75 - Clara de Flocon

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Der Core ist wunderschön. Sieben riesige Weltraumstädte gruppieren sich um das Herz und Zentrum der Föderation. Die künstlichen Atmosphären schimmern blau über den Skylines der Megastädte, silbern blitzende Raumschiffe schieben sich in geordneten Bahnen zu den Docks von Ayez und Unmengen an Menschen, die man von hier noch gar nicht sehen kann, wuseln zwischen den hohen Gebäuden der Städte herum.

Im Gegensatz zu den Provinzen hat der Krieg den Core nicht sichtbar geschwächt. Wenn man die Plätze, Fußgängerzonen und Parks so sieht, könnte man beinahe meinen, dass Frieden herrscht. Doch dann werden wir eine gute Stunde von einer Flotte UniJets aufgehalten, während sämtliche Formalitäten durchgegangen werden.

Ich sitze in der Bordkapelle und starre durch das riesige Fenster hinaus ins Nichts. Matt ist auf der Krankenstation und schläft, während der Rest noch damit beschäftigt ist, die sprich- und wortwörtlichen Feuer auszutreten, die Ravennas Hack und Garcias Angriff überall in der Technik an Bord verursacht haben. Ich bin zwar krankgeschrieben und bin somit eine der wenigen Personen an Bord, die momentan schlafen könnte ohne dabei den Rauschmiss zu riskieren, doch meine Gedanken sind viel zu laut, als dass ich wirklich ein Auge zu tun könnte.

Aktuell versuche ich, meine Wut darüber, dass Matt nicht früher mit mir geredet hat, wegzumeditieren. Das funktioniert nur mittelmäßig gut. Er hat mir vorhin in einer stillen Minute gebeichtet, dass er schon ewig die Angst hatte, gechipt worden zu sein. Dass das einer der konkreteren Gründe war, wieso er mich von sich gestoßen hat. Wäre das hier ein Film, wären wir uns sicher in die Arme gefallen und dann in den Sonnenuntergang davongeritten. Doch die Credits sind immer noch nicht über den Bildschirm gehuscht, das Logo der Produktionsfirma hat die Kinobesucher noch nicht nach draußen geschickt. Stattdessen bin ich wegen einer ganzen Liste ab Dingen sauer auf den Sunhunter und dieser ist momentan in seiner sicher sehr bunten Traumwelt unterwegs. Erst, als sich die Tür hinter mir öffnet werde ich aus meinen Gedanken gerissen.

„Clara?", fragt Booth leise.

„Kann ich nicht mal fünf Minuten Ruhe haben hier?", flüstere ich zurück.

„Clara, es ist wichtig."

Seufzend drehe ich mich zu Booth um, der mit den Händen in den Hosentaschen in der Tür steht und seine Schuhe in der Hand hält, weil der Boden der Kapelle mit Teppichen ausgelegt ist.

„Was?", knurre ich, „Hat Matt dich geschickt?"

„Äh, nein", macht er. Ich werde schlagartig misstrauisch, komme auf die Beine und klopfe mir die Uniformhose ab.

„Was? Ist es Angel? Roach?"

Im schummrigen Licht sieht er viel älter aus, als gewöhnlich. Was während des Angriffs geschehen ist, verfolgt uns alle immer noch. Booth hat das blaue Jet Team gefunden, das die Piraten niedergemetzelt haben, ohne mit der Wimper zu zucken. Es heißt, dass Siren selbst geholfen hat, die Leichen zu bergen. Sie war auch diejenige, die eine Art Gedenkgottesdienst im Auditorium abgehalten hat. In Anbetracht dessen, dass sie wohl doch mehr für ihre Rekruten übrig hat, als sie zugeben will, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob der Sunhunter nicht etwas vorschnell damit war, ihr zu unterstellen, sie würde Roach sofort feuern.

„Braucht mich die Katara Task Force?"

Booth kratzt sich unangenehm berührt am Nacken, schüttelt einmal mehr den Kopf.

„Der Sunhunter ...", setzt er an.

„Ich wusste es", ich steche ihm mit dem Finger in die Brust, „Du kannst Matt ausrichten, dass er mich mal kreuzweise am A ..."

„Der Sunhunter ist weg."

Ich halte inne, öffne und schließe meinen Mund ein paar Mal, ohne etwas zu sagen. Es dauert einen Moment, bis mein Gehirn verarbeitet, was Booth gerade gesagt hat. Wochenlang habe ich mir gewünscht, diesen Satz zu hören und jetzt, als es endlich passiert, fühle ich mich, als hätte mir jemand einen Kübel Eiswasser über den Kopf gekippt. Doch dann bahnt sich ein ungläubiges Lachen seinen Weg meine Kehle hinauf.

„Ja, genau", sage ich langgezogen, „Fast wäre ich drauf reingefallen."

„Croissant", sagt Booth sanft, während ich mir auf die Schenkel schlage vor Lachen. Das Geräusch erstirbt nach und nach, als ich seinen Blick treffe.

„Er ist wirklich weg. Eine Föderationskaravelle hat vor fünfzehn Minuten angedockt. Richtig fies aussehende Kerle. Haben uns verboten, irgendjemanden zu benachrichtigen, bis sie wieder weg waren."

„Nein", lache ich ungläubig, „Nein, nein, nein."

Booth hebt nur stumm den Arm und deutet hinter mich, in Richtung Fenster. Ich drehe mich um und sehe nun vor den Kuppeln des Cores und den funkelnden Sternen ein einzelnes silbernes Schiff vorbeiziehen. Ein Jet, in dem der Sunhunter meines Vertrauens wahrscheinlich gerade sitzt und seinen ersten Kaffee des Tages trinkt.

„Du Arschloch!", brülle ich dem Jet hinterher, der sich mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung New Helsinki entfernt. Ich gehe zum Fenster hinüber, boxe gegen das zentimeterdicke Glas, lege die flachen Hände darauf ab und wiederhole meine Verwünschung noch einmal.

Matthias ‚Symphony' Green hat sich gerade von seinem eigenen Arbeitgeber entführen lassen und mich einfach alleine gelassen, als hätten wir nicht gerade zusammen das größte Abenteuer er- und überlebt, das ich in meinem Leben jemals haben werde. 

"Du Arschloch!"

Der Fluch wird zu einem Schluchzen, meine Hand donnert noch einmal gegen das Glas. Booth nimmt mich sanft in den Arm und streichelt mir über den Kopf, während ich weine.

~☀️~

SunhuntersWhere stories live. Discover now