30 - Matthias Green

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Siren betreibt Schadensbegrenzung. Sie hat wohl die berechtigte Angst, dass ich vor versammelter Mannschaft ihre Autorität noch weiter untergrabe und fordert mich deshalb nur kurz angebunden auf, hierzubleiben, während die Studenten mit hängenden Köpfen den Saal verlassen.
Fasziniert beobachte ich, wie sich die begossenen Welpen Richtung Ausgang schieben und dabei alle augenscheinlich versuchen, mit dem Boden zu verschmelzen.
Stasya und die anderen Krankenpfleger werfen mir im Vorbeigehen warnende Blicke zu. Anscheinend hat Siren ihnen allen ordentlich die Leviten gelesen, dabei bin ich doch extra zu spät gekommen, um mich zusätzlich bei ihr unbeliebt zu machen und ihren Zorn voll auf mich zu konzentrieren.

Erst, als wir alleine sind, dreht sich die Generalin zu mir um und mustert mich wutschnaubend von oben bis unten.
„Hinsetzen", faucht sie und kickt mir einen herumstehenden Stuhl in die Kniekehlen. Ich tue ihr den Gefallen, setze mich, schlage entspannt die Beine übereinander und grinse.
„Bekomme ich jetzt Ärger?", frage ich treudoof.

Siren rammt wortlos den Zeigefinger auf ihre DataWatch, bis über dieser das bläulich leuchtende Symbol eines Telefonhörers in der Luft schwebt.
„Verbinden Sie mich sofort mit der Zentrale der IV. Legion", brüllt sie, was irgendwo im Core einen Analysten sicher schrecklich zusammenzucken lässt, „MacSage, Ava."
„Einen Moment, General", kommt es etwas wackelig zurück.
Während wir weitergeleitet werden, wirft sie mir über ihre Schulter einen Blick zu, der gefühlt ganze Städte in die Luft jagen könnte. Es wird noch ein paar Minuten dauern, bis die Verbindung zu Ava stabil ist. Genug, um mich runterzuputzen.

„Was ist ihr Problem, Symphony?", fragt Siren durch zusammengebissene Zähne, „Ich weiß nicht, ob sie das getan haben, um mich zu provozieren, oder ob sie einfach vollkommen verrückt sind."
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und funkelt mich aus viel zu blauen Augen an.
„Aber ich kann Ihnen verdammt nochmal versprechen, dass sie dieses Mal nicht so einfach davonkommen. Niemand auf diesem Kreuzer würde es wagen, mich zu hintergehen. Niemand. Wenn sie so spielen wollen, dann können wir das ausgesprochen gerne tun."
Ich will unbedingt ‚Jetzt habe ich aber Angst', sagen, kann mich aber gerade noch zurückhalten.

„Sie haben Verletzte zu verschulden. Reihenweise verletzte Rekruten!", sie deutet mir großer Geste in den leeren Hörsaal hinaus, „Während eines Krieges."
„Durchaus", ich wippe mit den Füßen, „Nur oberflächliche Kratzer, aber sicher sehr viele davon."
Sie beißt die Zähne so fest zusammen, dass ich sehen kann, wie die Sehnen an ihrem Hals sich bewegen. Unter anderen Umständen hätte mein Überlebensinstinkt wahrscheinlich dafür gesorgt, dass ich spätestens jetzt zu laufen anfangen würde.

„Sie haben sich so dreist gegen sämtliche Regeln an Bord aufgelehnt, dass ein Fünfjähriger sie dafür verurteilen könnte."
„Durchaus."
„Sie haben meine Autorität untergraben!"
„Nach allen Regeln der Kunst."
„Sie haben ein Militärschiff in einen Spielplatz verwandelt!"
„Könnte man so sagen."
„Wenn sie nicht ihren verdammten Sunhunter Status hätten, würde ich sie dafür ins Gefängnis bringen!"

Ich rücke beiläufig mein Abzeichen gerade und hebe die Hand, um meine Koordinatorin zu grüßen, die inzwischen blau fluoriszierend, augenscheinlich mies gelaunt und mit einem Kuchenteller in der Hand hinter Siren aufgetaucht ist.
„Was ist denn jetzt schon wieder?", fragt Ava im Tonfall einer Erzieherin, bei der gerade innerhalb von zehn Minuten das dritte Kind einen unerklärlichen Heulkrampf bekommen hat.

Siren fährt zu meiner Chefin herum und beginnt ihr jetzt plötzlich in knapp und professionell die Situation zu schildern, was aber nicht heißt, dass meine Zuwiderhandlungen irgendwie beschönigt werden. Ava isst ihren Kuchen auf und fängt irgendwann an ihre Brille zu putzen, während sie zuhört. Es folgt eine kurze Stille, in der Siren mich mit ihren Blicken erdolcht. Ich werfe ihr einen Luftkuss zu.

„Wissen Sie was, Green?", Ava hält ihre nun tadellos saubere Brille gegen das Licht, „Sie können mich mal. Wenn sie unbedingt gefeuert werden wollen, dann kann ich das arrangieren."

