2 - Clara de Flocon

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An Bord eines Raumschiffs voller junger Menschen verbreitet sich Klatsch schneller als jede ansteckende Krankheit. Es passiert neben den üblichen College Geschichten nun einmal nicht besonders viel, wenn man in einem Kreuzer durch die Galaxis schippert. Zumindest normalerweise. Obwohl mein Lieblingsmüsli an diesem Morgen bereits restlos aus ist und ich schon seit zwei Stunden auf den Beinen bin, ist meine Laune beim Frühstück ungetrübt. Ich weiche mehreren Rekruten aus, die auf ihrem Weg zum Buffet laut lachen und entschuldige mich überschwänglich, als ich im Gedränge jemandem auf den Fuß trete. Vor Vorfreude pfeifend ziehe ich einmal durch den langen fensterlosen Raum, in dem inzwischen sämtliche Kadetten des Kreuzers gähnen, herumfrotzeln und sich den Schlaf aus den Augen reiben. Booth, Louis, Mouse und Panic sitzen schon an unserem langen Metalltisch, als ich mit einem lauten Scheppern mein Tablett abstelle.
„Ihr werdet mir nie glauben, was Benedict mir gesteckt hat!"
Louis hört auf an seinem Apfel zu lutschen und sieht auf. Er kann immer noch nicht richtig essen, nachdem er erst vorgestern in eine Schlägerei mit dem gelben Jet Team geraten ist. Sein rechtes Auge ist blau und geschwollen, was sehr gut zum Rest seines verschlagen aussehenden Gesichts und dem kurzen Haarschnitt passt.
„Du meinst wohl eher, wo er es dir hingesteckt hat, eeeh?"

Mouse gackert los, während ich die Augen verdrehe.
„Lustig und geschmackvoll, schon so früh am morgen?"
„Was soll denn das heißen?"
Ich strecke die Hand aus und drücke ihm auf die blessierte Nase. Nicht fest, aber provokativ genug, um ihn zum Explodieren zu bringen.

„Du dumme Schlampe!", brüllt er, hält sich die Nase und fährt in die Höhe, als hätte ich ihm die Faust ins Gesicht gerammt.
Ich setze mich, breche ein Stück von meinem Toast ab und tunke es in mein Müsli.
„Kluge Schönheit. Mit intakter Nase", ich tippe mir selbst an die Nasenspitze.
MORD steht in großen Lettern auf Louis rundes Gesicht geschrieben. Ich kann förmlich sehen, wie er sich über den Tisch wirft und mir an die Kehle geht. Mein Teamkollege hat ein paar 'anger management issues', wie es feinsäuberlich in seiner Akte vermerkt ist. Er ist nicht unbedingt sympathisch auf den ersten Blick. Auf den zweiten gleich noch weniger, das kann ich euch sagen.

„Auszeit", schaltet sich Booth ein, zieht Louis wieder auf seinen Stuhl zurück und drückt ihm seinen Apfel wieder in die Hand. Booth ist zwei Jahre älter und um einiges größer als Louis und ich. Wenn Siren nicht da ist, sorgt der ausgeglichene Kenianer dafür, dass das rote Jet Team nicht im totalen Chaos versinkt.
Die anderen beruhigen sich wieder, hier und da wird eine Lachträne weggewischt.
Panic trifft meinen Blick und fängt noch einmal an zu lachen, wofür er eine Nackenschelle von Crimson kassiert. Der Rekrut mit dem rostroten Vollbart ist Booths bester Freund und somit Teil der Kraft, die der Entropie entgegenwirkt, die dieses Team ansonsten zweifellos zerstören würde.

„Was hat der Kittel gesagt?", erkundigt sich Booth über seinen dampfenden Burger hinweg.
Ich lächle. Benedict, der Kittel, ist ein Assistenzarzt mit Engelslöckchen, der so schüchtern ist, dass er auf diesem Militärkreuzer außer mir keine wirklichen Freunde hat. Das heißt, ich bekomme ab und zu Geschichten von der Krankenstation mit, die ansonsten niemand unter den Kadetten kennt.

„Wazekya", setze ich an und mein ganzes Schwadron wird hellhörig, als ich den Namen der zerstörten Weltraumstadt erwähne, „Anscheinend gibt es Überlebende."

