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Ravenna lässt sich in den Sitz fallen, schlägt ihre Beine übereinander und beginnt sich mit einem Messer die Fingernägel zu säubern. Elias rümpft die Nase. Er hat keinerlei Zweifel daran, dass es rostrotes Blut ist, das unter ihren gefährlichen Nägeln klebt. Sie wirft das Messer in die Luft, sodass es sich einmal um die eigene Achse dreht und fängt es mit spielerischer Leichtigkeit wieder auf, um sich ihrem Zeigefinger zu widmen.

„Das hat aber gedauert", stellt er düster fest. Die Stimme des Piraten ist so verhangen, dass man meinen könnte, er müsse gleich eine Rede auf einer Beerdigung geben. Einen Toten gibt es nun auf jeden Fall, nur ein Priester und ein Sarg sind weit und breit nicht zu sehen.

„Keine Sorge, ich habe alles gewischt", antwortet die Söldnerin, ohne aufzusehen, „Die schmutzigen Lappen habe ich gleich mit unserem Gast in den Weltraum gepustet."
Wie zur Betonung bläst sie sich über die Fingernägel, eine völlig unnötige Geste, die Elias beinahe ein Augenrollen abringt. Beinahe. Er ist nicht der Typ für wirklich aussagekräftige Gesichtsausdrücke. Er kommuniziert nicht über seine Mimik, wie andere Menschen es tun. Wo normalerweise Entsetzen, Freude und Ärger stehen, zeigt er der Welt immer die gleiche Botschaft. Es steht sehr groß „Lass mich in Ruhe und du lebst morgen vielleicht noch" auf seinen Zügen, das kann so ziemlich jeder entziffern, auch Ravenna. Doch im Gegensatz zu den meisten Menschen hat sie den Mut, diese Warnung zumeist vollkommen zu ignorieren.

„Er hat Verdacht geschöpft", hängt sie an, „Matt weiß, dass ich hinter ihm her bin. Keine Ahnung, wie er darauf gekommen ist. Der Scout hat mit ihm telefoniert, noch in Port Canad, aber bevor er irgendeine Ahnung hatte, dass wir dort sind."

Elias starrt weiter in den Weltraum hinaus und schüttelt nur leicht den Kopf, während er den Blick senkt und einen Hebel auf seinem Armaturenbrett nach unten zieht. Er wirkt nicht überrascht über die Neuigkeiten.

„So schwer ist es nicht, auf dich zu kommen", sagt er, lehnt sich zurück und drückt zwei rote Knöpfe, die hinter ihm an der Decke des uralten Schiffs angebracht sind, „Seit der Sache in New Bejing bist du hinter ihm her, das ist niemandem bewusster als Matt. Er ist nicht dumm, auch wenn er es gerne alle glauben lässt."

„Ich kotz gleich", ätzt Ravenna, während sich Elias wieder vorbeugt, „Schreib ihm doch gleich ein Liebesgedicht."

„Eine Hymne."

„Was?"

„Ein Loblied wäre eine Hymne, kein Liebesgedicht."

„Ach, halt doch die Schnauze, alter Klugscheißer."

„Lern' du lieber deine Vokabeln des Tages, anstatt irgendwelche Typen zu foltern und mein Schiff vollzusauen."

Ravenna lässt ihr Messer aufblitzen. Die scharfe Kante streift Elias Fingerknöchel und hinterlässt dort eine scharlachrote Spur. Doch nicht nur die Söldnerin hat schnelle Reflexe. Innerhalb eines Sekundenbruchteils hat er ihr die Waffe zwischen den Fingern hervorgezogen und sie in die Lehne ihres Sitzes gestoßen. Die Klinge zittert links von Ravennas Rippenbogen im Füllmaterial des Sessels.

„Nicht mit mir, Sugarcube", droht er, „Wir mögen zwar zusammen auf der Jagd sein, aber wir sind keine Freunde."

Der Subtext ist fast lauter als die klaren Worte: Fass mich noch einmal an und ich breche dir die Finger.

„Jesus-fucking-Christ, Garcia, entspann dich."

