Kapitel 73

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Noch etwas überrumpelt von der Erkenntnis, dass wir diese Stadt wirklich verlassen werden, bekomme ich gar nicht mit, wie meine Eltern mich fragen, ob alles in Ordnung mit mir ist. Es ist wie im Tunnel. Erst durch Shawn, der seine Hand auf meinen Oberschenkel legt, bin ich wieder völlig anwesend.

"Alles okay?", fragt dieser noch einmal. Als ich mich gefasst habe und mich ihm zuwende, sieht er sehr besorgt aus. "Sollen wir kurz raus an die frische Luft gehen, damit du es in Ruhe verarbeiten kannst?" Mom und Dad warten ebenfalls auf eine Antwort von mir.

"Ähm, nein, das ist nicht nötig", gebe ich endlich von mir. "Es ist nur... Auf der einen Seite freue ich mich auf Toronto", dabei zeige ich mit dem Kopf auf Shawn, "aber auf der anderen eben auch nicht. Ich muss meine beste Freundin, die ich schon seit dem Kindergarten kenne, hier zurücklassen."

"Im Leben muss man sich eben manchmal verabschieden", meint meine Mutter daraufhin. "Und es ist ja nicht so, dass ihr komplett den Kontakt abbrecht. Ihr könnt euch ja immer noch schreiben und miteinander videochatten. Und ich bin mir sicher, dass du nicht das letzte Mal in London sein wirst."

Damit hat sie wahrscheinlich recht. Mit einem Superstar an meiner Seite, der gerne auf Tour geht, komme ich sicherlich viel herum. Doch dann würden Lori und ich uns trotzdem nur einmal im Jahr treffen, was schon eine gewaltige Umstellung wäre. Deswegen sage ich: "Ja, aber es ist trotzdem etwas anderes."

Weil ich nicht möchte, dass wir weiterhin über dieses Thema disktutieren, stehe ich auf und gehe ich in den Gang, um mir die Schuhe anzuziehen. Zumindest habe ich das vor, doch im Endeffekt bleibe ich auf der Treppenstufe sitzen und starre meine Schuhe nur an. Es ist wirklich an der Zeit, dass ich Lori Bescheid gebe, aber es wird definitiv nicht leicht werden.

Auf einmal öffnet sich die Tür zum Wohnzimmer und Shawn kommt hervor. Nachdem er die Tür hinter sich wieder geschlossen hat, möchte er von mir wissen: "Was hast du vor? Du willst es ihr jetzt sagen, nicht wahr?" Wie gut er mich doch inzwischen kennt.

Also nicke ich. "Ja, ich sollte es nun wirklich tun. Nicht dass wir in zwei Tagen weg sind und sie nicht einmal weiß, warum", sage ich, während ich schließlich in meine Schuhe schlüpfe. "Das wäre echt das Schlimmste, das ich ihr antun könnte. Stell dir vor, du möchtest Brian besuchen, aber er ist nie da, und irgendwann erfährst du von den Nachbarn, dass er gar nicht mehr dort lebt."

"Das ist echt scheiße", stimmt der Braunhaarige mir zu, "aber ich hab deine Eltern gerade eben gefragt. Ihr habt noch eine Woche, um euch von London zu verabschieden. Und wo wir gerade bei Brian sind: Vielleicht haben die beiden schon eine so enge Bindung, dass Lori sich dazu entscheidet mitzukommen. Dann müsstest du dich gar nicht von ihr verabschieden."

Nachdem ich mir endlich auch die Schnürsenkel gebunden habe, stehe ich auf, um mir ein leichtes Jäckchen anzuziehen. "Das wäre schön. Aber ich kenne sie schon seit einer Ewigkeit und glaub mir, selbst wenn sie und Brian bereits ein Paar wären, würde sie ihre Familie nicht verlassen, sondern eine Fernbeziehung bevorzugen. Sie ist nicht aus London wegzukriegen."

Danach herrscht für einen Moment Stille. Anscheinend weiß Shawn nun nicht mehr, was er dazu sagen soll. Und eigentlich ist es auch egal, ob ihm noch etwas einfällt. Es wird eh nichts an der Tatsache ändern können, dass Lori's und meine Wege sich trennen werden.

