70 - Matthias Green

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Fuck.
Mehr kann und will ich zur momentanen Situation nicht sagen. Ich bin halbtot, knie zwischen Elias Garcia und seinem Co-Kapitän auf dem schmutzigen Boden seines Raumschiffs und habe soeben festgestellt, dass das Kopfgeld auf mich nicht wie erwartet erfordert, dass ich noch atmend bei der VHN ankomme. Ich habe nun noch zwei Hoffnungen, die zunehmend verblassen, und dann bleibt mir schlicht nichts anderes übrig, als laut schreiend meinen Kopf gegen den Boden zu schlagen, bis ich gnädigerweise ohnmächtig werde.

„Heeey, Elias, Schatz, wir können doch über alles reden ...", setze ich an, doch der Pirat schlägt mir mit der flachen Hand auf den Rücken, wo sich inzwischen Brandblasen bilden, und mein Satz endet in einem Schrei. Clara starrt mich fassungslos an, während Ravenna sie auf das Schiff zu zieht. Garcia hängt meine Handschellen in eine grobe Eisenkette ein, die sie wohl schon zuvor dort deponiert haben. Als könnte ich mit diesen Verletzungen wirklich einen Fluchtversuch starten. Ich sollte mich geschmeichelt fühlen, dass sie mir das zutrauen. Wie gesagt, ich bin nur halb bei Bewusstsein.

Die Welt besteht aus farbigen Schlieren, MacClaras Wutschreien und dem Trampeln der Piraten, die sich auf ihre Schiffe verteilen. Ich sehe zu Clara hinüber, die irgendetwas signalisiert, das ich aber nicht verstehe. Sie deutet auf ihr Handgelenk, immer und immer wieder, während Ravenna seelenruhig ihre Waffe lädt, um das Schneeflöckchen zu erschießen.

„Lass sie gehen", fordere ich, so laut es meine schmerzenden Ohren ertragen, „Lass Clara gehen, Ravenna. Es bringt dir nicht das Geringste, wenn du sie umbringst."

Die Söldnerin dreht sich zu mir um. Sie ist ebenfalls angeschlagen, blutet und humpelt aber nicht ganz so schlimm wie wir. Noch hängt die Waffe an ihrer Seite, doch ich weiß selbst in meinem Zustand, dass es nur Momente dauern wird, bis sie sie hebt und dem Schneeflöckchen eine Kugel zwischen die Augen jagt. Ich sehe Claras Panik, ihre Todesangst in jedem ihrer hektischen Atemzüge. Keine Rekrutin sollte zwischen den miesesten Schweinen von Weltraumpiraten auf dem Boden knien und damit rechnen müssen, dass sie in den nächsten fünf Minuten stirbt. Diese Katastrophe ist meine Schuld.

„Du bist in keiner guten Verhandlungslage, kiddo."

„Nenn' mich nicht kiddo. Lass sie gehen oder ich sage dir nichts von dem, was ich weiß. Du magst mich lebendig oder tot zu Dellaware schleifen, aber die Informationen, die du eigentlich auf dem Schwarzmarkt verhökern willst, bekommst du niemals, wenn sie stirbt. Wir wissen beide, dass ich mich nicht so einfach brechen lasse ..."

Der Satz endet einmal mehr in gequältem Aufstöhnen, als Elias wieder das verbrannte Fleisch an meinem Rücken berührt. Er muss nicht einmal zuschlagen und ich bin beinahe ohnmächtig. Clara deutet hinter Ravennas Rücken einmal mehr verstohlen auf ihr Handgelenk. Wieso will sie wissen, wie viel Uhr es ist?, denke ich benebelt, während Ravenna lacht.

„Matthias, Matthias, da unterschätzt du mich aber gewaltig. Du wirst singen wie ein Vögelchen. Dein Freund hat sich auch für tough gehalten, bevor wir alleine miteinander waren."

Einen Moment lang bin ich so geschockt, dass ich zu keiner körperlichen Regung fähig bin. Gäbe es noch Schimpfwörter, die ich heute noch nicht verwendet habe, würde ich sie an dieser Stelle gerne alle anbringen.

„Scout, circa eins achtzig, ganz schon zäh ..."

„Was hat sie mit ihm gemacht?", frage ich Elias, um absichtlich Ravennas Moment zu ruinieren. Mir schlägt das Herz ohnehin schon bis zum Hals, aber nun wird mir klar, dass ich dieses Gespann aus Killern trotz allem noch unterschätzt habe. Sie haben Jitter erwischt. Wie zur Hölle haben sie Jitter erwischt?

„Wieso lässt du dich überhaupt auf sie ein, hm?", frage ich den Söldner, „Ich dachte, ihr habt einen Ehrenkodex in deiner Familie ... aaahhhh."

Dieses Mal hallt mein Schrei durch den Hangar. Ich höre meinen Namen, während bunten Punkte vor meinen Augen flirren und ich mir zum fünfhundertsten Mal an diesem Tag wünsche, ich wäre Botaniker, Sommelier oder Nanny geworden. Leise sein ist allerdings keine Option gerade, da ich dringend Zeit schinden muss, bis Siren auftaucht und unsere süßen Hintern rettet. Wenn dieses Raumschiff abhebt, sind wir erledigt. Es wird nur noch ein paar Minuten dauern, bis alle Piraten zurück in den Schiffen sind. So wenig Zeit. Also beiße ich die Zähne zusammen, hieve mich ächzend auf die Ellenbogen und tue das Letzte, was ich will: ich gebe Ravenna eine Steilvorlage für ihren Bösewicht Monolog,

„Rav, wie zur Hölle habt ihr Jitter gefunden?"

Doch sie reagiert nicht, wie erwartet.

„Wir haben keine Zeit dafür", erinnert Elias die Söldnerin, die nun vor mir in die Hocke gegangen ist.

„Was versprichst du dir davon, Zeit zu schinden?", fragt sie mich, „Dein Mädchen wird sterben und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst."

„Warte", fordert Clara. Wir sind so überrascht, dass sie sich zu Wort meldet, dass wir uns zu ihr umdrehen. „Lasst mich mich verabschieden. Bitte."

Ravenna lacht nur, doch Elias nickt seinem Piraten zu und ich werde noch einmal von der Eisenkette gelöst und von Kopf bis Fuß verschnürt aus dem SpaceJet gezerrt, zu Clara hinüber, die nach wie vor unter Ravennas Kontrolle steht.

„Clara", flüstere ich, als wir voreinander auf dem Boden knien, „Es tut mir leid. Du hättest niemals hier landen sollen."

Meine Sicht verschwimmt. Green, reiß dich zusammen, verdammte Axt. Sie darf nicht hier sterben.

„Hör' zu, wenn sie auf dich schießt, hast du die beste Chance, zu überleben, wenn du ..."

Doch da beugt sie sich vor und küsst mich. Ich bin so überrumpelt, dass ich die Augen offen habe und einen Moment brauche, um zu realisieren, was sie tut. Selbst zwischen meinen Schmerzen und der Tatsache, dass ich wahrscheinlich wirklich gleich in Ohnmacht falle, finde ich es immer noch schön, von ihr geküsst zu werden. Obwohl ich ja normalerweise immer für knutschen bin, ist es aber doch etwas anderes, wenn man von einem Haufen Mörder dabei beobachtet wird. Ravenna lädt schon ihre Waffe, als Clara sich zurückzieht. Doch in ihren Augen steht nicht dieselbe Angst, wie in meinen, als man sie wegschleift. Hat sie keine Angst vor dem Tod, weil sie gläubig ist? Wieso hat sie keine Angst?

„MacClara!"

Elias ruft seinem Piloten zu, dass wir bereit zum Abheben sind, während zwei letzte Piraten an Bord springen. Sie bluten, als wären sie gerade aus einer Schießerei mit den Mechanikern oder den Rekruten entkommen. Mein Herz rast in meiner Kehle. So knapp. So verdammt knapp ist es also gewesen. Siren muss in der Nähe sein, die Verstärkung nur ein paar Türen entfernt und doch unendlich weit weg.

Clara sieht mich an. Ich kämpfe immer noch gegen die Fesseln, schreie mir die Seele aus dem Leib. Dass ich bei der VHN lande, weiß ich. Dass ich wahrscheinlich draufgehe, weiß ich auch. Das ist mein Job. Doch das hier ist so falsch, so ungerecht, so unverdient, dass ich meine beiden Arme verkaufen würde, wenn es diese verflixte Situation auflösen könnte, ohne dass sie zu Schaden kommt. Es ist nicht rational, was ich denke. Doch die Schuld krallt sich in jede Faser meines Körpers.

Clara steht absolut ruhig neben Ravenna, als wäre sie ein zum Tode verurteilter General. Unaufhaltsam fährt die Rampe des Frachters in die Höhe, verdeckt ihre Knie, ihre Oberschenkel, ihre Hüfte ...

Mir wird erst klar, dass ich sie fundamental unterschätzt habe, als die Rampe schon beinahe ihre Brust erreicht hat und sie beginnt, zu grinsen. Dann hebt sie ihr Handgelenk, an dem meine DataWatch leuchtet und fragt laut:

„Katara, wie wird das Wetter morgen?"

~☀️~

SunhuntersWhere stories live. Discover now