21 - Clara de Flocon

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Wenn man lange durch das All fliegt, beginnt man die seltsamsten Dinge zu vermissen.
Zwar drücken wir unser Essen nicht mehr aus Tuben und schweben aufgrund fehlender Schwerkraft nicht mehr hilflos im Schiff herum, doch das mindert das Heimweh kaum, das die meisten hier früher oder später erfasst.
Ich sage bewusst die meisten, weil viele gar kein Zuhause mehr haben.

Wir wurden ausgehoben, zusammengezogen, eingezogen, wie auch immer man es nennen will.
Aus Waisenhäusern und glücklichen Familien gleichermaßen. Die kompromisslose Rekrutenpolitik der Föderation lässt in der Regel nicht einmal den einflussreichsten Familien des Systems viel Spielraum. Zu Anfang gab es feierliche Zeremonien, wenn die Kinder aus den Häusern geholt, in die Schiffe mit dem orangenen Stern auf den matten Hüllen verladen und himmelwärts getragen wurden.

Ich habe keine Zeremonie bekommen, als mein Name ausgelost wurde. Meine Großmutter und Edmund hatten kaum zwei Stunden, um sich von mir zu verabschieden, bevor ich in Richtung Sterne geschossen wurde.
Ich erinnere mich wortgetreu an all die Versprechungen, die mir mein Ex Freund gemacht hat, an das Geld seines Vaters, mit dem er mich irgendwie aus der Bredouille retten wollte, wobei wir beide bereits wussten, dass es sinnlos sein würde.
Gran hat mir ihren Kreuzanhänger um den Hals gelegt, hat mich so lange festgehalten, bis die Soldaten ungeduldig wurden und dann gewinkt, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Ich stelle mir gerne vor, dass sie auch noch gewinkt hat, als wir schon längst die künstliche Atmosphäre unserer Heimat verlassen hatten.
Es gab keine großen Abschiedsworte von ihrer Seite, denn dafür war sie nie der Typ gewesen. Aber manchmal ist es mir, als könne ich immer noch ihre letzte Umarmung, die Festeste, die sie mir je gegeben hat, in den Knochen spüren.

Ich vermisse wie das Licht durch die Blätter der unzähligen Pflanzen in ihrer Küche fällt, wie sie leise vor sich hin summt, während sie in einem unserer verbeulten Töpfe rührt, wie sich das Licht der Holos in ihren runden Brillengläsern reflektiert, während wir zusammen an Katara gecodet haben.
Aber vor allem vermisse ich den Anblick ihrer blau gestreiften Schürze und ihre funkelnden Augen, wenn sie mich in ihrem schweren Akzent darum bittet, etwas zu probieren oder abzuschmecken.
Gran war mein zuhause. Nun weiß ich nicht einmal, ob sie noch lebt.

Ich sitze im Schneidersitz auf dem Boden der Schiffskapelle.
Der Raum ist klein, aber hoch, und trägt keinerlei Ornamente an den Wänden. Im Vorraum hängen Gebetsteppiche neben Rosenkränzen und Bildern blauhäutiger Gottheiten, alles um ein Becken für rituelle Waschungen herum.
Die Stille riecht leicht nach Weihrauch, einem Duft, der an Bord eines Raumschiffs, auf dem die nächste Generation Soldaten für den intergalaktischen krieg trainiert wird, völlig fehl am Platz wirkt.
Das über drei Meter hohe Fenster, das hinaus in die glitzernden Tiefe des Weltraums blicken lässt, macht die Kapelle zu meinem liebsten Ort auf dem ganzen Schiff.

Als ich das erste Mal hier gestanden habe, hat mir der Atem gestockt. Inzwischen fühlt es sich jedes Mal an, als würde mir endlich jemand die Last von der Brust nehmen, die ich tagtäglich mit mir herumschleppe und zwischenzeitlich völlig vergesse. Die Ruhe, die mich in Anbetracht dieser unendlichen Dimensionen jedes Mal erfasst, ist ruhig wie die Tiefsee. Die Gewissheit, dass auf lange Sicht kein Fehler, den ich in meinem Leben machen kann, einen Einfluss auf den wirklich großen Fortlauf der Dinge haben wird, fühlt sich erlösend an.
Der Blick in die bodenlose Schwärze hilft mir jedes Mal aufs Neue, Dinge in Perspektive zu setzen, Unwichtiges aus meinem Kopf zu verbannen und inmitten des Chaos, in das sich die Realität verwandelt hat, zur Ruhe zu kommen.

Als ein anderer Rekrut eintritt, den ich vom Sehen kannte, erhebe ich mich und nicke ihm zu.
Ich durchquere den Vorraum, binde mir dir Haare zusammen und trete wieder hinaus auf den Korridor, wo pausenlos Menschen vorbeiströmen. Ich reihe mich ein und mache mich auf den Weg zu den Suiten der Kommandanten, die am anderen Ende des Schiffs residieren.
Mit der Zeit werden die Gänge zunehmend leerer. Ich ernte den ein oder anderen schrägen Blick von hochrangigen Militärs, während ich den Berechtigungscode in die Türsicherungen eingebe und mich immer mehr von den Decks entferne, auf denen Rekruten normalerweise anzutreffen sind.

SunhuntersTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon