Kapitel 25

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Wow. In meinen Vorstellungen sah er schon gut aus, aber die Realität übertrifft alles. Warum, verdammt nochmal, wollte er mir kein Bild von sich schicken? Dass er sich für sein Aussehen schämt, sollte zumindest nicht der Grund sein.

Schnell stehe ich auf, um mit ihm auf einer Höhe zu sein. Na ja, zumindest annähernd, denn er ist wirklich ein Riese. Ich glaube, selbst wenn ich Schuhe mit hohen Absätzen anhätte, würde er mich immer noch überragen.

"Also wenn sich nicht ein anderes Mädchen einfach hier hingesetzt hat, müsstest du Kyla sein", sagt er mit einem Grinsen, das mich schwach werden lässt. Deshalb bringe ich im Moment kein einziges Wort heraus, sondern nicke einfach nur.

Ich weiß nicht, wieso, aber plötzlich habe ich das dringende Bedürfnis, ihn zu umarmen. Zwar bin ich mir nicht sicher, ob das vielleicht zu früh ist, doch ich muss es einfach tun. Als Dank dafür, dass er wirklich gekommen ist.

Er scheint tatsächlich etwas überrascht zu sein, legt seine Arme dann aber auch um mich. Mich umgibt eine unglaubliche Wärme und ich fühle mich wohl, und das bei einem Typen, den ich zum ersten Mal in meinem Leben sehe. Hätte mir vor einem halben Jahr jemand gesagt, dass mir das passieren würde, hätte ich ihm den Vogel gezeigt.

Irgendwann endet leider auch dieser Moment und wir lösen uns voneinander. "Wollen wir uns setzen?", fragt Shawn und klingt dabei beinahe schüchtern, was vermutlich davon kommt, dass es mit den Mädchen bei ihm noch nie so richtig klappen wollte.

"Mm-hmm", mache ich, worauf wir es uns so gemütlich wie möglich auf der Decke machen. Dabei stelle ich fest, dass ich Kissen gut gebrauchen könnte. Aber ich möchte mich nun nicht bei ihm beschweren, dass er keine mitgenommen hat, eigentlich ist es auch gar nicht so schlimm.

"Jetzt sitzen wir wirklich hier und du weißt, wie ich aussehe", fängt der Braunhaarige dann an. Mittlerweile bin ich nicht mehr ganz so nervös, doch er wirkt immer noch angespannt. "Hast du jetzt einen anderen Eindruck von mir?" Was ist denn das für eine Frage?

"Ähm, nein, nicht wirklich. Für mich bist du immer noch der Junge, den ich über das Internet kennengelernt habe und den ich echt gern habe. Ich weiß, du hattest deswegen Angst vor dem Treffen, aber um ehrlich zu sein, verstehe ich das immer noch nicht ganz", gebe ich offen zu.

"Komme ich dir denn nicht irgendwie bekannt vor?", fragt er auf einmal, ohne mich über seine Sorgen aufzuklären. Für mich macht die Frage überhaupt keinen Sinn und steht in keinem Zusammenhang mit meiner Aussage davor. Meine Stimmung schwenkt von euphorisch zu verwirrt um.

"Nein, warum auch?", gebe ich leicht schnippisch, wenn auch ungewollt, von mir. Es schwirren so viele Fragen in meinem Kopf herum. Warum verhält er sich so komisch? Warum sollte er mir bekannt vorkommen? Mich kennt man ja auch nicht in ganz London. Auf der einen Seite macht es ihn noch interessanter, aber auf der anderen regt es mich aus irgendeinem Grund auf.

"Ach, nicht so wichtig", sagt er darauf leise und dreht sich von mir weg. Das lief ja mal richtig gut bis jetzt! So langsam glaube ich, hatte er wirklich recht und seine Angst war berechtigt. Andererseits ist es noch nicht zu spät.

Nach kurzem Schweigen meine ich deshalb: "Tut mir leid. Irgendwie kann ich nicht gut mit Jungs umgehen, am Anfang ist es nämlich immer schwierig. Und in der echten Welt ist das sozusagen ja auch unser Anfang, also mach dir keine Vorwürfe. Lass uns von Neuem anfangen!"

Endlich sieht er mich wieder an, was ich als Zustimmung deute. Demnach lächele ich ihn an und rufe beinahe: "Hey, ich bin Kyla und ich freue mich riesig, dich endlich richtig kennenzulernen." Damit bringe ich ihn ebenfalls zum Lächeln und ich weiß, dass die Situation gerettet ist.

"Die Freude ist ganz auf meiner Seite", entgegnet Shawn und ich muss lachen, weil es mich zu sehr an einen Adligen erinnert. "Hast du Hunger? Ich hab Erdbeeren dabei, wie du sicherlich schon gemerkt hast." Er hat mich vorhin wohl beobachtet.

Auch wenn ich noch nicht wirklich hungrig bin, kann ich auf dieses Angebot nicht verzichten. Folglich rücken wir beide näher an den Korb und stoßen dabei versehentlich mit unseren Köpfen zusammen. Obwohl es etwas weh tut, können wir nicht anders als darüber zu lachen. Ich glaube, das ist der Moment, in dem wir beide einfach unser Beisammensein genießen.

Als wir irgendwann auch die M&M's vernascht haben, sage ich: "Vielen Dank für das Picknick. Damit hast du mich wirklich überrascht. Aber bis zu unserem Candle-Light-Dinner dauert es sicherlich noch eine Weile, oder? Was machen wir in der Zwischenzeit?"

"Eigentlich hatte ich geplant, dir etwas zu zeigen, aber jetzt, da du nicht weißt, wer... Ähm, es ist einfach was dazwischengekommen", meint er und ich frage mich, was er sagen wollte und warum er es nicht getan hat. "Aber wenn du willst, können wir zu meinen Eltern und meiner Schwester oder in meine Wohnung."

"Moment, wissen deine Eltern also von mir?", möchte ich daraufhin wissen. "Ich meine, ist es nicht noch zu früh? Nicht dass ich keine Zukunft von uns sehen kann, denn das ist wirklich nicht der Fall, aber du weißt bestimmt, wie ich das meine." Ich rede mich wieder um Kopf und Kragen.

"Ja, ich verstehe dich. Und nein, meine Eltern wissen es nicht. Zumindest noch nicht. Jake ist tatsächlich der einzige, der von dir weiß", erklärt Shawn. "Wie gesagt, wir könnten das ändern."

Zwar hätte ich grundsätzlich nichts dagegen, seine Familie kennenzulernen. Dann könnte ich mich bei ihnen bedanken, dass sie Shawn zu einem so guten Jungen erzogen haben. Dennoch bin ich der Meinung, dass es keine gute Idee ist, denn wenn sie mir ans Herz wachsen, wird mir der Abschied noch schwerer fallen.

Deshalb schüttele ich meinen Kopf. "Lass uns lieber zu deiner Wohnung gehen. Ich finde es übrigens krass, dass du in deinem Alter schon ausgezogen bist. Ist für Jungs ja nicht besonders typisch." Neckend schlage ich ihm gegen die Schulter.

"Ich habe es für meine Familie getan. Vielleicht erzähle ich dir später Genaueres, aber jetzt nicht", sagt er hingegen ernst. "Ich rufe schnell Jake an."

Nachdem dies getan ist, packen wir zusammen und warten darauf, abgeholt zu werden.

Internet Love | s.m.Donde viven las historias. Descúbrelo ahora