36 - Clara de Flocon

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Nach den harten Straftrainings, mit denen uns Siren in den letzten Tagen gequält hat, schmerzt jeder einzelne Muskel in meinem Körper. Hinzu kommt, dass ich auf meinen üblichen Routen gefühlt jedes Mal einen dreifachen Umweg nehmen muss, um dem Sunhunter nicht zu begegnen.

Seitdem er beim Training mit seinem vollen Gewicht auf mir gelegen ist und mir zehn Minuten später angeboten hat, mich selbst zu unterrichten, ist die Stimmung aufgeladen.
Ich weiß, dass er will, dass ich über sein Angebot nachdenke und seit Tagen tue ich nichts anderes. Beim Essen, auf den Gängen, nachts im Bett – immer wieder drehe ich Matts Worte in meinem Kopf hin und her und immer wieder komme ich zum selben Schluss: so egoistisch kann ich nicht sein.

Obwohl ich mich bereits entschieden habe, graust es mir davor, ihm meinen Entschluss mitzuteilen. Schon jetzt komme ich mir undankbar und auch irgendwie naiv vor, aber ich kann mich einfach nicht so gegen meine Prinzipien stellen.

Ich bin dazu übergegangen meine Pausen im Zwischendeck zu verbringen. Zwar haben wir hier Dragon versteckt bei seinem wahnsinnig bescheuerten Spiel, doch ich habe nicht im Traum daran gedacht, ihm und Louis zu verraten, was sich zwei Türen weiter verbirgt.

Mein Rückzugsort ist nicht unbedingt groß, aber frei von Kommilitonen und Sunhuntern. Ich habe gefärbte Bettlaken an die hässliche Betondecke gehängt und auch an die kahlen Wände, sodass man ein bisschen das Gefühl hat, sich in einem Zelt zu befinden. Da ich eine Zeit lang in der Bordwäscherei Dienst geschoben habe, war es ein leichtes hier und da ein löchriges Laken einzustecken, anstatt es wegzuwerfen.

Meine Comics liegen in einem sauberen Stapel an einer Wand, gegenüber stehen auf umgedrehten Obstkisten und Kartons ein altersschwacher Laptop aus der IT und weiteres technisches Equipment.
Im ganzen Raum verteilt stehen Schattenpflanzen, die auch im Inneren des Schiffs gedeihen und Ableger um Ableger bilden – so schnell, dass ich sie in Töpfe aus der Kaffeteria, rostige Werkzeugkästen und sogar alte Turnschuhe pflanzen muss.
Ich habe sogar eine winzige Auszieh-Couch ergattern können, die letztes Jahr aus dem Aufenthaltsraum aussortiert wurde und jetzt mein Lieblingsplatz auf dem ganzen Schiff und das Herzstück meiner Höhle ist.

Hier lese ich also, genieße die Stille und programmiere im Geheimen an meiner AI herum.
Sie ist noch lange nicht so ausgefeilt wie das Stützradprogramm, das der Sunhunter uns auf die UniJets gespielt hat, aber ich bastle immer wieder daran herum, weil es mir so Spaß macht.

Ich sitze gerade auf meiner Couch, trinke Früchtetee und tippe Codereihen in die Projektion meiner DataWatch, während das schlafende Gesicht einer freundlich aussehenden Frau aus sanftem, grünem Licht vor mir in der Luft hängt.
Noch ein Grund, wieso ich gerne eine AI hätte – dann wäre ich nie alleine, auch wenn mein Team in anderen Schlafsälen schläft oder mir alles zu viel wird und ich mich hierhin zurückziehe.

Ich lasse einen Befehl zur probe laufen und seufze, als eine Fehlermeldung aufblinkt.
Das Frauengesicht runzelt missbilligend die Stirn. Ich wünschte, ich hätte ihr das nicht einprogrammiert.
Ich lehne mich zurück, fische den Teebeutel aus meiner Tasse und lege ihn in einen leeren Aschenbecher zu meinen Füßen.

Ich bin unkonzentriert heute.
Alles nur, wegen des dummen Angebots, das mir der Sunhunter fast beiläufig gemacht hat. Soetwas könnte mein Leben vollkommen auf den Kopf stellen – es sollte doch nicht einfach in einer Sportumkleide stattfinden, oder?
Ein solches Angebot flüsterte man verstohlen in eine mondhelle Nacht in einem Renaissance Garten und nicht in die nach Schweiß stinkende Luft einer Rekrutenumkleide.

Ich presse mir die Handballen auf die Augen und lausche ein paar Momente meiner sanft dahinplätschernden Lo-fi HipHop Musik, die aus meinen eigentlich nur für Kampfsimulationen bereitgestellten Kopfhörern tönt.

SunhuntersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt