59 - Matthias Green

2.1K 264 26
                                    

Wer ist eigentlich auf die absolut geniale Idee gekommen, eine AI auf dieses Schiff zu spielen? Während die Ingenieure, die wir aus ihren eigens gesicherten Büros befreien mussten, sich an den schwarzen Bildschirmen zu schaffen machen, trauern mehrere Menschen um einen Typ namens ‚Anakin'. Erst auf Nachfrage verrät mir jemand, dass Anakin die AI ist, die das Schiff fliegt, falls Sanchez mal Kaffeepause machen will oder spontan einen Hirnschlag bekommt.

Anscheinend ist diese AI wohl das Einzige, was auf jeden Fall dauerhaften Schaden davongetragen hat in der Hackattacke, die den Blackout verursacht hat. Dieser bringt aber noch sehr viel mehr Probleme mit sich, die wir nun nacheinander angehen müssen. Siren ist beispielsweise zum Fusionsreaktor hinuntergeklettert, um nachzusehen, ob dieser noch planmäßig arbeitet. Anscheinend hat sie einen Abschluss in Kernphysik, was sie ja mal bei einem unserer gemeinsamen Verhöre hätte erwähnen können.

Quispe hat dafür Sirens Job übernommen und ist gerade dabei, die Rekrutenposten abzuwandern und zu kontrollieren, ob irgendjemand fehlt und trotz all der Entriegelungen, die ich von der Brücke aus vorgenommen habe, noch jemand irgendwo eingesperrt ist.
Und ich? Ich behalte mit Hilfe meiner DataWatch sämtliche Schleusen im Blick. Wenn meine Bekannten wirklich das planen, was ich denke, dann müssen sie irgendwie in dieses Schiff kommen und nicht nur Anakin umlegen.

„Und? Irgendwelche Neuigkeiten?", frage ich einen der Techniknerds. Dieser schnäuzt sich gerade in ein Taschentuch und wirft aus Versehen fast die Generalin damit ab, die von ihrer Exkursion zum Plasmaring wiederkommt.

„Der Reaktor ist nicht das Problem", sagt sie, „Es ist ausschließlich das Hauptsystem. Wie schnell können wir es wieder hochfahren?"

„Ohne Anakin? Mindestens zwölf Stunden", sagt der AI Mensch und zieht die Nase hoch.

Siren reibt sich die steile Falte, die auf ihrer Stirn aufgetaucht ist. Überlege kurz, ihr zu sagen, dass sie sich für das ganze Stirnrunzeln wirklich gut gehalten hat, aber das wäre für meinen Gesundheitszustand wahrscheinlich nicht förderlich.

„Das heißt, wir werden ersticken", unkt ein älterer Mann am nächsten Bildschirm, „Wie in den guten alten Zeiten der Raumfahrt."

„Wer zur Hölle hat dieses Schiff gebaut?", fragt Siren.

„Ganz ruhig, war nur ein Witz", sagt der Ältere, „Die lebenswichtigen Systeme sollten funktionieren."

„Name?", faucht die Generalin. Der Nerd sieht auf und scheint erst jetzt zu realisieren, mit wem er spricht.

„H-H-Hiroto Villanueva?", antwortet er und geht am Ende des Satzes mit der Stimme nach oben, wie bei einer Frage. Siren tippt den Namen auf ihrer Watch ein und liest ihm gleichzeitig dafür die Leviten, dass er in einer Notsituation die Eier hat, ihr irgendetwas anderes als Fakten und Lösungen zu präsentieren. Als sie fertig ist, schluckt Villanueva und wendet sich mit bebender Unterlippe wieder seinem Bildschirm zu. Siren trifft meinen Blick.

„Müssen wir da etwas kompensieren?", frage ich sie und bekomme zur Antwort ein Knurren, das eines Wolfs würdig wäre. Villanuevas verschnupfter und nun eingeschüchterter Kollege räuspert sich mutig.

„Er hat nicht ganz unrecht. Die Notversorgung mit Sauerstoff läuft prima, aber die CO2 Filter werden normalerweise von Anakin gewartet. Länger als Vierundzwanzig Stunden sollten wir nicht mit heruntergefahrenem System hier rumtreiben, sonst steigt der CO2 Gehalt der Luft auf ein ... unbequemes Niveau. Manuell die Filter zu kalibrieren ist schwierig."

„Das heißt, wir brauchen einen Freiwilligen?"

„Eher einen Lebensmüden. Was wir brauchen, ist eine AI, die fähig genug ist, das Schiff zu starten", entgegnet der verschnupfte Ingenieur.

„Na dann zaubern Sie mir gefälligst eine AI aus dem Hut!", faucht Siren, „Aber plötzlich!"

