44 - Clara de Flocon

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Eine Party auf einem Raumschiff ist nicht halb so cool, wie sich die Sache anhört. Ein Haufen Freiwilliger hat den gesamten Tag damit verbracht die Tische der Cafeteria vom Boden loszuschrauben und somit eine Tanzfläche freizuräumen. Das gelbe Team hat eine DJ Bühne aufgebaut, irgendjemand anderes LEDs an die Wände geklebt, die immer wieder im Rhythmus der Musik aufleuchten. Ich habe keine Ahnung woher das Ding stammt, aber jemand hat eine Diskokugel in der Mitte der Decke befestigt, die nun bunte Pünktchen auf die Menge wirft. Der Sunhunter hängt kommentarlos den Oktopus an die Discokugel und erinnert alle in Hörweite an Regel Nummer drei, bevor wir unseren Weg fortsetzen.

Aus den eilig hereingeschleppten Boxen dröhnt Techno, dann Rock, dann Pop, ein Rundumschlag durch die Musik der Jahre 2020 bis 2029. Die unkreative Mehrheit der Rekruten hat sich tatsächlich nur eine medizinische Maske aufgesetzt und wahlweise Impfpässe oder Pappspritzen als Accessoires dabei. Hier und da sieht man noch einen Ganzkörper Schutzanzug, aber in den Dingern ist es beinahe unmöglich zu tanzen.
Die Gesichter von amerikanischen und russischen Präsidenten, die sich einige in Form von Pappmasken aufgesetzt haben, blitzen auch immer wieder auf in der Menge. Auch ein paar Pop- und Rockstars sind zu erkennen in dem wilden Chaos, manche tragen improvisierte Jacketts, Eyeliner und haben sich mit schwarzem Marker italienische Tattoos auf die Haut gemalt.

Es ist noch nicht spät, doch die Stimmung ist bereits aufgeheizt und die ersten Betrunkenen stolpern durch die Gegend. Einer von ihnen, der ein Fußballtrikot trägt, pfeift mir hinterher und ich hebe stumm den Mittelfinger. Der Sunhunter dreht sich nach dem Idioten um und fährt sich mit dem Finger über die Kehle. Ich habe noch nie einen Betrunkenen so schnell rennen gesehen.

„Musste das sein?", frage ich laut, aber er bedeutet mir nur, dass er mich bei dem Lärm nicht versteht und dreht sich um. Ein Mädchen mit zwei Zöpfen und einem Demonstrationsschild, auf dem groß „Save our Planet!" steht, drängt sich an mir vorbei und kippt dabei Bier auf meine Schuhe. Ich wünsche mir schon zum zweiten Mal, einfach die Party geschwänzt zu haben.

Dann taucht der Sunhunter wieder neben mir auf, legt mir einen Arm auf den Rücken und schiebt mich gekonnt durch die Menge. Das ist nun um einiges einfacher, da alle vor ihm zurückweichen. Die Menschen meiden und bewundern ihn zur gleichen Zeit, was dazu führt, dass sich die Menge vor ihm teilt, wie vor einem antiken König. Nicht gut für sein Ego, denke ich nur noch, bevor wir uns zum Jet Team gesellen.

Angel trägt ein Känguru Kostüm, von dem ich keine Ahnung habe, wo sie es aufgetrieben hat, und drückt mir einen Stempel auf die Hand, als sie mich sieht. Witzig, steht nun auf meinem linken Handrücken. Meine Verwirrung erreicht neue Höhen. Jenkins trägt Netzstrumpfhose und Rock, Panic hat sich nur groß ‚at the disco' auf sein T-shirt geschrieben, Crimson, Booth und Mouse tragen Masken.

Wir spielen ein Trinkspiel, bei dem wir Zitate erraten müssen und stellen relativ schnell fest, dass wir uns überhaupt nicht auskennen. Die Stimmung ist gut, es wird viel gelacht und herumgewitzelt. Booth und der Sunhunter hängen sich bald in den Armen, keine Spur mehr von schlechter Stimmung zwischen den beiden, der Monsterschildkrötenzwischenfall scheint komplett vergessen. Als sie Blutsbruderschaft schließen wollen, nehme ich dem Sunhunter das Taschenmesser ab.

Auch Dragon kommt herüber und wir enden in einem sehr uneleganten Tanzkreis mit dem blauen Jet Team, das wohl beschlossen hat, heute Nacht einen Dancebattle gegen uns austragen zu müssen. Das tun sie dann auch, direkt an der Bar, während der Barkeeper und ich Jury spielen, Punkte von eins bis zehn auf Servietten schreiben und hochhalten. Irgendwann knutscht Angel dann mit dem Mädchen rum, gegen das ich damals beim Training gekämpft habe, Jenkins und Panic tanzen Walzer auf Technomusik und bekunden sich immer wieder ihre brüderliche Liebe, Crimson versucht mit Ricky zu flirten und Booth führt eine Polonaise durch die Halle an. Der Sunhunter landet nach einer Breakdance Session wieder neben mir an der Bar und trinkt einen Liter Wasser. Er deutet in Richtung Oktopusdiscokugel.

