40

2.4K 264 23
                                    

Wenn man auf einem der heruntergekommenen Tanke Asteroiden einen Stripclub betreibt, sieht man allerhand seltsame Dinge. Man lernt, welche Menschen man besser meidet und welche Hunde nur bellen und nicht beißen. Man bewirtet Spione beider Seiten, Veteranen und Verräter, Minderjährige und Mächtige, Verrückte und Geniale.
Long John hat in seiner Zeit hinter dem Tresen viele Dinge gesehen und geschwiegen, wenn an seinen Tischen Informationen, Geld und Drogen getauscht wurden. Doch dass er nicht darüber spricht, heißt nicht, dass er nicht sieht, wer im bunten Licht zusammenkommt und von seinem selbstgebrannten Schnaps (dem besten weit und breit) trinkt.

Als Ravenna Noyemi die Nerven hat zur Vordertür hereinzuspazieren, ihre verfilzte Mähne über die mageren Schultern zu werfen, einen Vodka Shot und einen schwarzen Kaffee zu bestellen und ihn anzugrinsen, wäre ihm aber trotz seiner stahlharten Nerven beinahe eine Sicherung durchgebrannt. Die Söldnerin hatte zusammen mit den übrigen Verdächtigen vor ein paar Jahren eine legendäre Massenkeilerei unter seinem Dach ausgelöst, bei der sage und schreibe 43 Gläser, zwei Tische, fünf Barstühle, ein Lautsprecher und vier Arme zu Bruch gegangen waren. Als sie einen Finger an die Lippen führt und ihm wortlos ihre DataWatch hinhält, nimmt er das Geld trotzdem, ohne zu fragen. So sehr er diese unverschämte Frau auch hasst, Geld liebt er mehr.

Immerhin ist sie alleine gekommen, denkt er gerade, als sich ein Mann durch die Menge auf die Bar zu schiebt und dabei seine Türsteher zur Seite stößt, als wären sie Kinder. Tattoos ziehen sich über seine Arme, Schiffe mit geblähten Segeln, Wölfe und Hirsche, Sonnen und Monde, zerfließende Uhren und weinende Meerjungfrauen. Munitionsgürtel liegen um seine Schultern, zwei Pistolen stecken an seinem Gürtel, dunkel umrahmte Augen funkeln gefährlich unter einer breiten Hutkrempe hervor.
Long John hat aufgehört, sein Glas zu polieren.

Obwohl die wenigsten den Blick heben, als der Söldner an ihnen vorbeizieht, erkennt ihn der Besitzer der Bar sofort, auch ohne die Narben am Hals des höchstens dreißig Jahre alten Mannes sehen zu können. Dieser lehnt sich an die Bar, nimmt seinen Hut ab und ignoriert Noyemi geflissentlich, während er Long John die schwielige Hand reicht.

„Du lebst ja noch, cabrón."

Der Alte schlägt ein, lacht ungläubig, antwortet:
„Da muss schon was ganz anderes kommen als dieser Krieg, damit ich den Löffel abgebe."

Der Mann mit den Tattoos grinst schief und deutet mit dem Kinn auf die Bierflaschen hinter Long John. Kopfschüttelnd reicht dieser eine davon über den Tresen, stützt die Hände auf das schmierige Holz und starrt den jüngeren Mann an, als sei er davon überzeugt, dass dieser sich gleich in Luft auflösen würde.

„Elias Garcia in Fleisch und Blut. Ich dachte nicht, dass ich dich hier noch einmal sehe."

Elias lacht nur und sieht zu Noyemi hinüber, ohne den Kopf zu bewegen. Auch er war in die Schlägerei verwickelt, die der Söldnerin Hausverbot eingebracht hat. Doch als Long Johns Neffe hätte er auch jemanden an Ort und Stelle erschießen können und wäre nicht aus der Bar geflogen.

„Ich bin nur auf der Durchreise."

Long John beginnt wieder sein Glas zu wischen und hofft, dass er dabei nicht allzu interessiert aussieht. Wenn es einen Menschen gibt, den man nicht durch zu viele Fragen gegen sich aufbringen sollte, dann ist es der, der vor ihm sitzt.

„Gut siehst du aus."

„Und du bist immer noch so hässlich wie vor fünf Jahren."

Long John sieht auf, als sich Noyemi von ihrem Platz am äußersten Ende der Bar löst und herüberkommt. Die beiden Männer sehen sich weiter an, während die Söldnerin sich einen Barhocker herüberzieht und sich möglichst auffällig direkt neben Garcia setzt. Sie setzt ihr Schnapsglas mit pink lackierten Fingernägeln vor sich auf den Tresen, verschränkt die Beine hinter der Stange des Stuhls, zieht betont entspannt ihre fingerlosen Handschuhe fest. Sie strahlt eine unverschämte Lässigkeit aus, die Long John die Zähne zusammenbeißen lässt.

„¡Buenas tardes!", sie kippt ihren Shot die Kehle hinunter, leckt sich über die vollen Lippen.

