Kapitel 35

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Sura

Ich stehe mit Leo auf dem Gefängnisparkplatz und atme gierig die frische Luft ein, in der Hoffnung, so wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Beinahe hätte ich Jason geküsst. Bin ich eigentlich total bescheuert? Wie konnte das nur fast passieren?

Prompt erinnere ich mich an seine zärtliche Berührung und bekomme erneut eine Gänsehaut.

Wie kann es sein, dass ausgerechnet er mir so sehr unter die Haut geht? Wieso setzt bei ihm mein normales Denkvermögen aus? Und warum bereue ich es irgendwie, dass der Kuss nicht einfach passiert ist? Ich muss wirklich von allen guten Geistern verlassen worden sein!

Ich verdränge diese Gedanken schnell und widme stattdessen meine Aufmerksamkeit Leo.

»Danke, dass Sie das arrangiert haben«, sage ich zu ihm und bringe ein kleines Lächeln zustande, dass hoffentlich nicht so zittrig aussieht, wie ich mich momentan fühle. Noch immer sind meine Beine wie Wackelpudding und ich habe die Befürchtung, dass sie jeden Moment ihren Dienst quittieren werden.

»Kein Problem. Hat es etwas gebracht?«

»Er hat mir, nach gutem Zureden, ein wenig über seinen ehemaligen besten Freund erzählt. Ich werde Brandon am Montag aufsuchen und versuchen mit ihm zu reden«, erkläre ich ihm und lasse den Rest der Begegnung willentlich aus.

»Vielleicht haben Sie mehr Glück wie ich. Bei mir hat er damals direkt abgeblockt, als ich nur ansatzweise auf Jason zu sprechen gekommen bin.« Ich presse die Lippen zusammen und sage nichts dazu. Die Befürchtung, dass Thompson das bei mir ebenfalls machen wird, ist groß. »Jason hat Ihnen also erzählt, was zwischen den beiden vorgefallen ist?«, hakt er nach, nachdem ich immer noch schweige.

»Ich weiß, dass Brandon mit Jasons Freundin fremdgegangen ist und das er wenig später aus der Truppe geflogen ist.«

»Das er jetzt bei der Polizei ist, wissen Sie ebenfalls, oder?« Ich nicke. »Dann wissen Sie auch, dass er Jason mit verhaftet hat?«

Ich blinzle ihn erstaunt an und in meinem Kopf dreht sich prompt alles. Er hat Jason mit verhaftet?! Wieso hat er mir das nicht erzählt? Das rückt die ganze Sache natürlich noch einmal in ein anderes Licht!

»Sie sehen überrascht aus, Sura«, bemerkt er und ich versuche meinen erstaunten Gesichtsausdruck ein wenig unter Kontrolle zu bekommen.

»Das bin ich in der Tat. Davon wusste ich nichts. Klingt so, als wäre das nicht gerade ein Zufall.«

Leo presst die Lippen zusammen und hebt seinen Aktenkoffer hoch, den er neben sich abgestellt hatte. »Das sehe ich genauso. Jason schwört, dass Brandon nichts mit der ganzen Sache zu tun hat, aber für mich stinkt das alles nach einem riesigen Komplott. Übrigens habe ich noch etwas zu berichten, was Sie mit Sicherheit interessiert.«

Ich hebe fragend eine Augenbraue an. Ein Grinsen bildet sich auf seinem Gesicht, bevor er mir antwortet. »Mr. Alkim, der Mann, der mit Jones Streit hatte, wollte bei mir einen Termin. Er kommt nächste Woche Donnerstag neun Uhr zu mir ins Büro. Ich bin gespannt, auf was das hinausführen soll«, sagt er und wirkt dabei höchst zufrieden.

Statt Freude schrillen in meinem Kopf direkt alle Alarmglocken los. »Wieso wollte er einen Termin bei Ihnen?«, frage ich misstrauisch und verschränke meine Arme vor der Brust.

»Bestimmt weil er einen Anwalt braucht«, antwortet er sarkastisch und ich rolle mit den Augen. »Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, Sura. Aber es wäre ein Fehler, diese Möglichkeit ungenutzt verstreichen zu lassen. Wir haben nicht mehr viel Zeit, um Jason vor der Giftspritze zu bewahren.« Seine Stimme ist mit jedem Wort leiser geworden und er sieht mich traurig an.

»Ich weiß, Leo. Aber was ist, wenn das eine Falle ist? Das kommt mir alles ziemlich seltsam vor. Ich kreuze bei seiner Sekretärin auf und stelle ihr ein paar unangenehme Fragen und wenig später will er einen Termin bei Ihnen. Sagen Sie den Termin lieber ab.«

»Was wollen die schon machen? Mich töten? Wohl kaum. Das wäre viel zu auffällig. Machen Sie sich keine Gedanken, das wird schon gut gehen.« Ich schnaube lediglich und er lächelt mir erneut aufmunternd zu. »Übrigens reiche ich am Mittwoch den ersten Gnadengesuch ein. Sollten Sie also bis dahin etwas herausfinden, geben Sie mir bitte direkt Bescheid.«

»Mach ich. Aber was ist, wenn der Antrag abgelehnt wird?« Mir schnürt sich bei meiner eigenen Frage der Hals zu und ich spüre, wie mir schwindlig wird, sobald ich daran denke, dass es mit Jason wirklich vorbei sein könnte.

»Dann werde ich zwei Tage vor der Hinrichtung erneut einen stellen. Hoffen wir, dass wir bis dahin die Öffentlichkeit auf unserer Seite haben. Wenn nicht ... Nun, daran denken wir lieber vorerst nicht.« Ich nicke, da ich zu einer Antwort gar nicht fähig bin. »Ich versuche für Mittwoch noch einmal so ein Treffen zwischen Ihnen und Jason zu arrangieren. Bis dahin, Sura und passen Sie auf sich auf.« Er reicht mir seine Hand und ich erwidere seinen Händedruck.

Leo nickt mir kurz zu, bevor er sich zu seinem Wagen dreht und einsteigt. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen bleibe ich noch einen Moment stehen und atme tief durch. Als meine Hände nicht mehr ganz so stark zittern, steige ich ebenfalls in mein Auto und fahre heim. Es wird höchste Zeit, dass ich über die Neuigkeiten, die ich heute erfahren habe, nachdenke und entscheide, was ich damit anfangen werde.

ENEMIESWhere stories live. Discover now