69 - Clara de Flocon

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Alles tut weh. Ein hohes Klingeln, das meinen Schädel zu spalten scheint, ist das Erste, was ich wahrnehme, als mein Bewusstsein sich neu kalibriert.
Bin ich tot?
Ich schlage die schmerzenden Augen auf. Die Welt ist langsamer geworden, verschwommen, wie eine Fatamorgana. Es regnet rot und orange, Feuer brennt auf meiner Haut, wie Säure. Wenn ich könnte, würde ich mir die Ohren zuhalten, in einem lächerlichen Versuch, das Pfeifen loszuwerden. Oder ich würde mir die Haut vom Körper kratzen, um das Brennen zu stoppen, das mit jedem mühsamen Atemzug zunimmt. Erst dann nehme ich war, dass ich auf dem Rücken liege, an die Decke starre und sich meine Rippen tatsächlich weiten, wenn ich den Mund öffne und nach Luft japse. Ich lebe noch. Zumindest für den Moment.

Ich drehe den Kopf, würde am liebsten schreien vor Schmerz, und sehe die zusammengesunkene Figur des Sunhunters neben mir liegen. Seine Rüstung raucht bedenklich, sein Mund steht offen und ein frisches Rinnsal Blut rinnt an seinem Kopf herunter. Letztendlich ist er auch nur ein Mensch – und Menschen werden in der Regel übel zugerichtet in Explosionen.

„Matt", will ich krächzen, aber es kommt so undeutlich heraus, dass ich mich selbst nicht verstehe. Man sollte meinen, dass man sich an das Gefühl blanker Panik gewöhnt, wenn man einen ganzen Tag in diesem Gemütszustand verbringt, aber als sich der Sunhunter nicht regt, erreicht meine Angst ein neues Hoch. Ich strecke die Hand nach ihm aus, bin aber zu weit entfernt. Ein Bauteil des Jets schlägt nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt mit voller Wucht auf dem Boden auf, zersplittert und hinterlässt neue Kratzer auf seinen Wangen.

Als ich die Hände auf den Boden stütze, um mich zu ihm hinüber zu ziehen, schreie ich auf. Ich drehe meine Handflächen nach oben und stelle fest, dass sie von Brandblasen überzogen sind. Dabei hat der Anzug des Sunhunters die Hauptwucht der Explosion abgefangen. Auf Ellenbogen und Knien krieche ich zu ihm hinüber, versuche meinen schreienden Körper zu ignorieren.
Bitte, bitte, bitte, lass ihn atmen.

Als ich mein Gesicht an seines bringe, um zu überprüfen, ob er noch atmet, hätte ich vor Erleichterung zusammenbrechen können. Ganz sacht streicht Luft über meine Lippen, tanzt ein Puls unter meinen Fingern. Meine Hände sind glitschig vor Blut, als ich ihn auf den Bauch drehe. Beim Anblick seines Rückens wäre ich beinahe umgekippt. Das HighTec Plastik der kugelsicheren Rüstung ist teilweise geschmolzen, wie Butter. Das, was ich von seiner Haut sehen kann, ist entweder aufgerissen oder verbrannt.

„Matt", schreie ich, aber meine Ohren sind so ruiniert, dass ich mich nur entfernt höre. Doch da sehe ich, wie sie auf uns zu kommen. Ravenna Noyemi, genannt Sugarcube, weil sie ihre Sprengstoffladungen als Zucker getarnt geschmuggelt hat. Außerdem bin ich mir sicher, dass Ravenna irgendetwas in die Luft jagen wird, sobald sie mich haben. Aus Spaß an der Freude, hat der Sunhunter vorhin gesagt. Ich sehe zu Ravennas näherkommendem Lipglosslächeln auf, beiße die Zähne zusammen, während ich die Waffe, die mich vorhin so genervt hat, von Matts Gürtel ziehe.

Ravenna hat die Jets präpariert. Wahrscheinlich war ihr Plan, den Sunhunter einzupacken und so schnell wie möglich wieder abzuhauen. Es wäre nicht nur eine bittere Überraschung für uns gewesen, wenn die Jets ein paar Sekunden nach dem Start in die Luft fliegen, sondern hätte auch garantiert, dass niemand die Eindringlinge verfolgen kann. Sie umringen uns, wie Wölfe, die endlich ihre Beute genau dort haben, wo sie sie haben wollen. Ich hebe die Waffe und werde von gut zehn Piraten gleichzeitig ins Visier genommen. Trotzdem senke ich die Hand nicht.

Der Lauf der Waffe ist direkt zwischen Noyemis Augen gerichtet. Ihre Zähne sind blutig, entweder von ihrer Begegnung mit dem Sunhunter, oder von ihrem Sturz. Garcia lächelt nicht. Er hat seinen Hut verloren und eine notdürftig bandagierte Schusswunde an der Schulter. Sie sagt irgendetwas, doch meine Ohren klingeln immer noch. Ich kann mir denken, wie beißend der Hohn in ihrer viel zu alten Stimme mitschwingt, während ich blutend vor ihr knie, den bewusstlosen Sunhunter neben mir.

