder. Mir war bloß kurz etwas schwindlig.«

Er mustert mich prüfend, doch ich scheine offenbar wirklich etwas besser auszusehen, denn er lässt mich wieder allein. Mit zitternden Fingern ziehe ich meinen Presseausweis aus der Jackentasche und gehe zur Kontrolle vor. Der Wärter nimmt ihn ohne eine Begrüßung entgegen und prüft ihn. Eine Wärterin kommt derweil und ich lege meine Tasche ab, bevor sie mich abtastet.

Nachdem sie fertig sind, bekomme ich meinen Ausweis wieder und mache mich auf den Weg zum Hinrichtungsraum. Meine Schritte sind schleppend und ich muss mich zwingen, vorwärtszugehen.

Ich öffne die Tür und setze mich ganz hinten auf einen freien Platz. Ausnahmsweise bin ich heute recht früh dran, sodass bisher bloß zwei Reporter von einer anderen Zeitung da sind, die mit mir Smalltalk machen wollen, was ich jedoch direkt abblocke. Dazu bin ich jetzt einfach nicht in der Lage. Rechts außen sitzt zudem noch ein junges Pärchen. Sie wirken gespannt und tuscheln wie verrückt. Anscheinend sind sie die Freiwilligen, die heute die einhundertfünfzig Dollar kassieren, um diese Abscheulichkeit mit anzusehen.

Naserümpfend wende ich meinen Blick von den Beiden ab. Stattdessen packe ich meinen Notizblock und einen Stift aus. Nach wie vor zitternd notiere ich das heutige Datum und Phils Namen. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass meine Chefin unbedingt möchte, dass ich bei seiner Hinrichtung dabei bin. Ob sie mir wirklich irgendetwas damit heimzahlen möchte?

Schließlich kann sie sich doch sicher vorstellen, dass es für mich furchtbar ist, einen Menschen, mit dem ich persönlich gesprochen habe, beim Sterben zuzusehen.

Ich verziehe nachdenklich das Gesicht. Nein, wahrscheinlich kann sich Mrs. Billings das nicht vorstellen. Ihr Taktgefühl ist ungefähr so groß wie eine Erbse, denke ich mir bitter und schreibe mit etwas mehr Druck, Phils Vergehen auf.

Eigentlich müsste ich mir all das nicht notieren, da ich es ja weiß, doch ich muss meinen Händen einfach etwas zu tun geben, bevor ich völlig den Verstand verliere.

Wenn ich heute nur hätte mit Jason sprechen können ... Aber ich wollte es nach gestern nicht übertreiben und nicht womöglich doch noch Ärger mit dem Direktor provozieren. Bis morgen werde ich es schon aushalten. Ich muss einfach.

Die Tür geht erneut auf und ich drehe mich in die Richtung. Susan kommt herein und stockt kurz, als sie mich bemerkt. Erst will sie auf mich zugehen, doch dann entscheidet sie sich dagegen und setzt sich stattdessen in die erste Reihe.

ENEMIESWhere stories live. Discover now