Kapitel 8

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Sura

Das Gespräch mit Jason war kurz, aber dennoch aufwühlend. Ich habe zwar etwas außerordentlich Persönliches von mir preisgegeben, aber ich glaube, es hat sich gelohnt. Er hat ein wenig seine Schutzmauern eingerissen und mir einen Blick auf den Mann gewährt, bevor er inhaftiert wurde.

Je länger ich über ihn nachdenke, umso mehr wehrt sich etwas tief in meinem Inneren bei dem Gedanken, dass er ein Mörder sein soll. Irgendwie kann ich es nicht so recht in Einklang bringen.

Wie er gelächelt hat, als er sagte, wie stolz er war, ein Seal zu sein ... Und dennoch, irgendetwas ist faul an der ganzen Sache.

Ich muss unbedingt herausfinden, weshalb er unehrenhaft entlassen wurde. Vielleicht erlöschen so auch die rätselhaften und gemischten Gefühle die ich empfinde, wenn ich ihm gegenübersitze.

Nur wie finde ich heraus, weshalb er kein Seal mehr ist? Von alleine wird er es mir mit Sicherheit nicht erzählen. Er hat sofort dicht gemacht, als ich darauf zu sprechen gekommen bin, grüble ich.

Seufzend atme ich aus, stecke den Schlüssel ins Zündschloss und schalte mein Auto ein. Nachdenklich rolle ich von dem Parkplatz und mache mich auf den Weg ins Büro.

Mit Sicherheit warten noch eine Menge Berichte auf mich, die ich abtippen muss und meine Chefin will bestimmt wissen, was Jason heute so erzählt hat. Ich ziehe die Nase kraus, als ich daran denke.

Aus irgendeinem Grund widerstrebt es mir, auch nur einen Satz von dem zu erzählen, was mir Jason gesagt hat. Aber warum?

Er ist ein Mörder und bekommt seine gerechte Strafe. Auf gar keinen Fall sollte ich so etwas wie Sympathie für ihn entwickeln.

***

Im Büro angekommen laufe ich direkt Mrs. Billings in die Hände. Scheint fast so, als hätte sie mich erwartet.

„Hallo", begrüße ich sie und nicke freundlich. Sie strahlt mich über das ganze Gesicht an und ich erschrecke innerlich. Noch nie wurde ich so von ihr begrüßt. Normalerweise sieht sie mich immer missbilligend an.

„Hallo Sura! Legen Sie ihre Sachen ab und kommen Sie dann bitte direkt ins Büro. Ich würde gerne wissen, wie Sie mit Jason weitergekommen sind", sagt sie fröhlich und zischt auch schon wieder auf ihren hohen Absatzschuhen ab.

Ich blicke ihr mit gerunzelter Stirn hinterher und atme laut aus. „Ihr seid wohl jetzt beste Freunde?", ruft mir Jeffrey quer durch das riesige Büro zu und ich blicke zu ihm.

Er sitzt grinsend hinter seinem Schreibtisch und wirft mir Luftküsse zu. Idiot. Ich strecke ihm die Zunge heraus und lache anschließend. „Du bist doch nur neidisch!"

Jeff zuckt mit den Schultern und nickt. „Allerdings. Seitdem du nämlich dieses Super-spezial-Auftrag hast, muss ich als einziger von unserer Abteilung zu den Hinrichtungen. Schönen Dank auch", zischt er, meint es jedoch spaßig.

Ich presse die Lippen zusammen als mir das bewusst wird, lege meine Sachen auf meinem Schreibtisch ab und gehe zu ihm. „Tut mir echt leid. Ich weiß, dass es für dich genauso hart ist wie für mich, dorthin zugehen." Sanft lege ich eine Hand auf seinen Arm und er lächelt mir zu. Doch ich kenne ihn lange genug, um zu merken, dass es nicht echt ist.

„Schon gut, Honey. Wenigstens treffe ich dort Susan."

Sofort hellt sich mein Gesicht auf, als er den Namen meiner engsten Freundin sagt. Spontan habe ich eine Idee.

„Wie wäre es, wenn wir heute Abend zu dritt was essen gehen? Wir können ein bisschen quatschen und dich so von der Arbeit ablenken."

Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und mustert mich mit seinen blauen Augen. „Gute Idee", sagt er und dieses Mal ist das Lächeln echt. „Ich mache mit Susan etwas aus und gebe dir nachher Bescheid. Jetzt geh aber erst mal zur Oberzicke. Sie wartet schon auf dich."

Ich grinse, als er den Spitznamen für unsere Chefin nennt, den wir ihr vor ein paar Monaten gegeben haben.

