Kapitel 38

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"Ich glaube, so viel Schiss hatte ich noch nie vor einer Klausur", gebe ich aufgeregt zu und atme immer wieder tief ein und aus. "Na ja, eigentlich auch verständlich. Immerhin ist das nicht irgendeine Klausur, sondern unsere verdammte Abschlussprüfung in Mathe!" Und das ist noch ein Punkt: Wenn ich nervös bin, rede ich unglaublich viel.

"Du musst dir doch überhaupt keine Sorgen machen", beteuert darauf Lori, die neben mir herläuft. "Du hast ein paar Stunden verpasst und hast die späteren Aufgaben im Unterricht aber trotzdem besser verstanden als ich. Wenn hier jemand Angst haben sollte, dann ja wohl ich. Du schaffst das hingegen mit links."

"Das werden wir ja sehen", flüstere ich, sodass sie es fast nicht mehr hören kann. Ihrem Blick nach hat sie das dennoch, aber sie entgegnet mir nichts mehr, da wir nun vor der Tür der Aula stehen, in der wir in wenigen Minuten ganze fünfeinhalb Stunden verbringen werden. Auch mir verschlägt es die Sprache.

Während die meisten anderen Schüler sich noch einmal ihre Anschriebe anschauen, verzichte ich darauf und warte einfach, bis wir hereingelassen werden. Wenn ich jetzt noch meine Zettelchen heraushole, würde ich mich sicherlich verrückt machen. Womöglich verwechsele ich dann sogar irgendetwas und darauf kann ich echt verzichten.

Plötzlich verstummen alle Gespräche und jeder zieht seinen Rucksack auf. Die Aula ist geöffnet und der Horror kann beginnen. Andererseits kann ich auch froh sein, weil das hier die letzte Klausur ist, die ich je in Mathe schreiben werde. Nur ist es ausgerechnet die allerwichtigste.

Bevor wir uns auf den Weg zu unserem Platz machen können - auf den Tischen stehen kleine Schilder mit unseren Namen -, müssen wir vor zu einem unserer Lehrer, um ihm unsere Handys zu geben. Früher musste man sie nur ausgeschalten an den Rand des Tisches legen, doch anscheinend gab es da einen Vorfall.

Nachdem wir uns alle hingesetzt haben und ich mein Schreibzeugs mit zitternden Händen herausgeholt habe, stellt sich der Lehrer auf die Bühne und ergreift das Wort: "Ich begrüße Sie ganz herzlich zu der diesjährigen Abschlussprüfung im Fach Mathematik." Ich verdrehe genervt die Augen. Muss er uns denn so auf die Folter spannen?

Er erklärt uns noch kurz den Ablauf und die Regeln und was passiert, wenn wir uns nicht daran halten, was ich natürlich nicht vorhabe. Ich möchte nicht die ganzen Jahre hinter mir haben, um dann am Ende durchzufallen, weil ich bei jemandem spicke oder so. Das würde sowohl mir als auch meiner Mom nicht gefallen.

"Das wäre es dann soweit", beendet er seine Rede, worüber ich sehr froh bin. Im nächsten Moment holt er auch die Prüfungsbögen aus seiner Tasche und verteilt sie. Nachdem er sich auf seinen Stuhl, von dem aus er uns beaufsichtigen wird, gesetzt hat, fügt er hinzu: "Ihr dürft nun loslegen. Viel Glück!"

Während sich schon alle an den Stapel von Blättern machen, starre ich noch gedankenverloren nach vorne. Alex hat mir heute Morgen geschrieben, dass er an mich glaubt und weiß, dass ich es schaffen werde. Außerdem haben wir uns vorgestellt, wie es wäre, wenn ich alle meine Prüfungen hinter mir habe. Ich müsste nicht mehr zwangsläufig in die Schule gehen und könnte ihn endlich besuchen.