„Er hat den meisten Spaß auf der ganzen Party."

Tatsächlich leuchtet Grabsy immer wieder im Rhythmus der Musik auf und hat seinen Spaß daran, seine Tentakeln nach der Menge auszustrecken, die alles tut, um nicht aus Versehen den Oktopus zu berühren und Regel Nummer drei zu spüren zu bekommen. Angel und ihre Eroberung machen sich kichernd vom Acker. Sie hüpft sogar, um ihr Kostüm authentisch zu halten. Nachdenklich tippe ich mir mit meiner Bierflasche ans Kinn, während der Sunhunter sich mit einer Serviette, auf der eine große 9 steht, die Stirn abtupft.

„Was würdest du tun, wenn ich dich küssen würde?", frage ich dann aus dem nichts heraus.

Matt hält inne, lässt die Serviette sinken und wendet sich mir betont langsam zu. Ungläubig und positiv überrascht verzieht er das Gesicht. Wirft meinem Getränk einen Blick zu, streckt vorsichtig die Hand aus und nimmt mir das Bier weg, um hinein zu spähen.

„Dir sagen, dass du Alkohol wirklich schlecht verträgst und dich auf die Krankenstation bringen, damit Stasya dir eine Infusion gegen den Kater legt."

Ich stütze stöhnend den Kopf in die Hand, während der belustigte Blick des Sunhunters auf mir ruht.

„Wie wär's mit dem?", er deutet auf einen großen Rekruten mit dunklen Locken, der mir wage bekannt vorkommt, „Der ist heiß."

Er trinkt noch einen Schluck.

„Ganz objektiv betrachtet."

„Das ist der eleganteste Korb, den ich je bekommen habe", murre ich. Der Sunhunter muss so sehr lachen, dass er etwas Bier in Richtung des Barkeepers spuckt.

„Nicht, dass wir uns falsch verstehen", er stellt unsere Flaschen ab, „Wenn du unbedingt in dein Verderben rennen willst, bin ich jederzeit für dich da."

Ich grinse die Bar an. Mein Kopf dreht sich. Hat mich der Sunhunter gerade dazu eingeladen, mit ihm zu schlafen? Wie viel habe ich bitte getrunken, um hier zu landen? Als ich aufsehe, mustert er mich immer noch.

„Vermisst du ihn?", fragt er dann. Der Bass hämmert so laut in meinen Ohren, dass ich einen Moment brauche, um die Bedeutung seiner Worte aus einer Kombination von Lippenlesen und Raten zusammenzufügen.

„Wen?", brülle ich zurück. Es ist wirklich nicht besonders cool, solche Gespräche mitten in der Party des Jahrhunderts zu führen. Der Barkeeper schrubbt zum dritten Mal das gleiche Glas, wahrscheinlich, um uns weiterhin zuhören zu können. Würde mich nicht wundern, wenn er sich Popcorn holen würde.

„Deinen Ex, du Idiotin", brüllt Matt zurück, „Edmund, der Verräter."

Ich kaue auf meiner Wange und antworte nicht. Die Wahrheit ist, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn überhaupt vermisse. Ich habe als Rekrutin keinen Zugang zum Militärfunk und sein Gesicht seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Ob er überhaupt noch aussieht, wie ich ihn in Erinnerung habe? Ich starre die Bar an und beginne zu grübeln.
Doch der Sunhunter hat wohl genug Erfahrung mit Betrunkenen, um zu sehen, wann die überschwängliche Phase in die depressive Phase übergeht. Er stellt sein Bier ab, schnippt vor meinem Gesicht herum, sagt „Oh nein, keine Chance. Gerade waren wir noch glücklich genug, um unsere ehemaligen Dozenten anzubaggern", zieht die Flasche von mir weg und hält mir die Hand hin.

„Endorphine gefällig?"

„Ich dachte ..."

„Ob du mit mir tanzen willst", schreit er durch den Lärm.

Ich lege den Kopf auf der Bar ab und stöhne. Ist das sein Ernst? Anscheinend. Er sticht mir einen Finger in die Rippen und ich schlage nach seiner Hand.

„Tanz mit mir", fordert der Sunhunter erneut, „Mein Ego verkraftet es nicht, wenn du nein sagst."

Den Kopf immer noch auf der Bar fange ich den Blick des Barkeepers auf. Er ruckt auffordernd mit dem Kopf in Richtung Sunhunter. Matt bedankt sich wortlos bei dem Fremden.

„Ich kann nicht tanzen", entgegne ich schwach.

„Und ich habe eine Laktoseunverträglichkeit. Schön, dass wir das geklärt hätten."

Matt packt meine Finger und zieht mich in die Höhe.

„Du hast eine Laktoseunverträglichkeit?", lache ich. In meinem betrunkenen Kopf gibt es gerade nichts Witzigeres als die Tatsache, dass das Einzige, was diesen unantastbaren Supersoldat, in die Knie zwingen kann, ein gottverdammter Milchshake ist. Sein Gesicht ist unbezahlbar. Der Sunhunter schüttelt den Kopf, winkt dem Oktopus zu, schlingt einen Arm um mich und dann tanzen wir. 

~☀️~

SunhuntersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt