49 - Matthias Green

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Am nächsten Tag sage ich unser Training ab. Nach dem Traum, den ich heute Nacht hatte, kann ich Clara schlicht nicht unter die Augen treten.

Statt mit ihr zu trainieren vergrabe ich mich in Arbeit. Siren hat mir eine sehr angepisste Sprachnachricht geschickt, nachdem ich ihre Anrufe ignoriert habe und schreit mich an, weil ich ihre Autorität so schamlos untergraben habe. Ich spiele die Aufnahme auf doppelter Geschwindigkeit ab und unterlege ihren Wutausbruch mit einem schnellen Techno Beat, sodass dieser erträglich wird.
Sie will mich nicht mehr sehen, bis wir im Core sind. Ob ich ihr den Gefallen tue, muss ich mir noch irgendwann zwischen erstem Kaffee und erstem Bier überlegen.

Ich mache meine lange überfälligen E-mails, schicke einen Statusbericht an Ava, den ich zerstreut mit ‚Hab' dich lieb' unterzeichne und lösche all die Erinnerungen, die mir die Lernplattform des Kreuzers geschickt hat, um mich über meine fehlenden Abgaben zu informieren. Bitte, ich tue mir wirklich viel an für das Wohl der Menschheit, aber Aufsätze schreiben? Niemals.

Der Oktopus dümpelt in seinem Schaumbad umher, vor dem Fenster ziehen die Sterne vorbei und im Hintergrund läuft die Liveübertragung eines Angriffs, den die Föderation in eben diesem Moment auf die VHN fliegt. Ich gönne mir gerade einen Ingwer-Kurkuma-Shot, den mir Ava in einem Carepaket voller gesunder Bio Snacks geschickt hat, weil das Sunhunter Department anscheinend zu viel Geld und sie ein schlechtes Gewissen hat, als eine Benachrichtigung auf meinem Holo Bildschirm aufblinkt.
Sofort richte ich mich auf, wische aus der Ferne das Fenster zur Seite, auf dem die Formation der Kampfschiffe angezeigt wird, und nehme die blau leuchtende Einladung zum Videochat an.

Sämtliche Gedanken an die Rekrutin auf der Krankenstation, das Donnerwetter, das mich noch von Seiten der Generalin erwartet und mein Fresspaket verpuffen, als Zoro Júlíussons verpixeltes Gesicht auf dem Bildschirm erscheint. Der beste Scout, den ich kenne, nimmt seine Gasmaske ab, pfeffert sie zur Seite und entblößt die wulstigen Narben an seinen Wangen. Das Tattoo eines aufgerissenen Löwenmauls, das einmal dort zu sehen war, ist völlig verschwommen und nicht mehr zu erkennen, wenn man nicht weiß, was es darstellen soll.

Wir kennen uns schon lange bevor wir in New Bejing in diesen versifften Tattooladen gestolpert sind, waren mehrmals zusammen auf Mission und haben uns gegenseitig das Leben gerettet. Kinder fangen an zu weinen, wenn sie ihn sehen, auch wenn er nicht wie gerade eine schmutzige VHN Rüstung mit einem großen, schlecht aufgesprühten roten Totenkopf auf der Brust trägt, doch es gibt wenige Personen in der Galaxie, denen ich mehr vertraue.

„Hey, Jitter."

„Was geht, du Bastard?"

Er sieht über die Schulter, als in der Ferne Schüsse ertönen. Die Weltraum Piraten von Port Canad sind nicht unbedingt für ihre Impulskontrolle in dieser oder irgendeiner anderen Hinsicht bekannt. Als galaxieweit berüchtigter Drogenumschlagsort, Bordellhauptstadt und Festung der Gesetzlosen ist die Weltraumstadt für die meisten Rettungskapseln keine Erlösung, sondern ein Todesurteil.

„Was hast du für mich?", frage ich, während er sich in Bewegung setzt. Soweit ich es erkennen kann, hat er mich in einem halbverfallenen Hausflur angerufen.
Im Laufen streift er mit dem Kopf einen schief hängenden Kronleuchter, sieht erneut über die Schulter, bevor er in einen weiteren verlassenen Flur abbiegt. Die lindgrüne Tapete hinter ihm löst sich von der Wand, während er im Laufschritt auf einen Knopf an seiner Data Watch drückt, um alle anderen Signale in zwei Meter Umkreis abzufangen. Sunhunter Technologie, die ich ihm für einen Gefallen überlassen habe.

„Da unten eskaliert die Lage gerade, ich bin nicht sicher wie viel Zeit ich habe", sagt er, verschwindet um eine Ecke und schwingt sich aus dem Fenster. An einer Hand hängt er vom Sims, während zwei Personen vorbeitrampeln.

SunhuntersWhere stories live. Discover now