Kapitel 34

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Sura

Jason mustert mich, als würde er mich das erste Mal richtig sehen. Sein Mund steht offen und der Ausdruck in seinen Augen bringt mich dazu, dass ich meinen Blick kurz abwenden muss.

»Hey«, sage ich einen Augenblick später vorsichtig und überwinde mich erneut, ihn anzusehen.

Jason antwortet mir nicht, sondern gewinnt stattdessen seine Fassung wieder und setzt sich etwas aufrechter auf der Liege hin. Sein durchbohrender Blick richtet sich nun auf Leo.

Dieser geht weiter auf ihn zu und ich folge ihm langsam. Unauffällig mustere ich Jason, da er es nun nicht mitbekommt. Mir fällt auf, dass er abgenommen hat. Oder kommt es mir nur so vor? Zumindest wirkt sein Gesicht eingefallener und blasser. Unter seinen grünen Augen zeichnen sich dunkle Ringe ab und tiefe Falten haben sich um seine Mundwinkel gegraben. Die waren vorher definitiv noch nicht da, da bin ich mir sicher.

Gedanklich blitzt das Bild von ihm auf, wie er damals als Seal im Einsatz aussah. Viel gemeinsam hat er mit dem einst starken und glücklichen Mann nicht mehr. Das Gefängnis hat ihn deutlich gezeichnet und seine Spuren hinterlassen.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als die beiden plötzlich hitzig miteinander diskutieren.

»Wieso bringst du sie mit hierher, Leo? Bist du jetzt komplett irre?! Was ist, wenn das jemand herausfindet?«, knurrt Jason.

»Das kommt nicht raus. Keine Sorge. Die Wärter und den Arzt habe ich geschmiert. Sie werden schweigen wie ein Grab«, erklärt Leo und ich horche auf. Er hat sie bestochen?!

»Du hast was?!«, blafft Jason und ich zucke zusammen. »Was soll diese ganze Aktion überhaupt?«

»Sura will dir ein paar Fragen stellen und sie wollte das ohne Zuhörer tun. Es gab keine andere Möglichkeit und es ist wichtig, Jason.«

Wütend schüttelt er mit dem Kopf und murmelt etwas unverständliches vor sich hin. Irgendwie hatte ich erwartet, dass er anders reagiert. Vielleicht sogar, dass er sich freut, mich zu sehen. Gott, bin ich naiv, denke ich mir zeitgleich. Wieso sollte er sich freuen? Ich bin nur eine verfluchte Reporterin, die sich ein wenig in seinen schönen sanften Augen verloren hat.

Ich gewinne meine Fassung wieder und richte endlich das Wort an Jason. »Wir haben nicht viel Zeit. Wenn es also okay wäre, würde ich jetzt gerne anfangen«, sage ich zu Jason. Ich bemerke, wie er die Zähne zusammenbeißt, sein böser Blick noch ernster wird und er schließlich nickt. »Erzähl mir bitte etwas über ...«

»Leo, würdest du uns bitte allein lassen?«, unterbricht mich Jason und ich sehe ihn erstaunt an. Auch Leos Gesichtsausdruck entgleitet für einen kleinen Moment.

»Wieso sollte ich?«

»Machst du es nun oder nicht?«, zischt Jason und Leo wendet sich mir fragend zu. Zaghaft nicke ich, um ihm zu zeigen, dass ich mit Jasons Wunsch einverstanden bin, und er verschwindet wieder im Nebenraum. Erst als Leo die Tür hinter sich geschlossen hat, hebt Jason eine Hand und bedeutet mir so, weiterzusprechen.

Mir wird bewusst, dass wir nun wirklich komplett alleine sind. Ich stehe einem Mann gegenüber, der womöglich einen Menschen bestialisch ermordet hat und dafür bald hingerichtet wird. Das warme Gefühl, das sich dennoch in meiner Brust ausbreitet, je länger ich ihn betrachte, kann ich mir selbst nicht wirklich erklären. Ich muss verrückt geworden sein, dass ich etwas für ihn empfinde. Langsam gehe ich noch einen Schritt auf ihn zu und räuspere mich, bevor ich ihm endlich meine Frage stelle. »Was kannst du mir über Brandon Thompson erzählen?«

Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, erscheint ein harter Ausdruck auf seinem Gesicht und ich kann förmlich sehen, wie er seine Schutzmauern hochzieht.

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