41 - Matthias Green

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"Hallo", sage ich und sehe mit Genugtuung zu, wie alle Farbe aus dem Gesicht der Rekrutin weicht.

Sie ist noch um einiges muskulöser und schwerer als Clara, kein Wunder, dass sie ihr weh tun konnte. Ihr kahl geschorener Kopf lässt sie genauso fies aussehen, wie sie anscheinend ist. Ich muss das Bedürfnis niederringen jeden Einzelnen ihrer Finger dafür zu brechen, dass sie MacClara angegriffen hat und pinsle mir stattdessen ein breites Grinsen ins Gesicht.
Roach, deren Callsign nicht passender gewählt sein könnte, weiß genau, dass sie verloren hat.

Ich habe sie nach dem Zirkeltraining vor der Turnhalle abgepasst und sofort erkannt in dem Schwarm aus Rekruten. Ihre beiden Begleiterinnen verziehen sich augenblicklich, als sie mich sehen. Eine gute Crew hast du dir da ausgesucht.

„Ich denke, wir Hübschen sollten uns unterhalten."

„Ich habe alle Unterlagen abgegeben ..."

„Nein, du verstehst mich falsch", ich lege ihr eine Hand auf den Rücken und führe sie weiter den Gang hinunter, in Richtung Turnhalle, „Es geht nicht um deine Degradierung."

Sie blinzelt irritiert, reibt sich über den kahlen Kopf und zieht die Stirn in Furchen.
Wie sie wohl aussähe, wenn man ihr im Schlaf plötzlich die Luft abdrückt?
Man muss wohl sehen können, was für gewalttätige Gedanken ich hinter meinem kühlen Lächeln hege, denn ihr Gesichtsausdruck schlägt von Verwirrung in Misstrauen um.

Ich habe in meinem Leben viele Menschen von diesem Schlag getroffen – die, denen es Spaß macht, andere zappeln zu sehen. Die gerne Schmetterlingen die Flügel ausrupfen, um sich daran zu ergötzen. Ich beiße die Zähne zusammen, weil mir von einem Moment auf den anderen klar wird, an wen sie mich erinnert.

„Worum geht es denn, Sir?", fragt sie vorbildlich, während ich meinen Nacken knacken lasse und meine Handgelenke lockere. Sie sieht es und verspannt sich, als traue sie es mir zu, einfach ohne Präambel auf sie loszugehen.
Gut.

„Darum, dass du eine feige Sau bist."

Ihr Blick ist unbezahlbar, gibt mir aber immer noch nicht das, was ich will. Im trüben Neonlicht des Gangs lege ich den Kopf schief und sehe zu, wie sie ihre Optionen durchgeht: mich anschreien, so tun, als habe sie nichts gehört, erneut nachfragen ... Dieser Schlag Mensch mag es überhaupt nicht, vom Jäger zum Gejagten zu werden.

„Willst du wissen, wieso ich das sage?", frage ich dann geduldig, während Roach schluckt. Die Ähnlichkeit mit meiner alten Bekannten wird noch deutlicher, als sie trotz ihres Respekts das Kinn vorreckt und sagt:

„Sir, so können Sie nicht mit mir reden."

Mut hat sie, das muss man ihr lassen, doch Mut und Dummheit liegen erstaunlich oft nur eine Haaresbreite auseinander. Ich lasse langsam das federleichte Amusement von meinem Gesicht verschwinden, das ich bis gerade zur Schau getragen habe. Sie weicht einen Schritt zurück, ohne darüber nachzudenken, obwohl ich mit Ausnahme meiner Gesichtsmuskulatur nicht bewegt habe. Ich frage mich, ob ich zu schnell war mit meinem Vergleich zur verräterischen Söldnerin meines Vertrauens. Sie würde niemals so vor mir zittern, wie die gefeuerte Rekrutin.

„Du hast Paris angegriffen. Wieso?"

„Hat mich die kleine Schlampe echt verpfiffen?", flucht Roach und will mich damit wohl humorvoll beschwichtigen. Doch während mein Gehirn das verarbeitet, ist meine Reaktion beinahe reflexartig. Ich packe sie mit beiden Händen an der Uniform, reiße sie daran in die Höhe, sodass sie mir in die Augen sehen muss. Mit einem dumpfen Geräusch knallt ihr Rücken an die Wand.

„Sag' das noch einmal, ich bitte dich", knurre ich ihr ins Gesicht, „Gib mir einen Grund mehr, hier und jetzt die gleichen Würgemale an deinem Hals zu hinterlassen, die du ihr verpasst hast. Ich werde es tun und es wird mir wirklich sehr viel Spaß machen, meine Beherrschung zu verlieren."

