Kapitel 75

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Jason

Ich reibe mir die Handgelenke, als man mich in den gesonderten Besucherraum bringt und die Handschellen abgenommen hat. Bis eben war Sura bei mir, deren trauriges Gesicht, als ich ihr ein letztes Mal »Tschüß« sagen musste, wohl bis in meine Träume verfolgen wird.

Eigentlich haben wir nicht viel gesprochen, sondern uns einfach nur angesehen. Zu gerne hätte ich sie in den Arm genommen, doch diese beschissene Glasscheibe zwischen uns hat das verhindert. Wenigstens hatten wir gestern noch einmal die Gelegenheit dazu.

»Hey, Leo«, begrüße ich meinen Anwalt, der in seiner Aktentasche herumwühlt und erst jetzt aufsieht.

»Hallo, Jason. Wie geht es dir?«

»Du wirst nie aufhören, mich das zu fragen, oder?«, sage ich grinsend und er lacht ebenfalls. Dennoch ist eine gewisse Anspannung zwischen uns. Wir wissen beide, dass es mit mir dem Ende zu geht. Nur noch etwas weniger als achtundvierzig Stunden. Es fühlt sich surreal an, genau zu wissen, wann man stirbt.

»Danke nochmal wegen gestern«, sage ich und er nickt.

»Kein Ding. Habe ich doch gerne gemacht.« Er zwinkert mir zu und holt etwas aus seiner Mappe heraus. Langsam reicht er mir es.

»Was ist das?«, frage ich, bevor ich es mir überhaupt angesehen habe.

Leo seufzt und rauft sich durch seine Haare. »Die Papiere für deine Beerdigung«, sagt er leise und ich muss schlucken. Meine Hände beben, obwohl ich es eigentlich gar nicht will. »Der letzte Gnadengesuch läuft noch und ich hoffe, dass er genehmigt wird. Aber wenn nicht, dann ... also ...«

»Ich verstehe schon«, unterbreche ich seine stammelnden Worte und sehe auf das Papier. Ich unterschreibe lediglich und gebe sie ihm wieder. Jetzt ist es offiziell, ich habe sogar schon meine Beerdigung geplant, denke ich mir und würde am liebsten den Tisch umwerfen, um mich von meinen quälenden Gedanken abzulenken.

»Ich habe dennoch Hoffnung, dass man den Gesuch bewilligt und wir etwas Aufschub bekommen«, sagt Leo und versucht einen hoffnungsvollen Gesichtsausdruck aufzusetzen, was ihm jedoch komplett misslingt.

»Haben wir wirklich eine Chance?«, erkundige ich mich.

»Sollten Sura und ich noch etwas herausfinden, dann können wir es nachreichen bis Mittwoch und ...«

»Ich möchte eine ehrliche Antwort, Leo. Habe ich zum jetzigen Zeitpunkt eine Chance, überhaupt Aufschub zu bekommen?«

Leo blinzelt zweimal, presst die Lippen zusammen, öffnet sie wieder und schüttelt danach zögernd mit dem Kopf. »Leider nein. Wenn nicht noch ein Wunder passiert, dann ...«

»Dann war es das«, vollende ich mit kratziger Stimme seinen Satz und er nickt.

»Es tut mir so leid, Kumpel. Ich hatte ...«

»Ich will es nicht hören«, unterbreche ich ihn. »Sag mir lieber, was die letzten Stunden passieren wird«, bitte ich ihn. Irgendwie hatte ich mir noch gar keine wirklichen Gedanken darüber gemacht. Ich hatte stets gedacht, dass ich noch genug Zeit habe. Doch jetzt, wo Tag X greifbar nahe ist, will ich es unbedingt wissen.

Leo seufzt, willigt dann jedoch ein. »Morgen Abend wird man dich in die Isolationshaft bringen. Am Mittwochmorgen wird man dir dein Essen geben, du gehst danach ein letztes Mal duschen und bekommst gegen Abend deine Henkersmahlzeit. Ein Priester wird ebenfalls vorbei kommen und du kannst mit ihm sprechen, sofern du das möchtest. Wenn es dann soweit ist, holt man dich und bringt dich dann in das Zimmer, wo die Hinrichtung vollzogen wird.«

»Wann erfahre ich, ob der Gnadengesuch bewilligt wurde?«, hake ich nach.

