Kapitel 72

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Jason

Mit schnellen Schritten gehe ich über den Hof, sodass Dean kaum mithalten kann. Noch immer schwirrt in meinem Kopf Samuels Warnung und ich weiß nach wie vor nicht so recht, ob ich ihn glauben soll oder nicht. Warum sollte mich Dean verraten? Was hätte er davon? Einen Bonus beim Direktor? Wohl kaum.

Oder vielleicht doch, grüble ich und ziehe die Augenbrauen zusammen. Am liebsten würde ich ihn direkt darauf ansprechen, aber er würde sowieso alles abstreiten.

Ich werfe ihm einen Blick zu und bemerke, dass er mich gar nicht beachtet, sondern offenbar tief in Gedanken versunken ist. Wahrscheinlich grübelt er über seinen Ausbruch nach.

»Mann, hast du es heute eilig«, klagt Dean schnaufend und schließt wieder zu mir auf.

»Kann sein«, murmle ich und muss mir auf die Zunge beißen, dass ich ihm nicht den Grund nenne, wieso das so ist. Sura und Leo werden mich heute noch besuchen und ich bin langsam hippelig. Es ist das erste Mal seit Tagen, dass ich mich auf etwas freuen kann. Wenn uns nicht jemand in die Quere kommt, schießt es mir durch den Kopf und ich blicke erneut zu Dean.

Er grinst jedoch bloß und zieht eine Zigarette hervor. »Willst du auch eine Kippe?«, fragt er und ich schüttle mit dem Kopf.

»Verrätst du mir heute endlich, warum du hier so einen Sonderstatus hast?«

»Was meinst du damit?«, fragt Dean und nimmt einen tiefen Zug.

Ich zeige mit der Hand auf seine Zigarette und ziehe eine Augenbraue nach oben. »Das zum Beispiel. Hier herrscht strenges Verbot und du spazierst qualmend herum und keinen von den Wärtern interessiert das. Weißt du, als ich hier neu war, haben sie mal einen beim Rauchen erwischt und der hatte danach Einzelhaft.«

Dean winkt ab und grinst. »Die haben wahrscheinlich nur Schiss, dass ich sie genauso aufmische, wie die vier toten Cops wegen denen ich hier bin.«

Ich presse die Lippen zusammen und ziehe die Schultern nach oben, als ein besonders eisiger Windstoß geht. »Verarsch mich doch nicht. Was steckt wirklich dahinter?«

Deans Grinsen ist verschwunden und er wirkt ernst. »Weißt du, Jason, ich habe mich bei dir nie eingemischt und nachgebohrt, ob du diesen Jones tatsächlich abgeschlachtet hast. Also wende doch dasselbe Fingerspitzengefühl, wie ich es habe, auch bei mir an, klar?«

Sein Ton klingt bedrohlich und er tritt seine halb aufgerauchte Zigarette wütend auf dem Boden aus. Ich runzle die Stirn, als er direkt so aufgebracht ist. »Komm mal wieder runter. Es war nur eine Frage, weil ich mich gewundert habe, klar?« Dean will antworten, aber ich unterbreche ihn. »Und falls du es wissen willst, ich weiß nicht, ob ich den Typen getötet habe. Ich bin dazu fähig und würde es mir auch zutrauen, doch ich habe an diese Nacht keinerlei Erinnerung mehr.«

Meine Stimme klingt zornig und ich spüre, wie sich mein Körper anspannt. Adrenalin fegt durch meine Adern und am liebsten würde ich mich jetzt irgendwie oder besser an irgendjemandem abreagieren.

Dean kommt einen Schritt auf mich zu. »Es geht dich einfach nichts an. Also fang nie mehr mit diesem Thema an.«

Er ballt die Hände zu Fäusten, dreht sich um und läuft in die andere Richtung weiter. Warum macht er bloß so ein großes Geheimnis draus? Das machen die anderen hier drinnen auch nicht.

Ich schüttle über ihn den Kopf und mein Blick schweift zu Chims, der am anderen Ende des Hofes mit seinen Leuten herumsteht. Er nickt mir zu und ich weiß, was das bedeuten soll. Das seine Warnung nicht nur hohle Worte waren und nach Deans seltsamer Reaktion, glaube ich es sogar. Nur gut, dass ich Chims Ratschlag befolgt und Dean nichts von dem Treffen heute mit Sura erzählt habe. Wenn es dennoch Probleme geben sollte, dann gibt es wohl doch noch eine andere Ratte.

Statt darüber nachzudenken, lasse ich meine Gedanken zu Sura schweifen. Ich kann es kaum erwarten, sie heute endlich wiederzusehen. Tatsächlich hatte ich die Hoffnung gehabt, dass sie mittlerweile Beweise für meine Unschuld gefunden hat. Da dem jedoch nicht so ist, finde ich mich langsam damit ab, dass ich nur noch drei Tage zu leben habe.

Angst wallt in mir auf, sobald ich an die Hinrichtung denke, doch ich atme tief durch und erinnere mich kurzerhand wieder an Sura. Zu gerne wäre ich hier herausgekommen, um sie richtig kennenzulernen, aber das wird wohl nicht mehr passieren.

Obwohl ich eigentlich Panik haben müsste, empfinde ich fast so etwas wie tiefen Frieden. Vielleicht soll es einfach so sein.

***

Nach dem Hofgang, gehe ich rastlos in meiner engen Zelle umher. Wobei gehen zu viel gesagt ist. Ich trete eher von einem Fuß auf den anderen. Denn sobald ich mich auf meine Pritsche lege, spüre ich, wie ich unruhig und zittrig werde.

Mein Blick schweift zu dem Brief, der neben meinem Kopfkissen liegt. Ich habe ihn letzte Nacht geschrieben, als ich mal wieder nicht schlafen konnte. Er ist nicht perfekt, im Gegenteil. Aber dennoch will ich ihn heute Sura geben. Vielleicht versteht sie mich danach ein wenig besser.

Es bereitet mir sowieso schon Kopfschmerzen, wie sie wohl auf meinen Tod reagieren wird. Wird sie um mich weinen und trauern? Oder wird es sie womöglich gar nicht interessieren?

Ich seufze, weil ich ihr eigentlich noch so viel sagen will. Außerdem will ich Ihre Lippen noch einmal auf meinen fühlen und ihren Herzschlag an meiner Brust.

Himmel, ich höre mich schon wie ein Vollidiot an. Aber kein Wunder, schließlich bin ich rund zwanzig Stunden am Tag isoliert und sehne mich nach körperlicher Nähe. Wobei das, glaube ich, nicht nur der Grund ist, dass ich Sura so sehr begehre.

Sie ist die erste Frau nach Mira, die etwas in meinem Herzen berührt.

Kaum habe ich nur an meine Ex-Freundin gedacht, erinnere ich mich daran, dass sie tot ist. Genau wie Brandon.

Ich presse die Lippen zusammen und versuche mich abzulenken, um diesen Gedanken nicht zu vertiefen. Sie sind tot und ich bald genauso. Jetzt darüber nachzudenken und um sie zu trauern bringt in etwa so viel, wie mir die Freiheit auszumalen. Nämlich gar nichts.

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