Crimson schnaubt in seinen Kaffee, der zwar schmeckt wie Pappe, aber genug Koffein hat, um einem ausgewachsenen Elefanten Herzrasen zu bescheren.
„Sie haben die Stadt in Fetzen gerissen. Diese Bomben bringen wahrscheinlich sogar deinen Gott um."
„Sind Iren nicht katholisch?", hakt Mouse, der anscheinend lebensmüde ist, nach, „Gab es da nicht so einen Krieg deswegen?"
„Hör dir den an! War das Zynismus gegenüber meinem Land?!", fragt Crimson mit einem breiten Grinsen.
Mouse zieht die Schultern hoch und fängt an herumzustottern, bis Booth mit den Fingern vor seinem Gesicht herumschnippst.
„Scheiß dich nicht ein, der macht nur Spaß. Bellt, aber beißt nicht."
„Wuff", macht Crimson so laut, dass Mouse fast vom Stuhl fällt vor Schreck, „Ich will das Baguette hören, lads, Ruhe im Nest."

Das Baguette – aka ich, Cadet Clara "Paris" de Flocon – kaute in aller Ruhe zu Ende, bevor es sich dazu herablässt, den neusten Klatsch auszupacken.
„Bevor die Bomben eingeschlagen sind, ist Siren mit einem Haufen hochrangiger Typen mitten in die Stadt geflogen, um irgendjemanden rauszuholen. Benedict hat sie mir beschrieben. Ich denke, dass der erste Offizier dabei war."

Jemand pfeift durch die Zähne.
Das überkochte Essen ist völlig in Vergessenheit geraten, Panic hat die Stirn gerunzelt und Crimson die Arme vor der fassähnlichen Brust verschränkt.
„Der alte Tennessee? Wenn man den in die Luft gejagt hätte, wäre die Kacke so richtig am Dampfen gewesen", unkt Panic und schüttelt sich zum dreißigsten Mal in den letzten fünf Minuten das strähnige blonde Haar aus der pickligen Stirn.
„Alter Thronfurzer", lacht Mouse, der jüngste in der Runde.
„Was zum Fick habe ich dir zum Thema Fluchen beigebracht, Junior?!", tadelt Panic und verteilt eine halbherzige Kopfnuss, allerdings nicht, ohne Booth zuvor einen prüfenden Blick zuzuwerfen.

„Wen haben sie rausgeholt?", fragt dieser nur, die dunklen Augen blitzend vor Interesse.
Ich mache eine Kunstpause, lange genug, um die Spannung am Tisch in ungekannte Höhen zu treiben und mich unbeliebt zu machen.
„Einen jungen Mann. Hatte nur noch einen Arm. Blond. Muskulös. Hatte irgendein Viech dabei. Sowas wie eine Katze, nur mit mehr Beinen, ich komme nicht mehr auf den Namen. Liegt noch im OP."

Aufgeregtes Spekulieren macht sich breit.
„Wenn sie dafür riskieren, dass Tennessee und Siren in die Luft gejagt werden, muss er irgendein Prinz sein oder so", stellt Mouse fest.

„Er war in Wazekya. Wahrscheinlich ein Venus Oligarch."

„Nah, zu jung. Eher der Sohn von einem."

„Vielleicht ist er Ire", äußert sich Crimson hoffungsvoll.

Ich lächle, was Booth sofort bemerkt.
„Baguette, spann uns nicht auf die Folter, was weißt du noch?", verlangt er ungehalten.

Ich dehne meine Finger, lege sie feinsäuberlich zu beiden Seiten meines Tellers auf den Tisch und grinse:
„Ben meint, er hat die alte Uniform des Typs gesehen. Und ratet mal, was da für ein Ausweis drin war."

„Vereinte Humanoide Nationen", mutmast irgendwer.

„Militärgeheimdienst."

„Die Mafia."

Ich schnaube.
„Baguette ...", setzt Booth genervt an, aber ich winke schon ab.

„Sie haben keinen Oligarchen gerettet, gentlemen. Sondern einen Sunhunter."

~☀️~

SunhuntersWhere stories live. Discover now