»Das kann ich dir nicht genau sagen. Meistens zwei oder drei Stunden bevor du in dem Raum gebracht wirst, erhältst du eine Mitteilung. Auch bei der Hinrichtung, kann jederzeit der Gouverneur anrufen und sie noch absagen. Es ist leider jedoch sehr selten der Fall und kommt so gut wie nie vor.«

Ich nicke, da ich mir das bereits gedacht habe. »Sehen wir uns bis dahin noch einmal?«

»Ich komme morgen und übermorgen vorbei. Sura durfte dich heute leider das letzte Mal besuchen. Ab morgen dürfen bloß noch ich und Familienmitglieder.«

Abermals nicke ich und fühle mich innerlich komplett leer.

»Hast du schon mal einen Mandanten gehabt, der hingerichtet wurde?«, erkundige ich mich bei meinem besten Freund.

»Ein paar, ja. Aber mit ihnen war ich nicht befreundet.«

»Es tut mir leid, dass du es mit ansehen musst.«

»Ich werde es mir nie verzeihen können, dass ich dich nicht herausholen konnte«, sagt er leise und klingt dabei so niedergeschlagen, wie ich mich fühle.

»Ob es wehtun wird?«, frage ich mich mehr mich selbst als ihn.

»Ich hoffe nicht. Es ist wirklich grausam, was hier tagein und tagaus geschieht.«

»Und dennoch verdienen es die meisten hier drinnen«, antworte ich und Leo nickt zaghaft.

»Vielleicht. Aber du auf keinen Fall.«

»Ich habe viele Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin, Leo. Offenbar soll das meine Strafe sein.«

»Gerecht ist es aber nicht, da die wahren Täter nach wie vor draußen herumlaufen.« Er haut mit der Faust auf den Tisch.

»Ich hoffe, ihr findet sie.«

»Das werden wir.«

Wir schweigen uns ein paar Augenblick an, bevor Leo erneut das Wort ergreift und sich etwas nach vorne lehnt. »Willst du vielleicht jetzt darüber sprechen, was bei diesem Einsatz damals geschehen ist?«

Sofort spannt sich mein Körper an. »Zu welchem Zweck? Das hat nichts mit meiner Hinrichtung zu tun.«

»Jason, jetzt fahr doch nicht gleich wieder so aus der Haut. Es war nur eine einfache Frage.«

»Es geht dich nichts an. Sura wird es dank meines Briefes erfahren, aber für dich ist das nicht von Belangen.« Kaum habe ich die Worte ausgesprochen wird mir bewusst, dass ich sie eigentlich gar nicht sagen wollte.

»Du hast es Sura in einem Brief geschildert?« Ich antworte nicht, sondern blicke ihn stumm an. Seine Augen sind zu schlitzen verengt. »Ich bin dein bester Freund! Ich reiße mir für dich den Arsch auf und du willst es mir nicht einmal sagen?«, blafft er und klingt verbittert.

»Leo, es hat nichts mit dir zu tun, aber du würdest mich in einem anderen Licht sehen und ...«

»Ach, und Sura kann das?«, höhnt er und ich erkenne ihn für einen Moment gar nicht wieder.

Ich atme laut aus und lehne mich auf dem Stuhl zurück. »Es ist allein meine Entscheidung, wem ich es anvertraue und wem nicht.«

Wir starren uns gegenseitig an, bevor Leo nickt. »Du hast recht. Tut mir leid, dass ich dich so angegangen bin, aber ich habe mich für einen Moment übergangen gefühlt«, entschuldigt er sich und wirkt nun wieder wie den Leo, den ich kenne. Offenbar geht in meine Hinrichtung ebenfalls an die Nerven. Kein Wunder, er hat mein Schicksal seit einem halben Jahr mitverfolgt.

»Schon gut«, murmle ich und er lächelt mir verzeihend zu. Wir unterhalten uns noch über ein paar belanglose Sachen und vermeiden das einzige Thema, was uns sowieso im Kopf herum geht. Meine Hinrichtung.

ENEMIESWhere stories live. Discover now