Kapitel 28

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Jason

Mit schwungvollen Schritten werde ich von den Wärtern in Richtung abgetrennten Besucherraum geführt. Sofort ist mir klar, dass Leo dort auf mich wartet. Schließlich ist er der Einzige, mit dem ich alleine in einem gesonderten Raum sprechen darf.

Ich setze mein bestes Lächeln auf, nachdem die Wärter mir die Handschellen abgenommen haben, und nehme auf den Stuhl gegenüber von Leo Platz.

»Hey, Kumpel«, begrüßt er mich. »Wie geht es dir?«

»Passt schon. Und dir? Du siehst fertig aus.« Ich furche die Stirn, als ich die dunklen Augenringe nun deutlicher bemerke und wie fahrig er zwischen mir und seinen Zetteln hin und her sieht. Irgendetwas stimmt nicht.

»Geht so. Ist derzeit viel los in der Kanzlei und wenn ich ehrlich bin, bekomme ich so langsam auch Panik, weil die Tage immer weiter verstreichen, und du nach wie vor hier drin sitzt.«

Seufzend atme ich aus. Anscheinend bin ich der Einzige von uns Beiden, der sich mit meinem Schicksal langsam abgefunden hat. »Leo, du weißt genau, dass es hoffnungslos ist. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn wir Beweise finden, die mich entlasten. Sofern es überhaupt welche gibt.«

Leo fährt sich mit einer Hand über das Gesicht und sieht mich danach zerknirscht an. »Natürlich weiß ich das. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Sura hat immerhin schon kleine Fortschritte gemacht«, erklärt er mir und ich blicke ihn erstaunt an.

»Im Ernst?«, hake ich zweifelnd nach. Er nickt und mein Puls beginnt zu rasen. Vielleicht komme ich doch hier raus? Ich beiße die Zähne zusammen und versuche den Hoffnungsschimmer tief in mir zu unterdrücken.

»Aber es reicht noch lange nicht, um damit einen Gnadengesuch bewilligt zu bekommen. Wir bleiben dennoch dran. Wie läuft es sonst so hier drin? Hast du dir wieder neue Freunde gemacht?«, fragt er schmunzelnd und ich rolle mit den Augen.

»Die hassen mich hier drinnen alle. Neuerdings sitzt allerdings so ein junger Bursche mit bei mir. Irgendwie haben alle ziemlichen Respekt vor ihm, doch wir reden kein Wort miteinander. Phil ist mal wieder krank. Aber ich weiß nicht genau, was er hat.« Leo ist der Einzige, der weiß, dass Phil mein Freund hier drinnen ist. Ich habe ihm im Auftrag von Phil sogar gebeten seine Beerdigung zu planen. Immerhin wird er in zwei Wochen hingerichtet und möchte nicht auf einem anonymen Friedhof begraben werden. Ihn wird, so traurig es klingt, niemand vermissen. Also muss er sich selbst darum kümmern.

»Wer weiß, was er hat«, murmelt Leo schulterzuckend. Ich weiß genau, was er denkt. Phil stirbt so oder so. Ob heute oder in zwei Wochen ist eigentlich irrelevant. »Übrigens bin ich dabei eine kleine Überraschung für dich zu planen. Aber wenn es so weit ist, vermassle es bitte nicht und erinnere dich an meine Worte«, bläut er mir ein und lenkt damit wieder auf ein völlig anderes Thema.

»Das ich Sura schöne Augen machen soll?«, brumme ich und er nickt. »Hör mal, Leo. Sie ist eine nette junge Frau. Ich kann sie nicht einfach in irgendetwas reinziehen und sie so dermaßen an der Nase herumführen. Damit missbrauche ich ihr Vertrauen«, sage ich vorsichtig und höre selbst, dass ich besorgter klinge, als ich eigentlich wollte.

»Stehst du etwa auf sie?«, hakt er prompt nach und ich schüttle, ohne zu zögern, mit dem Kopf.

»Nein, natürlich nicht. Wobei ich sie auch nicht von der Bettkante schupsen würde. Aber trotzdem. So etwas können wir nicht bringen.«

»Wir sind schon längst dabei, falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte. Tisch ihr ruhig ein paar rührselige Geschichten auf, damit sie sich noch mehr reinkniet. Verstanden?«

In diesem Moment klingt er wie der knallharte Anwalt, als den ich ihn kennengelernt habe, sodass mir nichts anderes übrig bleibt als zuzustimmen.

»Okay. Wann reichst du einen Gnadengesuch ein?«, frage ich und hoffe, dass das Thema Sura damit beendet ist.