Long John sieht sein eigenes Missfallen deutlich auf Elias Gesicht gespiegelt. Der Pirat macht sich nicht die Mühe, den Kopf zu ihr zu drehen.

„Wir haben hier ein Gespräch geführt", sagt er und es klingt mehr nach einer Morddrohung, als nach irgendetwas anderem.

„Garcia, wenn du nicht mit mir reden willst, dann hättest du nicht kommen sollen."

Er taxiert immer noch die Flaschen hinter Long John, statt ihr ins Gesicht zu sehen. Trinkt noch einen Schluck. Long John überlegt gerade, wie er sich unauffällig aus dem Staub machen kann, als Elias eine Schale Erdnüsse bestellt und ihm ein paar Momente Bedenkzeit verschafft.

„Es stimmt also?", fragte der Pirat, den Blick auf eine Flasche billigen klaren Fusel gerichtet. Ketten klappern aneinander, als Noyemi ihr Bein streckt. Sie hat sich die Haare zusammengebunden, sodass man sehen kann, dass sie die untere Hälfte ihres Schädels rasiert hat. Bei der Mähne würde ich lieber mit Glatze herumlaufen, denkt Long John und stellt die Erdnüsse ab.

„Sì", sagt sie, nimmt sich eine ganze Hand voll Erdnüsse und schiebt sie sich auf einmal in den Mund. Während sie kaut, starrt Elias auf seine Finger. Er hat sich die Umrisse seiner Handknochen auf die Hände tätowieren lassen. Auf seinem rechten Handgelenk steht ‚memento' und auf dem linken ‚mori'.

„Du richtest dich immer nach dem Wind, lässt nie etwas anbrennen, scherst dich einen Dreck um Loyalität. In einen Moment bist du Waffenschwester, im nächsten erstichst du jemanden von hinten. Und jetzt ... jetzt arbeitest du auch noch für die gottverdammte VHN."

Long John versteift sich augenblicklich. Die Stecknadelkopfaugen der Söldnerin bohren sich sofort in ihn.

„Willst du das wirklich hier bereden?", knurrt sie.

Elias Mundwinkel zucken nicht einmal, aber wer ihn kennt weiß, dass er sich gerade darüber freut, sie bloßgestellt zu haben. Er hat nur selten die Unterhand.

„John ist familia", sagt der Pirat, „Er weiß, wann man redet und wann man es besser sein lassen sollte."

Long John fühlt immer noch den Blick der Söldnerin auf sich. Auf ihrem Gesicht steht deutlich ‚Ich würde dir lieber eine Kugel durch den Kopf jagen, als dich das mit anhören zu lassen, du alter Sack', aber sie lächelt nur mit leicht geöffneten Lippen.

„Schön."

Elias reibt sich über die linke Hand. Er hat sie immer noch nicht angesehen.

„Wie sicher bist du dir, dass er auf diesem Schiff ist?"

Noyemi schnaubt beleidigt.

„Ich bin Kopfgeldjägerin, du Idiot. Ließ dir meine DarkNet Bewertungen durch, frag' irgendjemanden auf der Straße nach meiner Erfolgsquote. Wenn ich sage, dass sein Arsch auf diesem Schiff ist, dann ist sein Arsch auf diesem Schiff."

Long John schenkt ihr nach, in einem so hohen Bogen, dass die meisten anderen dabei auch die Theke begossen hätten. Er dreht sich um, um die Flasche zurückzustellen, doch natürlich hat er die Ohren weiterhin gespitzt. Elias Garcia und Ravenna Noyemi hecken etwas aus. Zusammen. So etwas interessantes hat es hier schon seit Jahren nicht mehr gegeben.

„Es ist sicheres Geld, Garcia", sagt die Söldnerin leiser, „Ich würde dich nicht fragen, wenn ich die Wahl hätte, aber bevor ich mit irgendjemand Unfähigem zusammenarbeite, nehme ich lieber dich. Da weiß ich immerhin, auf welche Art von Scheiße ich mich einstellen muss."

„Wieso fragst du mich? Wieso nimmst du diese Delle in deinem Stolz hin? Muss doch ganz schön weh getan haben, mir dieses Memo zu schicken. Auf mich angewiesen zu sein."

Sie schnaubt, fährt sich durch die wilden Haare, funkelt ihn voller unterdrückter Wut an, aber ohne den Köder zu schlucken. Hinter ihnen drehen sich immer noch die Tänzerinnen an ihren Stangen.

„Du weißt, wieso. Scheinheiligkeit steht dir ganz ausgesprochen schlecht", knurrt sie und beugt sich näher zu ihm hin. Elias lässt sich letztendlich dazu herab, sie anzusehen.

„Garcia, du bist zwar der größte Mistkerl, den ich kenne, aber auch der einzige Mensch, der einen Sunhunter umgebracht hat."

~ ☀️ ~

SunhuntersWhere stories live. Discover now