66 - Clara de Flocon

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Ich werde heute sterben.
Als ich um Luft ringend auf dem kalten Boden liege, sich das Seil in meine Haut gräbt und mir die Luft abschnürt, als hätte man mich soeben gehängt, bin ich noch zu benebelt, um diesen Gedanken zu fassen. Erst, als schwarze Lederstiefel neben meinem Kopf niederdonnern, eine Frau vor mir in die Hocke geht und den Kopf schief legt, um mich anzusehen, trifft mich die Realität, wie eine Abrissbirne ein Kartenhaus.
Ich werde heute sterben.

Ich japse, wie ein Fisch auf dem Trockenen, zerre an dem Seil um meinen Hals, versuche panisch, von den schmutzigen Stiefeln der Söldnerin wegzurobben. Sie muss es sein. Der Sunhunter hat sie mir beschrieben, während wir vorhin einen Aufzugschacht hinaufgeklettert sind. Sie ist eine Psychopathin erster Güte, aber sie sieht aus wie eine missverstandene Teenagerin.
Die Haut spannt sich so straff über ihren Schädel, dass sie fast nicht mehr menschlich aussieht. Ihr aschblondes Haar ist zu zwei Knoten links und rechts auf ihrem Kopf aufgetürmt, dicker doppelter Eyeliner und Glitzerlipgloss konkurrieren darum, den Blick des Betrachters zu lenken. Ihre stechend giftgrünen Augen aktivieren meinen Fluchtinstinkt auf eine Weise, wie ich es noch nie erlebt habe.

Ich stütze mich auf die Ellenbogen, immer noch kaum fähig einen richtigen Atemzug zu nehmen. Aus dem Augenwinkel sehe ich das rauchende Panel der Tür. Die Wand daneben ist von Kugellöchern übersäht. Diese Tür öffnet nicht einmal mehr eine DataWatch mit Sunhunter System.
Die Watch. Selbst in meinem benebelten Gehirn begreife ich, dass ich unbedingt die Watch sperren muss. Sie ist eine Eintrittskarte in die Sunhunter Dateien.

„Ist die nicht niedlich, Garcia?", fragt Ravenna und streckt einen langen Finger aus, um mir mit ihrem Gelnagel über die Wange zu streichen. Ich reiße den Kopf weg und sie lacht. Der Oktopus boxt gegen ihre Hand, doch Ravenna packt eine seiner Tentakeln und zieht.

„Nein, was ... warte!"

Das Babyalien klammert sich panisch an meine Schulter, sodass es richtig weh tut, als Ravenna ihn losreißt. Ich schreie auf, Grabsy kugelt zu Boden und bleibt als leuchtendes Häufchen Elend mit kraftlos um sich greifenden Tentakeln liegen. Ich komme auf die Knie, kämpfe die tanzenden Punkte in meinem Sichtfeld nieder.
Nicht der Oktopus!

Doch zwischen Grabsy und mir steht die Söldnerin mit geschlagenen drei Waffen am Gürtel. Von hinter uns nähern sich Schritte. Wenn ich irgendetwas tun will, muss es jetzt sein, sonst ist sie nicht mehr alleine. Blanke Panik bringt mich dazu, den Kopf zu heben. Ich sehe ihr Grinsen neben mir, strahlend weiße Zähne zwischen glitzernden Lippen, drehe mich in einer blitzschnellen Bewegung um und reiße sie mit mir zu Boden, bevor sie Grabsy anfassen kann. Eine Sekunde lang ist sie überrascht, ich schaffe es sogar, ihre Hände unter Kontrolle zu bekommen, dann ist mein Vorteil hinfällig. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber mein Kinn knallt heftig auf den Boden und plötzlich ist sie über mir.

„Ein Sunhunter Griff?", fragt die Söldnerin, während sie meine Hände hinter meinem Rücken zusammenschnürt, „Von einer Rekrutin? Jetzt habe ich wirklich alles gesehen."

Sie beugt sich vor und küsst mich auf die Wange, was so unverhofft kommt, dass ich aufschreie. Ravenna lacht nur, als ich mich weiter gegen sie wehre. Doch ich habe es geschafft, zwei schnelle Klicks auf das DataWatch Display zu verschleiern. Das Gerät wird aus dem System ausgelogt, während die Kabelbinder um meine Handgelenke einrasten. Zumindest das kann ich tun, wenn ich schon so dumm bin, mich fangen zu lassen. Grabsy streckt die Tentakeln hilflos nach mir aus, doch ich kann nichts tun, um ihm zu helfen. Es bricht mir das Herz.

„Hast du es dann?", fragt ein Mann von hinter mir. Ravenna dreht mich um hundertachzig Grad, fasst das Seil, das immer noch in meinen Hals beißt, nach, und grinst. Sie zieht meinen Kopf nach links, sodass unsere Wangen aneinander liegen. Ich erschaudere von Kopf bis Fuß.

SunhuntersWhere stories live. Discover now