Ravenna nimmt ihre Klinge wieder an sich und bringt sie außerhalb seiner Reichweite auf der anderen Seite ihres Gürtels in Sicherheit. Sie hat die schmutzige Funktionskleidung gegen ein schwarzes Spitzenkleid mit Lolita Tüllrock, neongelbe Netzstrümpfe und kniehohe Lederstiefel eingetauscht, was nur diese verflixte Söldnerin tun kann, um trotzdem noch bedrohlich auszusehen. Wie als Symbol ihres guten Willens holt sie eine blau vor sich hin leuchtende Festplatte aus ihrem von Schuss- und Brandlöchern durchsiebten Jersey Rucksack hervor und hält sie dem Piraten hin.

„Was ist das?", fragt Elias unleidig. Er wünschte, er könnte Ravenna einfach irgendwo in einen Schrank sperren, bis sie den Kreuzer erreichen, doch wenn sie Matthias, diesen blauäugigen Bastard, fangen wollen, müssen sie sich irgendwie zusammenraufen. Denn obwohl Garcia es wirklich ungerne zugibt ist dieser Sunhunter nicht schlecht in dem, was er tut. Sugarcube und Babydoll so unverschämt aufs Glatteis zu führen erfordert stahlharte Nerven und eine gesunde Prise Größenwahn. Beides hat Green im Überfluss.

„Unsere Eintrittskarte. Erstklassiges Material. Hat mich ein Schweinegeld gekostet, aber nicht annähernd so viel, wie sie für seinen Kopf zahlen. Tot oder lebendig, ich werde ihn an seinen Haaren von diesem Schiff zerren."

Elias dreht sich zur Seite und zieht erneut an einem Hebel. Sein Schiff ist uralt, es hat keinen einzigen HoloScreen an Bord, geschweige denn eine AI. Im Gegensatz zu Ravennas eleganter Fregatte ist der Frachter des Piraten geradezu schrottreif, doch nichts könnte diesen dazu bringen, sich einen Neuen anzuschaffen. Zu viele Erinnerungen haften am verdellten Blech, zu viele Triumphe sind als Kratzer auf der schwarzen Hülle zurückgeblieben. Menschen kommen und gehen, aber sein Schiff bleibt immer das gleiche.

Vor langer Zeit ist der Sunhunter neben ihm auf dem Copiloten Sitz gesessen, hat irgendeinen Groschenroman gelesen und sich regelmäßig beschwert, dass Garcia die Musik lauter machen soll. Nun ist er auf diesem Föderationsschiff, wahrscheinlich in eine ihrer hübschen Uniformen geschnürt, und Elias ist auf der Jagd nach ihm, wie nach irgendeiner anderen Zielperson. Statt Rücken an Rücken zu kämpfen, werden sie sich in absehbarer Zeit die Waffen gegenseitig auf die Stirn richten. Der Pirat kann nicht verleugnen, dass er Vorfreude dabei verspürt, den Abzug zu drücken und endlich das Grinsen aus dem Gesicht des Sunhunters zu wischen, der ihn so dreist hintergangen hat. Es gibt viele Menschen, die Elias hassen, aber nur einen, den er wirklich aus tiefster Seele verabscheut.

„Du hast mit Gabe gesprochen?", fragt er Noyemi mit einem Blick auf die Festplatte. Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage.

„Sie hat mir gesagt, dass sie sehr exklusives neues Material hat. Aus VHN Kreisen, munkelt man. Der Kreuzer ist alt, aber relativ gut gesichert laut Gabe. Doch das hier sollte reichen, bis wir drinnen sind." Noyemi hebt ihre Füße auf das Armaturenbrett und stößt mit der dicken Sohle gegen die Festplatte, während sie ihre langen Beine übereinanderschlägt. Sie lässt eine grellorange Kaugummiblase platzen und verschränkt entspannt die Klauenfinger vor dem Bauch.

„Sie werden nicht wissen, wie ihnen geschieht", haucht sie in die Stille und es klingt, als würde der Satz von einem bedrohlichen Drachen in einer Kinderserie ausgesprochen werden, nicht von einer jungen Frau in neongelben Netzstrumpfhosen. 

~☀️~

SunhuntersWhere stories live. Discover now