Ich drehe mich um und drücke kommentarlos auf eine Kurzwahltaste an meiner Watch.

„Yo, Paris", grüße ich das Schneeflöckchen, „Du hast dir doch Ojisan ausgeliehen. Hast du den Chip zufällig dabei?"

„Wer ist Ojisan?", fragt Siren.

Ich decke meine Watch mit der Hand ab, wie einen antiken Telefonhörer.

„Eine als Stützradprogramm fungierende AI, die ich illegalerweise auf die UniJets gespielt habe."

Meine UniJets?"

„Welche sonst?", ich nehme die Hand wieder von der Uhr, „Paris? Hast du mein Programm noch?"

„Ein Stützradprogramm für UniJets?", fragt Villanueva mit einem vorsichtigen Seitenblick auf die Generalin, , „Das funktioniert nie."

Clara schweigt auf der anderen Seite der Verbindung einen Moment zu lange, sodass ich schon denke, sie hat aufgelegt.

„Ich habe eine Idee", sagt sie dann und wir horchen alle auf.

„Eine bessere Idee, als Ojisan auf den Bordcomputer zu spielen und umzuprogrammieren?"

„Das würde viel zu lange dauern. Ojisan ist ein Sunhunter Programm, hast du gesagt? Dann ist es genau gegen soetwas erstklassig geschützt. Viel besser, als das Untersystem, das ich umgangen habe, um deine ID zu duplizieren, weil so eine gute AI wirklich richtig Schaden anrichten kann, wenn man an ihr herumspielt. Wenn meine Rechnung stimmt haben wir ohne die Filtersysteme nur Luft für Vierundzwanzig Stunden und das würde niemals reichen, auch nicht mit zehn Software Ingenieuren."

„Wie viele Ingenieure haben wir?", frage ich.

„Zehn", sagen Paris, der Verschnupfte und Villanueva gleichzeitig.

„Wer ist das?", fragt der Verschnupfte und nickt in Richtung meiner Watch, wird aber ignoriert.

Eine kurze Stille folgt, in der ich fieberhaft überlege. Doch all meine Gedanken zerspringen, als das Schneeflöckchen sagt:

„Ich habe eine AI."

Nun ist es an Siren, den Experten und mir, dumm zu schauen.

„Du hast eine ... eine zweite AI?"

„Ja. Ich habe mit meiner Oma an einer herumprogrammiert, schon bevor ich eingezogen wurde. Nachdem du mir Ojisan gegeben hast, habe ich gewisse Teile übernommen und ausgebaut. Auf Anakin hatte ich natürlich keinen Zugriff, aber Katara ist sehr flexibel, was Systeme angeht. Außerdem ist sie nicht annähernd gesichert, weil ich dafür nicht gut genug code."

„Mit ihrer Oma?", fragt Villanueva und erntet einen giftigen Blick von Siren.

„Nerd", murmle ich nur leise und viel zu beeindruckt, um noch irgendetwas anderes zu sagen. MacClara, diese geniale Französin, hat uns gerade möglicherweise den Hintern gerettet.

„Wer ist das?", fragt der Verschnupfte, „Sie hat mit allem Recht, vorausgesetzt diese AI ist wirklich so offen programmiert."

„Ich komme nach unten", sagt Clara, „Und ich bringe Katara mit."

Es gibt nur einen Ort, wo sie die AI verstecken könnte. Ich erinnere mich an die Projektion, die kurz zwischen uns aufgeblitzt ist, als ich Clara das erste Mal zu den Lagerräumen hinunter gefolgt bin. Ich kann förmlich vor mir sehen, wie sie zwischen ihren Pflanzen in ihrem Zelt sitzt und mit konzentrierter Miene Zeile um Zeile codet.

„Ich kann dich abholen kommen", sage ich und stehe auf, „Außer du willst die Aufzugsschächte alleine hinunterklettern."

„Bleib', wo du bist", sagt sie und ich halte mitten im Schritt inne.

„Clara?"

„Habt ihr die Seile dagelassen?"

„Ja."

„Dann bekomme ich das hin. Wartet auf mich. Ich kenne das Schiff besser, als meine Westentasche und ich warte garantiert nicht, bis du wieder hier oben aufschlägst. In einer Viertelstunde bin ich bei euch."

Ich finde es nicht gut, sie alleine auf diese Tour durch das tote Schiff zu schicken, aber wenn es eine Kadettin gibt, die das hinbekommt, dann ist es meine Oktopusbabysitterin.

„Na dann", sage ich, „Schwing die Hufe, Paris, ich sammle deine Assistenten."

~☀️~

SunhuntersWhere stories live. Discover now