Kapitel 12

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Am darauffolgenden Montag wache ich mit keinem guten Gefühl auf. Als ob etwas passieren würde.

Und nein, damit meine ich nicht, dass wir heute einen Vokabeltest in Spanisch schreiben, ich nicht gelernt habe und somit höchstwahrscheinlich verkacken werde.

Tatsächlich ist mir das sogar ziemlich egal. Und das muss schon was heißen.

Worüber ich mir wirklich Sorgen mache, sind die Schüler auf der Schule. Sicher werden sie alle, oder zumindest ein Großteil, gesehen haben, wie Alex und ich uns geküsst haben. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie sie mich damit heruntermachen.

Und das ist noch nicht einmal alles. Was ist, wenn sie Alex davon erzählen? Er selber ist zwar nicht mehr auf der Schule, aber sein Bruder und irgendwie würden sie es bestimmt schaffen.

Jetzt hatte ich einmal einen Jungen in dieser Gegend gefunden, den ich nicht abstoßend finde, und dann soll unsere Freundschaft wegen einem Abend kaputtgehen? Nein, danke.

Nichtsdestotrotz muss ich nun aufstehen. Meine Mom wird mich wohl kaum wegen so etwas daheim lassen. Dafür ist ihr es einfach zu wichtig, dass ich lerne und einen guten Abschluss kriege.

Und wenn ich noch länger hier im Bett liegen bleibe, wird sie mich herauszerren. Um dies zu umgehen, springe ich schnell auf und ziehe mich um.

Als ich unten im Esszimmer ankomme, sitzt Mom wie immer schon am Tisch und liest die Zeitung. Dad erwische ich manchmal auch noch, da er neuerdings morgens Fernsehen schaut und dabei nur selten die Zeit im Blick hat. Doch heute habe ich zu sehr getrödelt.

Demnach setze ich mich an den Tisch, mache mich an das Frühstück, das schon bereit steht, und schaue ab und zu mal in die Zeitung. Eigentlich ganz normal.

Allerdings sind meine Gedanken ganz woanders. Und anscheinend merkt man mir das unglücklicherweise an.

"Kyla, stimmt etwas nicht? Du wirkst du so abwesend", meint meine Mom auf einmal besorgt. Sie kennt mich einfach zu gut. Aber war ja klar, immerhin ist sie meine Mutter.

Leicht erschrocken blicke ich ihr ins Gesicht. Was soll ich jetzt machen? Ich kann ihr ja schlecht die Wahrheit erzählen. Sie ist zwar meine Mutter, aber das bedeutet nicht, dass sie wirklich alles, das in meinem Leben passiert, wissen muss.

Sie wird zwar nicht gerade darüber erfreut sein und es ist auch nicht das, was mir eigentlich solche Sorgen bereitet, aber immerhin lüge ich sie damit nicht an. Ich erzähle ihr einfach von dem Spanischtest heute.

"Na ja, wir schreiben heute einen Vokabeltest in Spanisch und ich habe vergessen zu lernen", erkläre ich also.

Nach einer langen Pause sagt sie dann: "Ein verhauener Test macht ja nichts aus. Sowieso, es ist nur ein Test, der zählt nicht so viel in deine Note. Aber schau bitte, dass das nicht noch einmal passiert."

Ich nicke und stehe so schnell wie möglich auf, obwohl ich noch nicht fertig mit dem Essen war. Doch so langsam nervt mich es schon, dass sie mich so dazu drängt. Wenn sie wüsste, dass ich meistens etwas anderes mache...

Nach guten 25 Minuten laufe ich schließlich schon zur Bushaltestelle. Glücklicherweise wohne ich nur wenige Meter davon entfernt, sodass ich, kurz bevor der Bus kommt, aus dem Haus gehen kann.

