Kapitel 58

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Sura

Eine Woche und ein Tag bis zur Hinrichtung

Der Cursor in meinem Schreibprogramm blinkt unaufhörlich und verspottet mich mal wieder stumm, dass ich in der Stunde die ich bereits im Büro bin, kein einziges Wort zu Papier gebracht habe. Stattdessen starre ich lieber den leeren Bildschirm an und denke über das nach, was ich dank Susan über Jason erfahren habe.

Nach wie vor kann ich es nicht fassen. Wieso hat er mir das nicht erzählt? Auf der einen Seite verstehe ich ihn, doch auf der anderen ... Er sagt, er empfindet etwas für mich, verschweigt mir aber so ein pikantes Detail.

Nachdem ich seine Akte gelesen habe, wundert es mich nicht mehr, dass er unehrenhaft bei den Navy Seals entlassen wurde. Wahrscheinlich weiß das nicht mal Leo, denke ich mir besorgt und schließe kurz die Augen, um nachzudenken.

Meine Chefin würde vermutlich wollen, dass ich direkt einen Artikel darüber schreibe. Auf gar keinen Fall, darf sie davon erfahren.

Ich beschließe, nach der Arbeit mit Leo darüber zu sprechen. Zwar hatte ich vor, zu Jason ins Gefängnis zu fahren und ihm beizustehen, da Phil ja gestern hingerichtet wurde, aber ich kann das heute einfach nicht. Er würde wahrscheinlich sofort merken, dass etwas mit mir nicht stimmt und ich mich anders als sonst benehme. Es ist besser, wenn ich das erst einmal verarbeite und mir Gedanken darüber mache, was diese Akte über Jason aussagt.

»Sind Sie fertig mit dem Artikel, Sura?«, reißt mich Mrs. Billings aus meinen Überlegungen und ich zucke wie immer ertappt zusammen.

»Ähm, noch nicht, ich ...«

»So konzentriert wie Sie ihren Bildschirm angestarrt haben, dachte ich, dass Sie bereits Korrektur lesen.« Sie lächelt mich hämisch an und ich spüre, wie ich etwas blasser werde. Ihr ist offenbar klar, dass ich heute den ganzen Tag nichts Brauchbares zustande gebracht habe.

»In einer halben Stunde bin ich fertig«, sage ich, obwohl ich nach wie vor keine Ahnung habe, was ich so recht schreiben soll.

»Gut. Danach kümmern Sie sich bitte noch darum und schreiben einen Artikel zu dem Autounfall gestern an der Flent Street, okay?« Mechanisch nicke ich und sie hält mir einen dicken Stapel Akten hin. Damit bin ich wohl erst einmal bis nach dem Mittag beschäftigt, denke ich mir grimmig, setze aber dennoch mein bestes Lächeln auf.

»Natürlich.« Sie wirft mir noch einen prüfenden Blick zu, bevor sie wieder in ihr Büro verschwindet.

»Blöde Kuh«, murmle ich leise und krame meinen Notizblock von gestern heraus.

Nach einer Stunde habe ich es dann doch endlich geschafft, den Artikel über Phil zu schreiben. Meine Chefin wird ihn gut finden, aber ich halte ihn für absolut nichtssagend. Der Bericht sagt rein gar nichts über den Menschen aus, der er einmal war.

Ich lese ihn ein letztes Mal Korrektur, bevor ich ihn per Mail an Mrs. Billings schicke. Wie sich wohl gerade Jason fühlt, geht es mir plötzlich durch den Kopf, doch ich verdränge den Gedanken schnell wieder.

Stattdessen schnappe ich mir mein Handy und schreibe Leo eine Nachricht, ob wir uns heute Abend bei mir treffen könnten. Ich muss mit ihm einfach über die Akte sprechen. Mittlerweile denke ich mir, dass es ganz gut war, dass Leo die Mappe nicht vorher bekommen hat.

Um Jasons Unschuld zu beweisen, hätte sie nicht gerade geholfen. Im Gegenteil. Mir stellen sich die Nackenhaare auf bei diesem Gedanken. Ich glaube nach wie vor, dass er Aaron Jones nicht getötet hat, aber diese Akte bringt mich dennoch zum Zweifeln und macht mir bewusst, dass ich absolut keine Ahnung habe, was Jason überhaupt für ein Mensch ist.

ENEMIESWhere stories live. Discover now