Dieser Gedanke treibt mich an, wirklich mein Bestes zu gegen. Ich werde das Ding hier rocken. Na ja, hoffe ich. Mit einem kleinen Grinsen greife ich nach meinem Stift und blättere schließlich bis zur ersten Aufgabe vor.

***

"Oh mein Gott, mir ist echt ein Stein vom Herzen gefallen, als ich umgeblättert habe und es nur noch eine Seite gab", erzählt Lori auf dem Weg zur Bushaltestelle, worauf ich heftig mit dem Kopf nicke, da ich sie sehr gut verstehen kann. So ähnlich ging es mir nämlich auch, ich musste mich sogar zusammenreißen, nicht erleichtert aufzuseufzen.

"Ja, echt so", stimme ich ihr zu. Als wir an unserer Bushaltestelle angekommen sind, schaue ich auf meine Uhr und stelle fest, dass es noch ungefähr eine Viertelstunde dauert, bis der Bus kommt. Deshalb befreie ich meine Schultern und meinen Rücken von meinem Rucksack und stelle ihn gegen den Zaun. "Hey, hast du vielleicht Lust, zu mir zu kommen? Wir haben unsere letzte Matheklausur geschafft, das müssen wir feiern."

"Da hast du recht", meint sie. "Ich muss nur schnell meiner Mom schreiben, dass sie sich keine Sorgen macht. Dann komme ich gleich zu dir. Ich hoffe doch, du hast noch irgendwas daheim, mit dem wir anstoßen können." Kurz überlege ich, nicke dann aber. Unten im Abstellraum müsste sich etwas finden.

Als der Bus sich endlich nähert und ich erkenne, wer darin sitzt, stöhne ich: "Nicht der schon wieder." Die Reaktionen der anderen sieht ganz ähnlich aus. Tja, der Typ ist eben nicht der beliebteste. Bei seinen Aktionen muss man sich da aber auch nicht wundern. Tatsächlich wird es uns heute erneut beweisen.

Meine beste Freundin und ich sind die ersten, die den Bus betreten. Gleich fängt er an, darüber zu reden, wo er überall hält. Auf der einen Seite ist das ja gut, doch nach bald zwanzig Malen nervt es doch ein wenig. Das Schlimme ist auch noch, dass er die ganze Fahrt über mit dir spricht, wenn du ihm einmal zuhörst. Aus diesem Grund setzen wir zwei uns nach hinten.

Obwohl ich mir Kopfhörer in die Ohren stecke und die Musik ganz laut mache, schnappe ich ein paar Fetzen des Gesprächs auf, das der Typ mit einem jüngeren Mädchen führt. Zuerst behauptet er, er sei Gott, und dann schlägt er doch wirklich mit einem Hammer - von wo auch immer er den auf einmal hat - auf die kleine Kasse.

Lori und ich schauen uns darauf an und fangen zeitgleich an zu lachen. "Oh man, der muss echt irgendwas genommen haben", sagt sie und kriegt sich nicht mehr ein. Und als wäre das noch nicht genug, holt er auf der halben Strecke sein Handy heraus und wählt der komischen Melodie nach zu urteilen ein indisches Lied aus.

Als wir aussteigen, sind wir mehr als froh, nicht mehr mit diesem Busfahrer unter einem Dach zu sein. Wie er seinen Führerschein erlangt hat, ist uns beiden ein Rätsel. Allerdings reden wir bei mir zuhause nicht mehr über ihn, sondern schauen wieder einmal mit einer Flasche Hugo einen Film mit Zac Efron.

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Eigentlich finde ich solche großen Zeitsprünge ja doof, aber in diesem Fall muss ich selbst welche verwenden. Sonst gäbe es zu viele Lückenfüller und auf Dauer würde das echt langweilig werden😅

Übrigens, dieser Busfahrer existiert wirklich. Den hab ich jedes Mal, wenn ich nach der fünften Stunde aus habe. Und alles, was ich hier über ihn schreibe, ist wirklich passiert😂

Internet Love | s.m.Where stories live. Discover now