Er überlegt kurz, bevor er mir antwortet. »Den Ersten in circa zwei Wochen und dann noch einmal einen vierundzwanzig Stunden vor deiner Hinrichtung. Der Erste wird meistens abgelehnt, aber vielleicht haben wir Glück und wir finden Beweise, sodass sie gar nicht anders können.«

Ich schnaube frustrierend. »Glück. Der war gut. Weil ich davon ja auch in den letzten Monaten so viel hatte.«

»Ich komme die Tage mal wieder vorbei, Jason. Gib die Hoffnung nicht auf. Wir bekommen das hin, okay?«

»Klar«, antworte ich enthusiastischer, wie ich mich fühle.

Die Wärter bringen mich nach unserer Verabschiedung zurück in meine Zelle und ich lege mich auf das Bett, da ich nicht weiß, was ich sonst tun soll.

Hier drinnen kriecht die Zeit förmlich dahin und ich weiß nichts mit mir anzufangen.

Eigentlich warte ich den ganzen Tag nur darauf zum Essen, in den Hof oder zum Besucherraum gebracht zu werden. Ich frage mich, wie das die anderen Häftlinge aushalten die hier seit mehreren Jahren sitzen.

Eilig verdränge ich den Gedanken daran, dass es für mich sowieso bald ein Ende hat und schließe meinen Augen, um wenigstens jetzt ein wenig Schlaf zu finden.

***

Eilig packe ich meine Sachen zusammen und haste vom Trainingsplatz. »Oh, da hat es aber jemand eilig«, witzelt Tom und ich zeige ihm lachend den Finger, während ich zu meinem Auto renne.

Die letzten sieben Tage hatten wir eine Übung für unseren bevorstehenden Einsatz. Umso mehr freut es mich, dass wir heute ein wenig eher Schluss machen können und ich nach Hause kann. Ich kann es kaum erwarten, endlich meine Freundin, wieder in die Arme zu schließen.

Ein Lächeln bildet sich bei diesem Gedanken auf meinem Gesicht. Ich bin froh, dass sie mich in meinem mehr als waghalsigen Job unterstützt und sich nicht aufregt, wenn ich mal wieder mehrere Wochen nicht da bin. Schließlich ist das nicht selbstverständlich.

Ich schließe meinen Range Rover auf, steige ein und schieße förmlich über den Highway, in Richtung Heimat. Kurz überlege ich, ob ich Mira anrufen und ihr sagen soll, dass ich eher heimkomme, doch ich entscheide mich dagegen. Lieber werde ich ihr noch einen Strauß Rosen holen und sie damit überraschen.

Nach drei Stunden Fahrt und einem kurzen Zwischenstopp an der Tankstelle, komme ich vor unserem Haus an. Ihr Wagen steht vor der Tür und mein Herz macht einen aufgeregten Hüpfer.

Ich steige aus, gehe zur Tür und schließe mir auf. Im Inneren riecht es nach gekochtem Essen und prompt knurrt mein Magen. Hat sie etwa gewusst, dass ich eher heimkommen würde?

»Mira?«, rufe ich, doch nirgendwo ist eine Spur von ihr. Im Wohnzimmer und auch im Bad ist sie nicht. Als ich schon fast in den Garten sehen will, ob sie dort ist, höre ich ein Stöhnen aus dem Schlafzimmer.

Prompt stellen sich mir die Nackenhaare auf und in meinem Hals bildet sich ein Kloß. Nein, das darf nicht wahr sein! Sofort habe ich eine schlimme Befürchtung und stürze mit dem Strauß Rosen in der Hand die Treppen nach oben und reiße die Tür auf.

Meine Augen weiten sich und ich lasse die Blumen fallen, als ich registriere, dass Mira gar nicht in Gefahr ist, sondern sich stattdessen prächtig mit Brandon, meinem besten Freund, in unserem Bett amüsiert.

Mit einem Ruck wache ich auf und befinde mich wieder in der Gegenwart. Mein Herz klopft mir bis zum Hals und ich bemerke, dass meine Hände zu Fäusten geballt sind.

Was zum ... ? Wieso träume ich ausgerechnet jetzt davon, wie mich meine Exfreundin vor fünf Jahren mit Brandon betrogen hat?

Ich habe schon Ewigkeiten nicht mehr an sie gedacht. Warum also jetzt? Ich fahre mir mit der flachen Hand über das Gesicht, um mir den Schweiß wegzuwischen.

Vielleicht sollte ich diesen Traum einfach als Warnung deuten. Doch als Warnung für was?

Ich fahre mir erneut über das Gesicht, um die letzten Erinnerungsfetzen dieses bescheuerten Traumes abzuwimmeln.

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