Sie atmet gepresst, während ihre Augen auf der Suche nach einem Fluchtweg wild hin und her huschen. Ich kann sehen, wie sich Angstschweiß auf ihrer Oberlippe bildet. Fast hätte ich gelacht. Du bist nicht wie Ravenna, du bist viel berechenbarer.

„Okay, okay", krächzt sie, „Ich habe nur ..."

„Du dachtest, dass Clara es war, die Siren von deinem kleinen Nebeneinkommen erzählt hat, nicht wahr? Dass die brave gläubige Französin dich verpfiffen hat, weil sie es nicht mit ihren Werten vereinbaren kann?"

Nun steht blanke Panik in ihren Augen.

„Woher weiß er das?", versetze ich mich in ihre Gedanken, „Ich habe eine verdammt gute Beobachtungsgabe. Das unterschätzen die meisten."

Langsam stelle ich sie wieder auf ihre Füße. Doch auch als ich sie loslasse und einen Schritt zurückmache, ist sie wie festgefroren.
Er kennt mein Geheimnis, denkt sie sicher, Ich habe ein riesiges Problem. Dabei hatte ich mir eigentlich gesagt, dass ich die Sache zivil handhaben würde. Wahrscheinlich erwartet sie, dass ich sie jetzt vollkommen fertig mache, aber das sehe ich nicht ein. Ich bin vieles, aber kein frauenfeindliches Arschloch.

„Es ist mir vollkommen egal, was du in deiner Freizeit tust - ob du dein Konto aufbesserst, indem du mit Männern schläfst oder ob du Topflaken häkelst. Aber wenn du es noch einmal wagst, eine andere Rekrutin anzugreifen, werden wir uns noch einmal unterhalten - in einem anderen Ton."

Sie nickt unter meinem brodelnden Blick. Andere wären schon lange in Tränen ausgebrochen, aber sie sieht nur erschüttert aus.

„Schön, dass wir das klären konnten", sage ich, trete einen weiteren Schritt zurück und lasse die Hände in den Hosentaschen verschwinden, als wäre das ganze Gespräch so gesittet abgelaufen.
Sie presst sich immer noch an die Wand. Ich drehe mich um und schlendere betont gelassen den Gang hinunter, während sie zurückbleibt.

Meine Wut brodelt immer noch knapp unter der Oberfläche, aber sie hat sich ein wenig mit Mitleid vermischt. Aus dem Star Soldaten Programm zu fliegen ist nichts, was spurenlos an einem vorbeigeht. Selbst Zwangsrekruten tun in der Regel alles, um dieses Schicksal zu vermeiden, weil es tatsächlich noch schlimmere Jobs gibt als das, wofür sie trainiert werden. Ich war einmal in den Mienen auf den Saturnmonden und träume ab und zu immer noch davon.

„Falls du meine Meinung hören willst", sage ich noch über die Schulter, „ist es ziemlich offensichtlich, wer dich verpfiffen hat. Männer nehmen es in der Regel nicht besonders gut auf, wenn sich ihre Freundin heimlich prostituiert. Nicht, dass ich dir sagen will, was du tun sollst, aber ich würde dringend meinen Beziehungsstatus überdenken."

Damit lasse ich sie stehen, gehe die kurze Strecke zur Trainingshalle zurück, vor der ich sie abgefangen habe und suche mir einen Boxsack, um mich abzureagieren. Wenn ich Sport mache, mich verausgabe, meinen Körper arbeiten und meine Gedanken schweigen lasse, ist es immer eine Erlösung.

Dass die Rekrutin jetzt wahrscheinlich vollkommen fertig ist, weil ich ihr gedroht habe, ist mir herzlich egal. Ich bin nicht sadistisch veranlagt, wie sie es ist, es macht mir keinen Spaß, Menschen leiden zu sehen. Doch nichtsdestotrotz bin ich stolz auf mich, dass mir nicht die Hand ausgerutscht ist. Jedes Mal, wenn ich beinahe so weit gewesen wäre, hatte ich nur Claras Gesicht vor Augen und das Entsetzen in ihren Augen ist genug gewesen, um mich innehalten zu lassen.

Im Krieg und in der Liebe ist schließlich alles erlaubt, denkt ein Teil von mir trotzig, bevor ich ein letztes Mal besonders fest meine Faust gegen den Sandsack donnern lasse. 

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SunhuntersWhere stories live. Discover now