Natürlich steht Lori schon mit offenen Armen da. Jedoch wundere ich mich sehr über ihr Verhalten, denn auf der Party war sie auf der Seite ihres Freundes und hat mich sozusagen fallengelassen und jetzt möchte sie mich sofort in die Arme schließen. Es wirkt fast so, als hätten wir uns Monate nicht mehr gesehen.

Dennoch erwidere ich ihre Umarmung. So fies bin ich auch wieder nicht.

Ehe wir uns versehen, steht der Bus schon da und der Fahrer - glücklicherweise nicht der blöde - öffnet die Türen. Lori und ich kommen als zwei der letzten herein, weil sich die kleineren Kinder alle vorgedrängelt haben. Wie bereits erwartet, müssen wir wieder stehen. Was für ein toller Start in den Tag.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bleiben wir an der Bushaltestelle unserer Schule stehen und machen uns auf den Weg in die Hölle.

Na gut, so schlimm ist die Schule nun auch wieder nicht. Aber warten wir mal ab, vielleicht ist es heute doch der Fall.

Normalerweise kümmert es kein Schwein, wenn ich durch die Schulgänge laufe. Bisher bin ich für alle immer unsichtbar gewesen, als wäre ich ein Geist.

Doch an diesem Tag sieht plötzlich jeder in meine Richtung, sobald ich das Gebäude betreten habe. Ich fühle mich fast so wie der heißeste Badboy der Schule - nur bin ich kein Junge und auch nicht heiß.

Einen kurzen Augenblick bleibe ich stehen und schaue mich im Flur um. Dann allerdings setze ich mich in Bewegung und gehe in schnellem Tempo an allen vorbei ins Klassenzimmer. Dabei sehe ich die ganze Zeit zu Boden, damit auch keiner auf die Idee kommt, mich anzusprechen.

Kaum zu glauben, doch es hat wirklich funktioniert. Nun sitzen meine Freundin und ich auf unseren Plätzen, ohne dass wir aufgehalten wurden.

Wenn es so weiter geht, habe ich ja echt noch Glück gehabt.

***

Scheiße, was hieß das nochmal? Das hatten wir doch erst letztens. Warum weiß ich das nicht mehr?

Ja, ich bin gerade dabei, den Vokabeltest zu verkacken. Von insgesamt zwölf Wörtern konnte ich zwei ins Spanische übersetzen.

Da ich mittlerweile schon fünf Minuten auf das Blatt Papier starre und mir nichts mehr einfällt, beschließe ich, einfach abzugeben.

Also stehe ich von meinem Platz in der letzten Reihe auf - wir mussten uns vorhin umsetzen - und gehe nach vorne, um der Lehrerin das Blatt in die Hand zu drücken. Nachdem sie es kurz betrachtet hat, wirft sie mir einen kritischen Blick zu, aber dabei bleibt es.

Folglich kehre ich an meinen Platz zurück. Jetzt heißt es so lange warten, bis die anderen fertig sind.

Auf einmal vibriert mein Handy in meiner Jackentasche. Hab ich vergessen, es auszuschalten? Wer schreibt mir ausgerechnet jetzt?
Unauffällig greife ich danach und schaue nach.

Shawn.

Hey, was geht so?😎

Ich sitze gerade in der Schule und hoffe, dass mich keiner erwischt. Warum schreibst du mir ausgerechnet zu dieser Uhrzeit?

Oh, das tut mir leid. Das wusste ich nicht. Dann lass ich dich mal in Ruhe. Bitte schreib mir nachher zurück

Ja, mach ich. Bye❤️

"Kyla, was machst du da?", fragt meine Lehrerin mich plötzlich, obwohl sie direkt vor mir steht.

Dann streckt sie mir ihre Hand entgegen, was bedeutet, dass sie mein Handy konfiszieren will. Und weil ich nicht noch mehr Stress will, gebe ich es ihr.

Na toll, da hab ich mich heute Morgen wohl zu früh gefreut...

Internet Love | s.m.Where stories live. Discover now