22 - Matthias Green

2.5K 287 10
                                    

„Wie viel Zeit haben wir noch?", fragt einer der Soldaten. Seine Stimme klingt belegt und heiser, was auch an der Funkqualität liegen kann. Oder natürlich daran, dass er jeden Moment Gefahr läuft, erschossen zu werden.

Ich sehe ihn auf dem Bildschirm, oder besser gesagt: ich sehe seine Uniform. Zwanzig Mann hat man meinem Kommando unterstellt.
Sie alle tragen Pechschwarz. Wo normalerweise das Logo der Föderation über ihren Herzen prangt, ist heute in Anbetracht dessen, dass wir im Begriff sind uns in einen Frachter der VHN einzuschleichen, nicht ein Hauch orangener Farbe zu finden.

Die verwaschenen Bilder der Kameras werden direkt auf meine Holobildschirme übertragen, die um mich her in der Luft schweben.
Es fühlt sich seltsam an, nur aus der Ferne zu koordinieren und nicht selbst in Uniform und mit einer Waffe in der Hand vor Ort zu sein.
Ich kann nur hoffen, dass sie alle nichts wirklich Dummes tun, denn von meiner Couch aus kann ich niemandem mit einem gezielten Schuss das Leben retten.

„T minus fünf", gebe ich durch, „Vorsicht jetzt. Day check auf halb drei. Infra für Gamma."

Meine Finger trommeln nervös auf meinem Gürtel herum. Es bringt jeden Zentimeter meines Adoniskörpers zum Jucken, dass ich nicht selbst die Türen des Frachters aufknacken kann, sondern nur den behandschuhten Händen der Frauen und Männer im Außeneinsatz zusehen darf.
Obwohl ich hier in meiner Suite stehe und auf dem Couchtisch gerade mein Kaffee kalt wird, ist jeder Muskel in meinem Körper angespannt. Wenn ich einen taktischen Fehler mache, werfe ich unsere Leute vor Ort den Wölfen zum Fraß vor.

Um genau das zu vermeiden und die Geiselsituation zu entschärfen, bevor die Lage eskaliert, hat mich Ava heute zu diesem Ferneinsatz abkommandiert.
Ein Einsatz, der sich für Außenstehende so unrealistisch anhört, dass das Schneeflöckchen meinen eigentlich streng geheimen Tagesplan vorhin einfach mit einem ungläubigen Lachen abgetan hat. Auch die Coreratssitzung erwartet mich heute noch, vorausgesetzt ich bringe nicht wegen eines winzigen Fehlers dieses Dutzend Soldaten um und muss mich dann vor dem Sunhunter Ausschuss verantworten, anstatt meine Kamera auszuschalten und weiter an dem Pullover zu häkeln, den ich Grabsy zu Weihnachten schenken will.

„Breach", kommt es verwaschen aus meinem Headset.
Ein neuer Gang tut sich vor den Soldaten auf. Ich sehe das kalte Neonlicht über die Läufe mehrerer Waffen hinweg. Sie schwärmen aus und sichern routiniert die Umgebung. Meine Augen kleben gebannt an den Holobildschirmen. Ich rechne nicht damit, völlig unblessiert aus dieser Hochrisikooperation hervorzugehen, ganz im Gegenteil.
Jeder Soldat, der in diesen Frachter geschickt wurde, weiß genau, dass er ihn nur mit viel Glück wieder verlassen wird. Die Ruhe vor dem Sturm dröhnt in meinen Ohren, wie der Bass einer Party im angrenzenden Zimmer.

„Clear", tönt es aus meinem Headset. Zumindest in diesem Gang befinden sich also keine feindlichen Truppen. Wir müssen unglaublich vorsichtig sein, wenn diese Operation nicht mit dem Tod der politischen Geiseln oder dieser Elitesoldaten oder auch beidem enden soll.
Die Geiseln belegen zwar alle eine deutlich geringere Prioritätsstufe als die Botschafter und Parlamentsmitglieder, die ich aus Wazekya gerettet habe, doch das heißt nicht, dass die Föderation tatenlos dabei zusieht, wie die VHN ihre Leute entführt.
Gut, zugegebenermaßen haben sie auch gerade einen Sunhunter in Fernbereitschaft, der wohl doch zu wertvoll ist, um von einem Tag auf den anderen restlos in den Kindergarten versetzt zu werden, während ein intergalaktischer Krieg tobt.

„Clear", echot es einmal mehr durch meinen Kopf. Das Team hat sich aufgespalten.
Eine schlanke Frau verschwindet in einem Lüftungsschacht, schnell wie ein Schatten. Ich öffne eine private Sequenz zu meinem Commander vor Ort.

„Sobald jemand einen Fuß in die Brig setzt, wird höchstwahrscheinlich ein stiller Alarm ausgelöst", erinnere ich ihn ernst, „Höchstens fünf Minuten, bevor der Frachter in den Lockdown geht. Bestätige."

SunhuntersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt