9 - Clara de Flocon

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Corporal Gibson, eine dienstältere Latina mit nur drei Fingern an der linken Hand, kickt die Tür zum Schlafsaal jeden Morgen um Punkt 4.30 Uhr mit solcher Wucht auf, dass wir als neue Rekruten immer aus den Betten gefallen sind vor Schreck. Inzwischen haben sich alle an ihre Weckmethoden gewöhnt.
Ich zucke nicht einmal mehr, sondern vergrabe stöhnend den Kopf in meinem Kissen, während Gibson „Aufstehen! Aufstehen, ladies, nicht so langsam!" brüllt.
Normalerweise bin ich die erste in unserem Schlafsaal, die auf die Beine springt, weil ich ansonsten sofort wieder einschlafe.
Ich habe mir wegen verschlafenen Unterrichtseinheiten mehrmals üblen Ärger mit den Ausbildern – vor allem mit Gibson - eingehandelt.

Aber nach der nächtlichen Aktion gestern krieche ich genauso unwillig aus meinem Bett, wie der Rest der Rekrutinnen in meinem Saal.
Alle sind müde, die Braven, weil sie noch irgendwelche Papiere bei ihren Professoren abgeben müssen, die ganz Risikofreudigen haben sich gestern noch einmal rausgeschlichen und haben im besten Fall einen Kater und im schlimmsten Fall eine Geschlechtskrankheit.
Ich strecke mich, entknote meine Kette mit dem Kreuzanhänger aus meinen Haaren und beginne den ersten Tag im neuen Semester mit einem vorsichtigen Blick über die Schulter.
Noch hat sie mich nicht entdeckt. Vielleicht hat Louis seiner Freundin gestern Nacht doch nicht mehr erzählt, was mit seinen kostbaren Joints passiert ist. Ich bekreuzige mich unauffällig, bevor ich in Richtung Gemeinschaftsbad eile.

Wir duschen im fünf Minuten Takt, machen die Betten, putzen Zähne und reiben uns den Schlaf aus den Augen. Der Kreuzer hat zwar ein sehr modernes Wasseraufbereitungssystem, aber die Duschen im Rekrutentrakt sind Grauwasser-Recycling Duschen, was heißt, dass man nach circa fünf Minuten Frischwasser wieder mit dem bereits benutzten Wasser duscht, um Energie zu sparen. Da besagtes Wasser aber in der Regel eiskalt ist, hat keiner Probleme, dieses Limit einzuhalten.

Meine Nemesis entdeckt mich, als ich mir gerade das Shampoo aus den Haaren wasche. Eine Hand mit abgebrochenen Nägeln zieht den Duschvorhang vor meiner Kabine zurück und drei nicht gerade amüsierte Rekrutinnen tauchen dahinter auf.
Seufzend finde ich mich damit ab, dass ich mir wohl nackt meine Standpauke abholen muss.
Valentina „Roach" River und ihre zwei weiblichen Bodyguards versperren mir den Weg zu meinen Klamotten.

„Schaut euch diese kleine Französin an. Stolziert hier herum, als würde sie gleich einen Café au Lait auf dem Eifelturm in Paris trinken, anstatt sich Ärger einzuhandeln."

Splitterfasernackt lehne ich in der Duschkabine und zwinge mich cool zu bleiben. Sie kann mich schlecht vor allen zusammenschlagen.
Roachs Blick wandert abwertend über meinen Körper.

„Wahnsinn, dass du dich das traust, Paris. Wenn ich wie ein neunjähriger Junge aussehen würde, würde ich meinen Kopf unten halten und hoffen, dass mich die großen Mädchen nicht aus Versehen schubsen", säuselt sie, „Aber halt ... neunjährige Jungen sind nicht so behaart. Tjaja, was bist du dann? Vielleicht ... einfach nur hässlich?"

Sie gackern los.
Ergeben nicke ich, hebe die Hände. Ich habe das Duschwasser immer noch nicht abgedreht, wasche meine Achseln, während sie mich beleidigt, als wäre es mir völlig egal. Wenn man hier kein dickes Fell hat, muss man immerhin so tun, als hätte man eines. Doch solche miesen Beleidigungen treffen mich tiefer, als ich es zugeben will.

„Ja, ich habe deinen Freund beim Kiffen erwischt. Aber die Tüten habe ich nicht, falls das deine Frage ist."

Ich provoziere sie nicht. Ich sage ihr nicht, dass ihr Freund wohl ein Riesenbaby ist, das seine eigenen Kämpfe nicht austragen kann.
Die Rekrutinnen hier an Bord leben Feindschaften meist anders aus als ihre männlichen Kollegen. Und eine Faust im Gesicht ist mir lieber, als monatelange Gerüchte und Manipulation meines sozialen Umfelds.
Roach ist nachtragend, auch wenn es nur um die kleinste Verletzung ihres Stolzes geht. Manchmal denke ich, es macht ihr einfach Spaß, andere zappeln zu sehen.

„Ja, wir wissen, dass dein Hausmeisterfreund die genommen hat, sweetheart", säuselt Roach weiter und wendet sich um Zustimmung heischend ihren beiden Jüngerinnen zu, „Süß, nicht? Findet keine Freunde hier, also setzt sie ihre Standards nach unten und fängt was mit dem Kerl an, der die Klos schrubbt. So süß!"

Ich habe zu zittern angefangen, nicht vor Furcht, sondern mehr vor Kälte, was aber irgendwie alles zusammenspielt.
Ich will hier weg, ganz dringend. Außerdem leeren sich die Duschen immer mehr. Ich habe in der letzten Schicht geduscht, was im Nachhinein nicht gerade intelligent war. Ohne Zeugen ist es gut möglich, dass ich doch noch eine Abreibung bekomme.

„Roach!", bellt Gibson vom anderen Ende des Waschraums, „Du kommst zu spät."

Roach tritt grinsend zurück, hebt unschuldig die Hände und salutiert.

„Nein, Ma'am, ich komme nicht zu spät."

Triumphierend und böse kichernd zieht das Dreigestirn ab.
Ich lehne an den kalten Fliesen und atme einmal lange aus. Nichts passiert, Clara, reiß dich gefälligst zusammen.
Als Gibson mich entdeckt, schreit sie mich zwar an und droht mir mit Strafaufgaben, wenn ich wieder in alte Muster zurückfalle, aber das halte ich aus.
Gibson hasst mich nicht. Sie macht nur ihren Job.

Ich schlüpfe so schnell ich kann in die rote Uniform der Andromeda Föderationsrekruten und muss direkt ins Auditorium rennen, ohne im Frühstücksraum zu stoppen.
Was für ein perfekter Start in das neue Semester, denke ich bitter, als ich durch die Flügeltüren in den Vorlesungssaal trete.

~☀️~

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