Kapitel 64

195 8 2
                                    

Sura

Egal wie sehr ich mich dagegen wehre und versuche nicht mehr daran zu denken, der Albtraum hängt mir immer noch nach. Mein Herz klopft nicht aufgeregt wie sonst, wenn ich auf Jason warte, sondern ein seltsames Gefühl der Leere und Ungewissheit hat sich in mir breit gemacht.

Ich lehne mich auf dem Stuhl zurück und versuche mich etwas zu beruhigen, doch auch das ist sinnlos. Konzentriere dich, Sura, denk dran, warum du überhaupt hier bist, erinnere ich mich selbst und straffe meine Schultern.

Als ich Schritte auf dem Gang höre, setze ich mein bestes Lächeln auf und versuche nicht mehr ganz so trübsinnig zu wirken. Jason soll auf gar keinen Fall denken, dass irgendetwas nicht stimmt. Tatsächlich ist zwischen uns ja alles okay. Nur mein Unterbewusstsein will mir offenbar einen Streich spielen und meine schlimmsten Ängste wieder ans Licht holen. Dabei hatte ich mich so gut davon erholt. Aber das werde ich mir nicht kaputt machen lassen!

Die Tür hinter der Glasscheibe öffnet sich und Jason tritt in seiner weißen Gefängniskleidung ein. Er lächelt mir zu, bevor er sich umdreht, damit sie ihm die Handschellen abnehmen können.

Obwohl ich vorher keinen Anflug von Aufgeregtheit empfunden habe, spüre ich jetzt, wie mein Puls etwas schneller geht, als er eigentlich sollte und wie sich erneut der Traum in meine Gedanken schleichen will.

Jason setzt sich mir gegenüber und ich bemerke, dass er geschafft und ausgelaugt wirkt. Dennoch schenkt er mir ein kleines Lächeln und greift nach dem Hörer. Auch ich nehme meinen ab und rutsche etwas näher an die Scheibe heran. Wenn wir uns doch nur richtig gegenübersitzen und berühren könnten ... Es würde mir schon reichen, wenn er einfach nur meine Hand halten würde. Wahrscheinlich könnte das ausreichen, um diese albernen Gedanken vollends zu vertreiben.

»Schön, dass du da bist, Sura«, begrüßt mich Jason und ich konzentriere mich auf ihn und schwelge nicht weiter in Vorstellungen.

»Hey, Jason. Wie geht es dir? Alles okay?«, frage ich besorgt und er weicht kurz meinem Blick aus.

Er zögert einen Moment, bevor er mir antwortet. »Könnte besser sein.«

Ich seufze, da ich mir vorstellen kann, was ihn so beschäftigt. »Es ist wegen Brandon und Mira, nicht wahr?«, erkundige ich mich leise und er nickt. »Es ist furchtbar, was den Beiden zugestoßen ist. Ich wünschte, ihr hättet euch noch miteinander aussprechen können.«

»Wozu?«, murmelt Jason und ich runzle die Stirn.

»Damit ihr die Vergangenheit hättet endlich abhaken können.«

Jason lacht freudlos auf und mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken. Tatsächlich hatte ich eine ganz andere Reaktion von ihm erwartet. Ich hatte angenommen, dass er mies drauf ist, weil er nicht reinen Tisch machen konnte. Wie immer lag ich falsch mit meiner Vermutung.

»Die Zwei hätten nichts sagen können, was das Geschehene hätte wieder gut machen können«, sagt er und klingt dabei so verbittert, dass ich kurz zusammenzucke.

»Jason, es bringt nichts, wenn du ihnen noch weiter grollst ...«

»Woher willst du das wissen?«, unterbricht er mich barsch und ich blinzle erstaunt.

»Das kann ich nicht«, gestehe ich. »Ich wollte dir wirklich nicht zu nahe treten, Jason. Es ist furchtbar, was sie dir damals angetan haben. Aber sie sind beide tot. Nichts kann das mehr ändern. Wenn du weiter darüber nachdenkst über das was-wäre-wenn, bringt dich das absolut nicht weiter. Ich bin für dich da, wenn du über all das reden möchtest.«

»Ich will nicht darüber sprechen«, sagt er ernst und blickt mich zornig an.

Frustriert seufze ich und streiche mir eine Strähne hinter das Ohr. »Ich bin heute eigentlich nur hierher gekommen, weil ich dachte, es würde dich noch beschäftigen. Da lag ich wohl falsch«, murmle ich. Wie kann er nur so drauf sein? Stumpft man etwa tatsächlich so sehr ab, wenn man im Gefängnis sitzt? Oder liegt das an seiner aufbrausenden und impulsiven Art?

ENEMIESWhere stories live. Discover now