Kapitel 83

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Jason

Vier Stunden und dreißig Minuten bis zur Hinrichtung

Quälend langsam verstreicht die Zeit und mittlerweile wünsche ich mir sogar, dass es endlich soweit ist. Was soll jetzt schon passieren? Sura darf mich hier nicht besuchen, da sie kein Familienmitglied ist und Leo wird nicht noch einmal auftauchen, nachdem ich ihn heute Morgen so vergrault habe. Er wird lediglich bei meiner Hinrichtung dabei sein und sich danach um meine Beerdigung kümmern.

Bei diesem Gedanken muss ich schlucken. Ich werde wirklich sterben. Es ist eine Quälerei, dass man bereits Wochen vorher weiß, welchen Tag und welche Uhrzeit man stirbt.

In meinem Kopf dreht sich alles und ich lege mich wieder auf mein Bett. Mir ist übel und ich frage mich nun doch, wie es sich anfühlen wird. Allein bei dem bloßen Gedanken daran schlottern meine Knie.

Was Sura wohl gerade macht? Versucht sie noch immer, Beweise zu finden? Ich schließe meine Augen, um ihr hübsches Gesicht vor mir zu sehen.

Auf der einen Seite hoffe ich, dass sie heute Abend mit dabei ist. Aber andererseits möchte ich auch nicht, dass sie mich so sieht. Ich kneife die Augen zusammen, um die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben.

Einen Augenblick später setze ich mich auf, da ich einfach keine Ruhe finde. Wenn sie mich doch wenigstens die letzten Stunden bis zu meinem Tod noch auf den Hof herauslassen würden. Aber wahrscheinlich glauben sie, dass das Ausbruchsrisiko zu hoch ist. Vermutlich haben sie damit auch recht. Ich bin jetzt an einem Punkt, an dem ich mir lieber eine Kugel einfange, als das ich noch länger untätig herumsitzen und warten muss. Schließlich gibt es keinerlei Hoffnung mehr.

»Häftling 3367«, ertönt es und ich blicke zur Zellentür. Der Spalt wird aufgeschoben und fast schon mechanisch, halte ich meine Hände dadurch. Mittlerweile habe ich diesen Befehl so verinnerlicht, dass ich mich nicht mehr wie zu Anfang frage, ob ich mich wehren soll.

Einen Moment später geht die Tür auf und man legt mir die Fußschellen an, bevor sie mich raus führen. Der eine von den Beiden grinst mich an und ich muss mich zusammenreißen, damit ich ihn nicht einfach vor die Füße spucke. Vermutlich will er genau das erreichen. Damit er einen Grund hat, mir seinen Knüppel über den Kopf zu ziehen.

Sie bringen mich in einem Raum zwei Türen weiter und als ich das Zimmer betrete, schlägt mein Herz schneller. Es ist fast so eingerichtet, wie das Arztzimmer im anderen Trakt. Für einen Moment glaube ich, dass Sura wohl gleich erscheinen wird, doch lediglich der ältere Arzt kommt herein. Meine Schultern sacken nach unten und ich versuche, die Enttäuschung zurückzuhalten.

»Guten Tag«, begrüßt er mich und ich nicke bloß. Die Wärter dirigieren mich zu der Liege und sie verlassen nicht wie beim letzten Mal den Raum. Offenbar wollen sie kein Risiko eingehen. »Sie müssten mir bitte bloß ein paar gesundheitliche Fragen beantworten, danach werden Sie zum Duschen gebracht.«

»Wieso?«

Irritiert sieht der Arzt von seinem Klemmbrett auf. Offenbar hatte er nicht erwartet, dass ich Widerstand leisten würde. »Wie bitte?«, fragt er und ich bemerke aus dem Augenwinkel, wie sich der Wärter neben mir versteift. Anscheinend rechnet er gleich damit, dass ich ausflippe.

»Warum sind diese Fragen notwendig? Ich sterbe doch sowieso«, blaffe ich und ziehe die Augenbrauen wütend zusammen.

Der Arzt legt sein Klemmbrett zur Seite und blickt mich durchdringend an. »Seit ein paar Wochen ist dies eine neue Vorschrift. In der Vergangenheit kam es leider zu ein paar Komplikationen bei der Hinrichtung. Deshalb muss ich von Ihnen wissen, ob Sie Herzprobleme oder andere Krankheiten haben.«

»Habe ich nicht«, brumme ich, obwohl ich am liebsten gar nicht geantwortet hätte. Doch der Arzt wirkt so freundlich und nachdenklich, dass ich nicht weiter unhöflich zu ihm sein kann. Er stellt mir noch mehr Fragen, die ich knapp beantworte.

»Sehr schön. Ich vermerke das dann alles.« Er macht Anstalten aufzustehen, doch ich räuspere mich und er wendet sich noch einmal mir zu.

»Werden Sie mir nachher die Spritze verabreichen?«, erkundige ich mich und meine Stimme klingt ganz kratzig.

»Es widerspricht meinen Kodex, den ich als Arzt geschworen habe. Daher nein, eine Arztgehilfin wird das ausführen.« Sein Gesichtsausdruck wirkt verabscheuend und ich schätze, er ist von der Todesstrafe nicht allzu angetan. Kein Wunder, schließlich ist sie wirklich menschenverachtend. »Gut, wenn sonst keine weiteren Fragen gibt, war es das schon«, verabschiedet sich der Arzt von mir und drückt einmal kurz meine Schulter, bevor er den Raum wieder verlässt.

Die Wärter befehlen mir, mich hinzustellen und bringen mich, wie der Arzt schon gesagt hatte, zum Duschen.

Ich lasse mir Zeit dabei und genieße es, wie Wassertropfen über meinen Kopf perlen. Es ist das letzte Mal, dass ich es fühlen werde. Bald ist es vorbei, denke ich mir und stöhne vor Verzweiflung leise auf.

»Deine Zeit ist um«, brüllt ein Wärter und das Wasser wird einen Augenblick später abgeschaltet.

Ich lehne meine Stirn an die kalten Fliesen und atme tief durch. Jetzt gibt es nur noch meine Henkersmahlzeit und anschließend kommt der Priester, mit dem ich sowieso nicht sprechen werde. Danach geht es los. Meine Beine fühlen sich wacklig an bei diesem Gedanken, doch ich lasse mir nichts anmerken, als ich mich mit einer ernsten Miene zu den Wärtern umdrehe und wieder anziehe.

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