Neben mir atmet Siren erleichtert aus. Ich springe ein paarmal auf und ab vor Freude, versuche aber im Allgemeinen, Fassung zu wahren.
Ava setzt ihre Brille wieder auf und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Sie unterrichten nicht mehr."
„Ava, ich könnte dich küssen!", ich breite die Arme aus, „Dieses Jahr vergesse ich deinen Geburtstag nicht, versprochen."
Sie hebt die Hand.
„Sie müssen nicht mehr unterrichten, weil ich sie einschreiben lasse. Ab heute sind sie Student."
Mir klappt die Kinnlade herunter.
„Warte, was?!"

Siren entschlüpft ein kleines nasales Lachen. Sie sieht ungemein zufrieden aus, während ich fassungslos zwischen ihr und Ava hin und her sehe.
„Das ist nicht dein ernst", ich bin nun nicht mehr geschockt, sondern hauptsächlich wütend. Dass Ava einen persönlichen Hass auf mich hat, rechtfertigt ihre Entscheidung in dieser Situation nicht. Es ist schlicht verantwortungslos, mich nicht auf dem schnellsten Wege aus diesem Kreuzer zu fischen und in die nächste Geheimoperation einzubinden.

„Ich bin schon in der Ausbildung komplett verschwendet. Aber als Student?! Ich dachte es herrscht, keine Ahnung, Krieg", ich werfe die Hände in die Luft, „Ich könnte Leben retten, verdammt. Setz' mich gefälligst irgendwo ein, wo ich etwas ausrichten kann!"

„Ich habe Sie in die Ausbildung versetzt, damit sie der Föderation trotz ihrer momentanen Situation dienen können, Green", Ava sieht mich absolut gleichgültig an, hat aber die Arme verschränkt, „Momentan haben wir weder Ressourcen, noch verfügbare Sunhunter, um sie zu extrahieren."

„Bullshit", fauche ich sie an, was mir einen scharfen Blick von Siren einbringt. So spricht man nicht mit seinen Vorgesetzten. Doch Ava sieht mich nur missmutig an und schüttelt langsam den Kopf. Zur Abwechslung wirkt sie nicht wie die sadistische böse Stiefmutter, sondern einfach nur wahnsinnig müde und desillusioniert.

„Ich verstehe, dass Sie frustriert sind. Wazekya muss sie erschüttert haben und wenn sie darüber ..."

„Ich brauche keinen Psychologen, ich brauche etwas zu tun!", verlange ich heftig. Siren tritt einen Schritt zurück. Ihre Hand wandert in Richtung ihres Gürtels, wo normalerweise eine Waffe hängt.

„Sie werden weiterhin aus der Ferne die ein oder andere Einsatzleitung übernehmen", versichert meine persönliche Beraterin, greift nach etwas außerhalb der Projektion und tippt dann irgendetwas auf einem Tablet ein, „Wie gesagt – momentan bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als mit dem Kreuzer zurück in den Kern zu kommen. Wir können keine Einheit auf eine offene Straße schicken, ohne unsere Agenten zu enttarnen. Also hören sie gefälligst auf zu jammern, denn mir sind die Hände gebunden."

Ich starre Ava an. Das ist nicht das, was ich hören wollte. Menschen werden sterben, weil ich hier sitze und Däumchen drehe, begreift sie das nicht? Jetzt auch noch als Student? Doch sie schüttelt nur den Kopf.

„Sie machen das hier schwerer für uns alle, als es sein muss. Tun sie mir einen Gefallen und halten Sie die Füße still. Denn auch wenn Sie das anscheinend einfach nicht begreifen wollen, Green, sind Sie nicht das Zentrum dieses Universums. Verzapfen Sie keinen Schwachsinn mehr, oder ich melde es dem General persönlich."

Ich muss schlucken, reiße mich zusammen, nicke kurz. Ava gibt sich zufrieden. Ihr Hologramm verblasst und sie lässt mich mit der feixenden Generalin alleine. Sie hält mir ihre Data Watch hin, um mir eine Datei mit einem soeben aufgenommenen, sehr unvorteilhaften Foto zu zeigen.

„So, Matrikelnummer 50985", sie kriegt sich gar nicht mehr ein, „willkommen an Bord."





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Hello :)
It's me ... in den letzten Wochen hat sich ziemlich viel verändert bei mir, da habe ich das Aktualisieren meiner Geschichten leider einmal wieder etwas zurückstellen müssen. Meine Angewohnheit immer irgendwelche Einzelszenen zu schreiben, die erst viel später drankommen, hilft übrigens auch nicht dabei regelmäßig Updates hochzuladen ... wer hätte es gedacht.
Ich hoffe, es geht euch soweit (den Umständen entsprechend) gut. Frohe Ostern (nachträglich, wobei wir hier nicht so tun müssen, als hätte irgendjemand von uns noch ernsthaft so etwas wie Zeitgefühl), falls ihr feiert und bis baaaald!
Lena

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