„Wen soll ich erschießen? Sie oder ihn? Wen mögt ihr lieber?"

Mein Gehör wird wieder besser, zumindest kann ich meine eigene Stimme wieder wahrnehmen. Die Piraten sind merklich unbeeindruckt von meiner Vorstellung, doch noch hat mich niemand umgelegt. Doch dann kommt Noyemi auf mich zu, als hätte ich eine Wasserpistole und keine tödliche Waffe in der Hand. Als ich abdrücke, zuckt sie nicht einmal. Die Waffe ist nicht geladen, das Magazin leer. Wir sind so gut wie tot.

Ich kämpfe mit Zähnen und Nägeln gegen die Söldneirn, doch ich kann nicht einmal die Hände zu Fäusten ballen, ohne dass es weh tut. Der eigentliche Preis ist der Sunhunter, nicht ich. Sie halten die Waffen sogar noch auf seinen Kopf gerichtet, nachdem sie ihn von Kopf bis Fuß verschnürt haben. Sein Rücken sieht jedes Mal schlimmer aus, wenn ich hinsehe. Doch dann ziehen sie ihn auf die Beine und mir wird klar, dass er bei Bewusstsein ist. Er hat die Augen aufgeschlagen. Ich hätte an Ort und Stelle in Tränen ausbrechen können vor Erleichterung.

Ravenna hat inzwischen die Arme um meinen Hals gelegt, als wären wir beste Freundinnen, und hätten nicht die letzte Stunde damit verbracht, zu versuchen, uns gegenseitig umzubringen. Sie hat wieder die Oberhand und genießt es in vollen Zügen. Ich bin nur noch am Leben, weil sie denkt, dass sie ihn noch mehr Zappeln lassen kann, wenn er weiß, dass mein Leben in ihrer Hand liegt.

„MacClara, bist du in Ordnung?", ächzt der Sunhunter und ich lese es mehr von seinen Lippen ab, als irgendetwas anderes.

„Ob ich in Ordnung bin? Ich dachte du bist tot."

Er versucht sich an einem Lachen, doch dafür hat er wahrscheinlich zu große Schmerzen.

„Ich bin zäher, als ich aussehe."

Sie zerren uns in Richtung von Garcias Schiff davon. Anscheinend wollen sie jetzt doch so schnell wie möglich hier raus. Werden sie mich auch mitnehmen? Wohl kaum.

„Seid ihr nicht süß?", gurrt Ravenna, absichtlich so laut, dass ich sie auch wirklich höre, „So voll Kampfgeist. Das wird eine großartige Reise. Ich habe schon die ein oder andere Idee ..."

„Hör' auf", stöhnt Matt, als sie ihn im Frachtraum der Fregatte auf die Knie stößt, beinahe gelangweilt, „Rav, wir wissen beide, was du willst."

„Tun wir das", fragt Ravenna, die mir das kalte Ende ihrer Waffe an die Schläfe presst. Matt spuckt Blut auf den Boden. Er sieht aus, als würde er gleich wieder ohnmächtig werden.

„Die VHN zahlt dir gutes Geld für mich, damit die Föderation mich gegen irgendeinen hochrangigen politischen Gefangenen eintauscht. Du würdest nicht nur deine Auftraggeber anpissen, sondern auch deinen Lohn verlieren, wenn du mir noch mehr Schaden zufügst. Lass uns einfach gehen und es hinter uns bringen."

Ravenna lacht einmal mehr ihr Sandpapierlachen, doch diesmal ist es leiser und böser, als jemals zuvor.

„Ich fürchte, ich muss dich auf den neusten Stand bringen, mein Lieber. So macht das ja überhaupt keinen Spaß sonst."

Sie hebt ihre DataWatch und die charakteristischen Zacken einer Audiodatei erscheinen vor Matts Gesicht in der Luft.

„Sugarcube, Dellaware. Go", hört man Ravennas Stimme, als sie die Aufnahme startet.

„Änderung im Kleingedruckten, Noyemi", sagt ein Mann am anderen Ende.

„Details bitte."

Ihr Sunhunter war es, der Margaret Kò befreit und eine unserer erfolgreichsten Geiselnahmen vereitelt hat. Er hatte die Fernleitung. Der Rat hat soeben darauf reagiert."

Matts Gesicht wird hart, das kann ich von hier sehen. Er hat mehrmals gesagt, dass er aus der Ferne Einsätze geleitet hat. Dabei ist er wohl den falschen Leuten auf den Schlips getreten.

„Roger, Ministerchen", hört man wieder Ravennas Stimme.

„Erlaubnis zum Abschuss erteilt. Wanted dead or alive."

„Bitte um Bestätigung."

Mein Herz hämmert in meiner Brust, während Matthias meinen Blick trifft. Er sieht ebenso geschockt aus, wie ich es bin, als der Mann am anderen Ende fordert:

„Bringen Sie mir Matthias Greens Kopf."

~☀️~

SunhuntersWhere stories live. Discover now