32 - Clara de Flocon

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Am nächsten Tag ist die Stimmung in der Trainingshalle merklich angespannt. Schon normalerweise sind diese Übungen gefürchtet, doch heute zittern alle aus einem ganz anderen Grund. Der Sunhunter sticht aus den Studenten hervor, wie ein buntes Pony. Um ihn her bleibt ein wenig mehr Platz frei, als um die anderen Studenten. Er feilt sich seelenruhig die Nägel und ignoriert die Blicke seiner ehemaligen Schutzbefohlenen, die alle Angst davor haben, dass sie diejenige oder derjenige sein werden, mit der oder dem der Sunhunter heute vor aller Augen den Boden wischt.

„Morgen, Snowflake", grüßt Matt, während der Leiter der Übung es zu seiner ersten Amtstat macht, ihm die Feile abzunehmen, „Gut geschlafen?"

„Schöne Nägel", weiche ich der Frage aus.

Mit weniger als drei Stunden Schlaf muss ich meine gesamte Energie darauf verwenden, aufrecht zu stehen und kann keinerlei Reserven für Reden oder gar Lächeln mobilisieren. Während der Sunhunter seine gepflegten Hände begutachtet, pfeift der Leiter der Übung gellend durch die Zähne. Wir fallen in Reih und Glied, während er brüllend das Programm der nächsten zwei Stunden ansagt. Matt steht vor mir, nicht kerzengerade und angespannt wie der Rest von uns, sondern mit in die Seiten gestützten Armen und sicher sehr kritischem Blick, als könnte ihn das alles nicht weniger interessieren. Für so eine Zuwiderhandlung hätte jeder von uns normalen Rekruten ordentlich eins auf den Deckel bekommen.
Nicht so der Sunhunter.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Crimson stumm die Lippen bewegt, als würde er beten, dass nicht er mit unserer lokalen Berühmtheit in den Ring geschickt wird. Ich fange Dragons Blick zwei Reihen weiter auf. Er formt stumm einen Fluch mit den Lippen. Ich starre wieder geradeaus, auf den Hinterkopf des Sunhunters. Niemand käme auf die Idee, mich gegen ihn in den Ring zu schicken. Die Ausbilder wollen höchstwahrscheinlich einen der Favoriten von seinem hohen Ross herunterholen, indem sie ihn oder sie gegen den Secret Core Intelligence Agenten antreten lassen. Es bringt ihnen rein gar nichts, einen Niemand wie mich zu blamieren. Der Sunhunter beginnt ungeduldig auf und ab zu wippen, während der Leiter der Übung die Kämpfe verliest.

„Booth – Lilly", liest er und ich kann sehen, wie mein Teamleiter vor Erleichterung ausatmet. Ich werde mit einem Mädchen aus dem blauen Team zusammengesteckt, das meinen Blick auffängt und mir mit einem Finger an der Kehle bedeutet, dass sie mich umbringen wird. Sympathisch. Als der Ausbilder Dragon mit Angel in den Ring schickt, scheint klar zu sein, dass es Crimson erwischen wird. Der Hüne neben mir beginnt zu schwitzen. Doch dann bekommt er einen von Dragons Handlangern und es sieht einen Moment lang so aus, als wollten sich die beiden Todfeinde in die Arme sinken, weil sie gegeneinander antreten dürfen und keiner mit dem Sunhunter kämpfen muss. Dieser wippt immer noch auf den Fersen auf und ab und ignoriert das Geschehen.

Einen Moment lang starrt der Ausbilder auf seine Liste.

„Um uns an unseren besonderen Gast anzupassen", setzt er dann an, „habe ich beschlossen, dass ich keinen einzelnen Rekruten gegen Symphony kämpfen lasse."

Der ganze Saal atmet auf, was dem Sunhunter ein selbstgefälliges Grinsen in die Runde erlaubt. Doch der Ausbilder ist noch nicht fertig.

„Deswegen werdet ihr alle nacheinander gegen ihn antreten."

Reihenweise klappen die Kinnladen nach unten. Es sind gut fünfzig Studenten in diesem Raum, die nun alle den Kopf drehen, um Matt anzustarren. Dieser starrt seinerseits den Ausbilder an. Anscheinend war diese Abweichung vom Lehrplan nicht mit unserer Bordberühmtheit abgesprochen. Einen Moment lang bin ich mir sicher, dass er protestiert, doch dann zuckt er nur die Schultern und lässt die Fingerknöchel knacken. Die Rekruten in seiner unmittelbaren Umgebung fahren zusammen vor Schreck.

„Alles klärchen, Bärchen", sagt er, während er sich streckt. Ich bin eine der wenigen, die es hören und tausche einen beunruhigten Blick mit Angel. Alles klärchen, Bärchen ist nicht unbedingt etwas, das man sagt, wenn einem in Aussicht gestellt wird in den nächsten zwei Stunden gegen fünfzig nahkampferprobte StarSoldat Rekruten nacheinander zu kämpfen.

Zwei Ringe werden eingerichtet. Einer, in dem die ausgelosten Paare gegeneinander antreten und einer, in dem wir uns nacheinander dem Sunhunter stellen werden. Ich lasse die Schultern kreisen, wippe unruhig auf und ab, bevor wir zum Aufwärmen in einen schnellen Trab getrieben werden. Angel lässt sich zu mir zurückfallen. Ihr gelockter Pferdeschwanz hüpft auf und ab, während sie kopfschüttelnd sagt: „Das wird anstrengend", sie versucht zu verbergen, wie nervös sie ist. „Viel Glück, Paris."
„Dir auch."

Sie lässt sich noch weiter zu Booth zurückfallen und als ich wieder nach vorne sehe, wirft der Sunhunter gerade einen Blick über die Schulter. Er läuft mit der lässigen Eleganz eines geübte Marathon Athleten. Gegen fünfzig von uns nacheinander anzutreten, wird sogar für den geübtesten Kämpfer schwierig. Ich hole zu ihm auf und ignoriere die Blicke der anderen, die Matt meiden, als würde er sie gleich anfallen und mit ihren Köpfen Fußball spielen. Eigentlich ist es verboten miteinander zu reden, aber ich habe keine Wahl.

„Na?", fragt er, „Überrascht? Panisch? Erregt?"

„In deinen Träumen."

Ich passe mich an sein Tempo an und warte, bis wir am Leiter der Übung vorbeigezogen sind, bis ich leise fortfahre: „Denk' nicht einmal daran, nett zu mir zu sein."

Der Sunhunter sieht geradeaus. Ich kann nicht sagen, ob er schon erwogen hat, mich vom Haken zu lassen.

„Wie kommst du denn darauf?", fragte er unschuldig.

„Ich meine es ernst", flüstere ich, während wir um eine Kurve jagen, „Wenn die anderen mitbekommen, dass du mich aus irgendwelchen Gründen – unsere Küchenschichten, der Oktopus, egal - nicht so hart rannimmst wie sie, wird das ein Albtraum. Ob ich die blauen Flecken von dir oder von ihnen bekomme, ist egal."

Der Sunhunter wirft mir einen kurzen Blick zu, aus dem klarer Widerwillen spricht.
„Ihr benehmt euch ja alle geradezu, als würde ich euch hinrichten."

„Bitte", ich lasse mich zurückfallen, „Tu' gar nicht erst so, als fändest du das übertrieben."

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SunhuntersWhere stories live. Discover now