Inzwischen stehe ich an der Haustür und habe meine Hand auf der Klinke abgelegt, da wird mein Freund selbst aktiv, greift nach seinen Schuhen und bittet mich: "Warte noch kurz, ich komme mit dir." Und so warte ich, bis er bereit ist, und dann machen wir uns gemeinsam auf den Weg.

***

"Hey!", begrüßt Lori uns fröhlich, nachdem sie uns die Tür aufgemacht hat, und umarmt jeden von uns. Ich erwidere die Umarmung zwar mehr oder weniger, doch meine Stimmung hebt sich kein bisschen - immerhin gibt es nun kein Zurück mehr - und das bleibt meiner besten Freundin natürlich nicht unbemerkt.

"Kyla, stimmt irgendetwas nicht? Du siehst so traurig aus", erkundigt sie sich besorgt bei mir und richtet ihren Blick auf Shawn, in der Hoffnung, etwas von ihm zu erfahren. Zwar weiß er, warum ich alles andere als glücklich gestimmt bin, zuckt aber nur mit den Schultern, wofür ich ihm dankbar bin. Es ist nämlich meine Aufgabe, es ihr zu sagen. "Warte, komm erstmal rein."

Mit kleinen Schritten begebe ich mich in ihr Haus und folge ihr in ihr Zimmer. Shawn, der hinter mir bleibt, achtet darauf, dass ich keinen Rückzieher mache. Als wir angekommen sind, stellen wir fest, dass sich niemand darin befindet. Das trifft sich gut, denn ich möchte unter vier Augen mit Lori sprechen.

"Wo ist Brian?", fragt mein Freund im nächsten Augenblick, da wir ausgemacht haben, dass er seinem Kumpel zeitgleich alles erzählt. Laut Lori befindet er sich, wie beim letzten Mal, als wir die beiden besucht haben, im Bad. Deshalb drückt mir Shawn noch einen kurzen Kuss auf und geht dann in den Gang, um auf Brian zu warten.

Jetzt, wo wir zwei Mädchen alleine sind, fange ich an: "Ich muss dir was sagen." Ehe ich fortfahre, atme ich noch einmal tief durch. Am besten, ich rede nicht um den heißen Brei herum, sondern komme gleich auf den Punkt. "In einer Woche werden wir umziehen. Nach Toronto, auf einen anderen Kontinent."

"Meinst du das jetzt ernst?", hakt sie ungläubig nach und als ich nicke, scheint sie zu kapieren. "Toronto also... Das heißt, Shawn und Brian werden wohl wieder nach Hause fliegen." Sie wirkt sichtlich bedrückt, weil ihr nun einiges bewusst geworden ist.

"Ja, das werden sie. Tut mir leid, dass nichts aus Brian und dir geworden ist. Ich hab ja gesehen, dass er dir gefällt", sage ich und schaue zu Boden. Mir ist klar, dass ich den Fokus so auf etwas anderes lege, aber das Wichtigste ist bereits gesagt.

"Oh, wenn du wüsstest", meint sie darauf. "Tatsächlich hat er schon versucht, mich zu küssen, aber ich habe ihn aufgehalten, weil ich wusste, dass er nicht hierbleiben würde. Und weil meine Familie niemals umziehen würde und ich nicht bereit bin, sie zu verlassen, habe ich mich lieber auf nichts eingelassen." Gut zu wissen. "Aber viel schlimmer ist es, dass du dann nicht mehr in meiner Nähe bist." Ihre Stimme klingt so, als würde sie gleich brechen.

Ich weiß nicht, wie ich darauf komme, doch auf einmal fallen mir die Worte meiner Mutter wieder ein. "Ja, ich vermisse das schon jetzt", entgegne ich ihr mit Tränen in den Augen, "aber wir können ja immer noch schreiben. Wir bleiben in Kontakt, wir sind nie wirklich getrennt. Auch wenn es uns gerade schwer erscheint, müssen wir immer daran denken."

"Du hast recht", sagt Lori und schließt mich in ihre Arme. "Irgendwie schaffen wir das schon."

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Dieses Kapitel zu schreiben, ist mir irgendwie echt schwer gefallen. Deswegen hat es auch etwas länger gedauert. Und na ja, ich bin auch nicht ganz zufrieden damit, ich hab es mir irgendwie anders vorgestellt😅 Aber ich hoffe, es gefällt wenigstens euch❤️

Internet Love | s.m.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt