63 - Matthias Green

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Ich drehe mich zur Seite, als sich der Söldner auf uns wirft. Das Rohr in seiner Hand blitzt im Licht der Stirnlampen auf, bevor er es hebt und mir in die Brust rammen will. Doch trotz aller Überraschung bin ich noch schnell genug, um die Waffe mit dem Unterarm abzublocken. Der Schmerz entlockt mir ein gequältes Grunzen, bevor wir kollidieren.

Der Mann ist stark, schnell, professionell. Ein geübter Kämpfer, wahrscheinlich ein geübter Mörder. Wir tauschen ein paar schmerzhafte Schläge. Er reißt seinen Kopf nach vorne und will mich k.o. schlagen, erwischt aber nur meinen Unterkiefer. Es knackt gefährlich in meinen Ohren. Heilige Scheiße, er ist gut.

Ich sehe Sternchen vor meinen Augen tanzen, reiße den Arm des Söldners von meinem Gesicht weg und stoße mich mit aller Kraft von der Wand ab, zu der wir während unseres Kampfes hinüber gesegelt sind. Wir schießen einmal quer durch den Raum und landen mit einem lauten Rums an der gegenüberliegenden Wand.

Spucke und Blut schwebt um uns in der Luft, als ich es endlich schaffe, ihm das Rohr aus der Hand zu winden. Ich weiche zwei gezielten Tritten aus, doch das war nur ein Ablenkungsmanöver. Der Eindringlich schlägt mir mit voller Wucht auf meinen ohnehin schon demolierten Unterarm und ich schreie erstickt auf. Er nutzt die Sekunde, in der ich lockerlasse, um sich meinem Griff zu entwinden und sich wieder in Richtung Decke abzustoßen. Mit gefletschten Zähnen folge ich ihm.

Etwas blitzt in der Luft zwischen uns auf und ich kann mich gerade noch an einem Kabel zur Seite ziehen, um dem Messer auszuweichen, das er nach mir wirft. Das Messer segelt an meinem Kopf vorbei, das Kabel reißt aus und in einem Schauer aus Funken krache ich gegen die Decke. Ich reiße das Etuie mit den Schraubenziehern aus meinem Gürtel, ziehe zwei hervor und stehe nun mit beiden Fußsohlen an der Decke, wo ich meine Fußspitzen in weitere Kabel einhaken kann, um nicht wieder abzudrehen.

„Komm' her!", brülle ich und mein Kontrahent tut mir den Gefallen. Ich erwische ihn mit einem der Schraubenzieher am Oberschenkel, doch die Wunde ist nicht tief genug, um ihn davon abzuhalten, mir erneut an die Gurgel zu gehen. Ich hake meine Fußspitzen aus den Kabeln aus und will mich gerade wieder abstoßen, als ...

„Vorsicht!", brüllt das Schneeflöckchen und ich drehe den Kopf, um zu sehen, wie sie neben dem Panel steht und einen Knopf drückt. Der Söldner holt gerade aus, um mich k.o. zu schlagen, als wir den nicht vorhandenen Boden unter den Füßen verlieren.
Die Schwerkraft kommt so plötzlich zurück, dass wir beide schreiend von der Decke fallen. Wir schlagen einige Meter voneinander entfernt auf dem harten Boden auf. Ich habe die Geistesgegenwärtigkeit, mich abzurollen und komme schwankend auf die Beine, während Clara herüber gerannt kommt und dem Söldner mit seinem eigenen Metallrohr eins überzieht, damit er wirklich am Boden bleibt.

„Ich korrigiere mich", ächze ich, „Sie sind schon im Schiff."

MacClara lässt das Metallrohr sinken und hilft mir auf die Beine.

„Bist du okay?", fragt sie, „Was ist mit deinem Arm?"

„Halb so wild. Ist nicht gebrochen."

Ich bewege probehalber meine Finger. Das Schneeflöckchen und ich starren zusammen auf den regungslosen Piraten hinunter. Ein Blutrinnsal sickert aus seinem schwarzen Haar in seinen Bart hinunter. Ich drehe ihn mit dem Stiefel grob auf den Rücken. Er trägt schwarz, abgewetztes Leder und neben mehreren Werkzeugen auch eine Atemmaske am Gürtel. Der Bizeps des Mannes ist ungefähr so groß wie MacClaras Kopf.

„Er ist wahrscheinlich geschickt worden, um sicherzustellen, dass die Schwerkraft wegbleibt. Wahrscheinlich wollte er gerade anfangen, alles kurz und klein zu schlagen, als wir aufgetaucht sind", mutmaßt sie.

„Einer von Elias Männern", ich beuge mich zu dem Bewusstlosen hinunter, ziehe ein weiteres Messer von seinem Gürtel und schneide damit das GalaxyGear des Piraten auf.

„Da", ich deute mit der Klinge auf drei schwarze Tränen auf seiner Brust, „Garcias Crew."

„Wie viele sind auf dem Schiff? Was schätzt du?", fragt MacClara, während sie ebenfalls neben unserem Gast in die Hocke geht. Sie zieht zwei Kabelbinder aus ihrer Tasche und ich halte die Handgelenke des Piraten fest, während sie ihn unschädlich macht. Bei der Kraft, mit der sie ihn k.o. geschlagen hat, wird er aber sowieso erstmal nicht aufwachen. Ich klopfe mir innerlich selbst auf die Schulter dafür, dass ich sie gezwungen habe, so viele Liegestützen zu machen. Ich wische mir geistesabwesend über die Stirn und zucke zusammen, als mein Arm die Bewegung mit einem stechenden Schmerz quittiert.

„Schwer zu sagen. Noyemi jagt alleine. Immer. Garcia hat ungefähr fünfzig Leute in seiner Crew, oder zumindest waren es noch fünfzig, als ich das letzte Mal die Gelegenheit hatte zu zählen."

„Fünfzig davon?", fragt das Schneeflöckchen verstört, „Fünfzig von denen haben sich unbemerkt an Bord geschlichen?"

„Bete, dass es nur fünfzig sind."

Ich rufe auf meiner DataWatch den Link zu Captain Sanchez auf und gebe unsere neusten Erkenntnisse an die Brücke durch. Er hat mich innerhalb der letzten drei Minuten zweimal angerufen. Ewig lässt er nichts von sich hören und dann als ich gerade mit einem Söldner kämpfe, hat er die Güte, sich zu melden und mir ein Update zu geben?

„Das haben wir auch schon festgestellt", kommt es von Sanchez, „Brücke und AI Zentrum sind abgeriegelt. Sobald sie aus der Schwerkrafttechnik raus sind, versiegeln wir auch diese. Wir haben noch keine genauen Zahlen, aber was wir sehen, ist nicht gut. Sie sind durch Dock drei eingedrungen, wie genau ist mir vollkommen schleierhaft."

Ich spreche mit Sanchez, während wir den bewusstlosen Pirat zur Tür hinaus zerren. Sobald dieser dort mit dem Kopf an der Wand lehnt und wie ein Baby vor sich hin sabbert, schließen wir die Tür und warten, bis ‚command override' auf dem Display daneben aufleuchtet.

„Symphony, Sie gehen da nicht alleine rein", kommt es scharf von Siren, die sich nun auch in den Audioanruf eingehängt hat, „Warten Sie auf Verstärkung. Wir haben es hier mit Verrückten im Dienste der VHN zu tun, egal wie gut Sie sich von früher kennen. Haben Sie mich verstanden? Sie warten auf Verstärkung."

„Kein ‚Danke für die Schwerkraft', Siren? Kein ‚Gut gemacht'?"

„Provozieren Sie mich nicht."

„Gut, dann gehe ich stattdessen ein paar Piraten verhauen."

„Haben Sie mir überhaupt zugehört?", brüllt die Generalin so laut, dass die Audiowellen, die blau auf dem Display abgebildet sind, ausschlagen als wäre direkt neben dem Mikrophon eine Bombe explodiert. Wenn man noch einmal betont, dass Siren attraktiv und sauer ist, finde ich diese Metapher noch einmal gelungener.

„Sie haben gesagt ‚gehen Sie da nicht alleine rein' und ich bin ja nicht alleine. Ich habe Paris."

Ich unterbreche die Verbindung und ignoriere den erneuten Anruf von der Brücke. Gelogen habe ich nicht, oder? Ich bin nicht alleine, ich habe eine AI-programmierende, rohrschwingende Französin und ein leuchtendes Babyalien, das auf Erdnussflips steht. Was soll da schon schief gehen?

„Du kannst da doch nicht einfach rein gehen", zischt sie, während wir nun die Korridore entlang rennen, die wir zuvor entlang geschwebt sind.

„Watch me", knurre ich und springe durch einen der Schotts, die wir zuvor aufgestemmt haben. Wenn hier irgendjemand Ravenna und Elias in den Arsch tritt, dann bin ja wohl ich das.

~☀️~

SunhuntersWhere stories live. Discover now