Mit wackligen Knien gehe ich an den anderen Kollegen vorbei, die mich keines Blickes würdigen und klopfe zaghaft an ihrer Bürotür. Sie ruft mich ohne zu zögern herein und ich atme tief durch, bevor ich die Klinke herunterdrücke und hineingehe.

„Setzen Sie sich", sagt sie direkt und ich nicke. Ich lasse mich auf den harten Stuhl sinken und sehe mich ein wenig in ihrem Büro um, während sie noch etwas aufschreibt.

Es ist recht karg und lieblos hier drinnen. An den Wänden hängen keine Bilder und auf dem Fensterstock steht ein Kaktus, der bereits bessere Tage hinter sich hat. Genau wie ich.

„Also, Sura. Was hat Jason heute so gesagt? Wissen Sie schon das Motiv?", spricht sie mich an und ich zucke zusammen, während ich ihre Aktenschränke gemustert habe.

Ich räuspere mich und schüttle vorsichtig mit dem Kopf.

„Ähm, nein. Soweit sind wir noch lange nicht. Er hat mir ein wenig von sich erzählt, aber über den Mord selbst haben wir nicht gesprochen", beichte ihr und weiche ihrem Blick aus, als ich bemerke, wie sie mich misstrauisch anschaut.

„Ist das ein Witz?", blafft sie.

Ich rutsche prompt noch ein Stück tiefer. „Nein, Mrs. Billings. Jason ist nicht gerade der Häftling, der einfach drauflosredet. Immerhin bin ich die erste Reporterin, mit der er überhaupt spricht", füge ich noch schnell hinzu, als ich sehe wie ihre Nasenflügel beben und sie ihre rotgemalten Lippen fest zusammenpresst.

„Sie haben recht", sagt sie einen Moment später und ich rucke mit meinem Kopf hoch. Habe ich mich etwa geredet verhört?! „Jason ist kein einfacher Fall. Wissen Sie was, wir bringen ab jetzt jede Woche eine Schlagzeile über ihn. Sein Leben vor der Tat und irgendwann auch die Tat selbst. Mein Gott, die werden uns die Zeitungen aus der Hand reißen", prophezeit meine Chefin und mir schnürt sich die Kehle zu.

Jason hat mir all das heute im Vertrauen gesagt. Es geht niemanden etwas an. „Mrs. Billings", beginne ich vorsichtig, doch sie winkt nur ab.

„Sie machen das schon, Sura. Heute ist Donnerstag", murmelt sie und sieht auf ihren Tischkalender, während sie offenbar über etwas nachdenkt. „Bis Montag will ich einen kompletten Artikel über seine Vergangenheit, bevor er ein Seal wurde. Die Woche darauf will ich alles zu seinem Berufsleben wissen und die Woche vor seiner Hinrichtung alle schmutzigen privaten Details. Das wird super!" Sie klatscht aufgeregt in die Hände und ich zucke zusammen.

„Ich kann ihn doch nicht so an die Öffentlichkeit ausliefern. Es geht doch niemanden etwas an, dass seine Eltern früh gestorben sind und er ..."

„Ach, seine Eltern sind früh gestorben?", unterbricht mich Mrs. Billings und ich würde mir am liebsten auf die Zunge beißen. „Das erklärt, warum er zu einem Mörder wurde. Vielleicht hat ihm die Bezugsperson gefehlt? Daraus können wir eine richtige Schlagzeile machen, Sura! Fangen Sie schon mal an", sagt sie und das ist für mich das Zeichen, dass das Gespräch beendet ist.

Ich stehe langsam auf und gehe zur Tür. Als ich die Klinke in der Hand habe, drehe ich mich noch einmal zu ihr um. „Ja?", fragt sie, als sie bemerkt, dass ich nicht hinaus gehe.

„Meinen Sie, das ist wirklich richtig? Er ist ein Mensch und hat auch gewisse Rechte und ..."

„Er ist ein Mörder, Schätzchen. Lassen Sie sich nicht von seinem schönen Äußeren blenden und konzentrieren Sie sich auf ihren Job. Sie wollen doch befördert werden, oder?", zischt sie und ich nicke.

Ich verlasse das Büro, da mir bewusst wird, dass ich mit ihr sowieso nicht reden kann. Für sie ist Jason ein Mörder, der all das verdient hat. Eigentlich bin ich derselben Meinung, aber warum widerstrebt es mir so, solche privaten Sachen über ihn zu veröffentlichen?! Vorher hatte ich doch auch nie Reue oder ein schlechtes Gewissen.

*Hey ihr Lieben. <3 Ich hoffe, es hat euch wieder gefallen. :) Über Kommentare und Votes würde ich mich sehr freuen. Das nächste Kapitel gibt es wieder Sonntag. <3*

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