Kapitel 76

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Sura

Im Büro angekommen fühle ich mich schlapp und ausgelaugt. Ich kann es nicht fassen, dass ich Jason tatsächlich das letzte Mal gesehen habe.

Danach werde ich ihn nie ... Nein, denk nicht mal dran, Sura, ermahne ich mich selbst und atme tief durch. Noch ist es nicht vorbei. Vielleicht erreiche ich heute Nachmittag mehr und kann ihn so doch vor seinem düsteren Schicksal bewahren.

Kaum habe ich mich auf meinen Bürostuhl gesetzt, taucht meine Chefin vor mir mit einem strahlenden Lächeln auf. »Sura, da sind Sie ja!« Sie grinst fröhlich und ich sehe mich verdutzt um. Offenbar meint sie tatsächlich mich.

»Ähm, ja«, murmle ich und sie strahlt noch breiter.

»Kommen Sie sofort mit ins Büro«, fordert sie mich auf, klingt dabei jedoch vergnügt und nicht streng wie sonst. Was zum Teufel ist hier nur los, frage ich mich und blicke hilfesuchend zu Jeffs Schreibtisch, doch dieser ist leer. Offenbar ist er bei Susan, denke ich mir und folge meiner Chefin.

Ich schließe die Tür und sie dreht ihren Monitor zu mir, kaum das ich mich gesetzt habe. »Sehen Sie nur!«, sagt sie erfreut und zeigt auf einen Artikel. Ich brauche einen Moment bis ich begreife, dass es mein Artikel von Freitag über Jason ist.

»Was ist damit?«, frage ich etwas dümmlich nach, da ich nach wie vor nicht verstehe, warum sie so aus dem Häuschen ist.

»Die Klickzahlen!« Sie tippt auf die Anzeigestelle und meine Augen weiten sich, als ich diese abstruse Zahl realisiere.

»Das kann nie und nimmer stimmen«, entfährt es mir entsetzt.

»Oh doch! Ich habe sie dreimal nachprüfen lassen! Damit haben Sie jegliche Rekorde von unserer Zeitung gebrochen. Auch die anderen Artikel sind in die Höhe geschnellt. Unglaublich!«

Ich nicke, obwohl ich mich nicht so sehr darüber freue, wie sie. Immerhin wird der Artikel nur so oft angeklickt, weil Jasons Hinrichtung kurz bevor steht. Die Leser ergötzen sich mal wieder an dem Leid anderer.

»Sie freuen sich ja gar nicht«, stellt meine Chefin unnötigerweise fest und ich setze eilig ein falsches Lächeln auf, bevor sie nachfragt warum.

»Doch, natürlich, Mrs. Billings. Ich bin lediglich sehr überrascht.«

»Das war ich ebenfalls. Haben Sie bereits mit dem Artikel begonnen, der Mittwoch erscheinen soll?«

Ich nicke, obwohl dem Mal wieder nicht so ist. Schließlich hatte ich in den letzten Tagen wichtigeres um die Ohren.

»Sehr gut. Wie gesagt, beschreiben Sie ausführlich die Tat und auch, dass es so ungewöhnlich ist, dass Jason so schnell hingerichtet wird, in Ordnung?«

»Geht klar.«

»Bauen Sie auch noch etwas persönliches ein. Beispielsweise, wie sie ihn fanden und wie er sich verhalten hat in den letzten vier Wochen. Am Freitag bringen wir dann noch einen Artikel. Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: Der Mann hinter dem bestialischen Mord.« Ihre Augen leuchten förmlich, als sie das sagt und ich muss mir auf die Lippe beißen, damit ich nicht einen bissigen Kommentar von mir gebe.

»Mach ich«, sage ich erneut und hoffe, dass sie fertig ist und ich mich an meine Arbeit machen kann, um mich von Jason abzulenken.

»Sehr schön. Sie haben sich in den letzten vier Wochen wirklich gemacht, Sura«, lobt sie mich und ich versuche zu lächeln. »Wenn Sie so weiter machen, dann werde ich Sie befördern.« Verdutzt mustere ich sie, sage jedoch nichts dazu, was sie allerdings keineswegs zu stören scheint. »Sie können jetzt gehen«, sagt sie und ich bin froh, dass ich nicht so tun muss, als würde ich mich über ihre Worte freuen.

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