67 - Matthias Green

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„Matthias", tönt die Stimme meiner Nemesis durch den Gang. Siren hat neben mir innegehalten, wohl ebenso überrascht wie die Rekruten, dass die Söldnerin so schnell Kontakt mit mir aufnimmt. Ich hingegen bin zu wütend, um irgendeine Art der Überraschung zu empfinden. Ravenna hat mich provoziert, langsam aber sicher ein Crescendo von Angriffen gesät, um mich auf die Palme zu bringen. Dass es funktioniert hat, muss ich wohl nicht dazusagen. Der Blick der Generalin ruht schwer und besorgt auf mir, als zweifle sie sehr schwer daran, ob ich wirklich derjenige sein sollte, der diplomatische Verhandlungen über die Zukunft ihres Kreuzers führt. Aber geregelte Diplomatie ist gelinde gesagt schwierig, wenn man mit skrupellosen Weltraumpiraten zu tun hat.

„Ich hoffe, du verzeihst, dass ich keinen Videoanruf gestartet habe. Ich wollte deine Hackfresse nicht sehen", schnurrt Ravenna.

„Du bist eine tote Frau, Noyemi."

„Deine Rekrutin ist eine tote Frau, wenn du nicht genau das tust, was ich dir sage."

„Es wird mir eine Freude sein, dich ins Weltall zu pusten."

„Dafür musst du Lahmarsch mich erstmal erwischen."

Siren räuspert sich.

„Oh, du hast ja keine Ahnung, wie viel Spaß ich dabei haben werde, dich in der Luft zu zerreißen."

„Wenn du auch nur halb so gut wärst, wie du denkst, wären wir dann in dieser Situation? Denk' mal drüber nach."

Ich habe mich längst wieder in Bewegung gesetzt, presche förmlich den Gang hinunter, ohne nach rechts oder links zu sehen. Erst, als ich abrupt von Siren gestoppt werde, werde ich aus meinem Tunnelblick gerissen.

„Ravenna Noyemi, hier spricht General Alexandra ‚Siren' Taylor. Als ranghöchste anwesende Offizierin bin ich diejenige, die mit Ihnen verhandeln wird. Sie haben gegen interstellares Recht verstoßen, indem sie diesen Kreuzer geentert haben, aber ich bin sicher, wir finden eine Lösung, bevor unnötig Blut vergossen wird. Die Rekrutin in ihrer Gewalt steht unter meinem Kommando. Sie werden ihr kein Haar krümmen, oder wir brechen sämtliche Verhandlungen sofort ab."

„Ich. Bringe. Dich. UM!", brülle ich noch einmal hinterher, um meinen Standpunkt klar zu machen.

„Pst, baby, lass die Erwachsenen reden", kommt es von der Söldnerin, bevor sie sich an Siren wendet, „Nicht die beste Position, um Forderungen zu stellen, General", krächzt Noyemi mit viel zu viel Vergnügen. Ihre Stimme hallt den Gang hinunter, unheilverkündend und voll düsterer Versprechen.

„Sie können Ihrem Sunhunter ausrichten, dass er seine Freundin nur wiedersieht, wenn er ihren Platz einnimmt. Gefesselt, unbewaffnet, ohne DataWatch, in Unterwäsche und geknebelt an Schleuse Nummer 37. Alleine."

Ich lache hoch und falsch auf.

„Klaro, Ravenna, soll ich mir noch Sahne auf die Brust sprühen und mir die Augen verbinden?"

„Wenn es dich glücklich macht."

„Noyemi", schaltet sich wieder Siren ein, „Verstehe ich das richtig, Sie wollen den Sunhunter und dann verlassen Sie meinen Kreuzer und lassen meine Rekruten in Ruhe?"

„Aye, General. Ein kleiner Preis, nicht wahr? Wie ich gehört habe, mögen Sie den Sunhunter so wenige wie ich. Tun sie uns beiden den Gefallen und wir belästigen Sie nicht länger."

„Verstehe."

Mein Blick schnellt zu Siren. Ihr Unterton gefällt mir gar nicht. Ich sehe mich schon in Boxershorts, geknebelt und gefesselt vor Schleuse 37 sitzen. Mein Gesichtsausdruck wechselt von ‚Haha, nein, das würde sie niemals tun' zu ‚Warte ... würde sie?'.

„Darüber muss ich nachdenken", sagt die Generalin eiskalt. Ich hoffe sie sieht mir an, wie sehr sie mich damit verletzt. Vielleicht sollten wir uns mal überlegen, eine Paartherapie zu machen.

„Sie haben zehn Minuten."

„Zehn Minuten?", fragt die Generalin nach, ihr Schock kaum verborgen. Diese unverschämt kurze Bedenkzeit reicht weder, um sich ausführlich mit der Brücke zu beraten, noch um irgendwelche Schadensbegrenzungspläne zu entwerfen. Ravenna hat uns und sie weiß es ganz genau.

„Rede ich undeutlich? Zehn Minuten und der Sunhunter kniet vor mir, oder ich lasse meine Hunde auf die Rekruten los. Um die Kleine hier, kümmere ich mich selbst. Irgendetwas besonderes muss sie ja haben, dass du dich so für sie interessierst, huh?"

Ich will einmal mehr in Morddrohungen ausbrechen, doch die Generalin schneidet mir sofort wieder das Wort ab. Trotz allem behält sie einen kühlen Kopf und wählt ihre Worte mit Bedacht. Anscheinend bringt sie nicht einmal das Entern ihres Schiffs so sehr in Rage, wie meine schlabbrigen Band T-shirts.

„Bis zum Verstreichen des Ultimatums wird keinem meiner Rekruten Leid zugefügt?"

„Natürlich nicht, Mamabär. Wir sind keine Wilden."

Während Siren sich neben mir zumindest ein wenig entspannt, mahlen meine Zähne. Ravenna ist unberechenbar, jähzornig und blutrünstig. Ich bezweifle sehr stark, dass sie die Docks einnehmen konnte, ohne irgendjemandem weh zu tun. Ob Rekruten dabei waren, weiß ich aber genauso wenig wie Siren. Vielleicht lügt sie, vielleicht nicht, das weiß wahrscheinlich nur sie selbst mit Sicherheit.

„Wir sehen uns. Viel Spaß beim diskutieren", gurrt die Söldnerin und beendet die Verbindung. Sie hat mir einen Countdown geschickt, der nun bedrohlich Rot über meiner DataWatch in der Luft hängt. Zehn Minuten, um einen Plan zu schmieden. Zehn Minuten, bevor Clara eine Waffe an der Schläfe hat und noch mehr Verrückte das Schiff stürmen.

Stille senkt sich über die ganze Truppe. Das einzige Geräusch kommt von der Fußspitze des nervösen Kanadiers, der die Anspannung augenscheinlich kaum aushält. Sirens Blue Gin Augen ruhen auf mir, so eindringlich wie damals, als ich ihr am Tisch des Verhörraums gegenüber saß. Ich kann förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn rattert. Die Versuchung, mich auszuliefern und dann ganz entspannt den Rest des Tages Yoga zu machen, oder veganes Curry zu kochen, muss sogar noch größer sein, als ich dachte.

„Alexandra, das ist doch nicht dein Ernst, oder?", frage ich und gehe vorsichtshalber auf Abstand. Ich habe gerade erst am eigenen Leib erfahren, dass sie um einiges stärker und hartnäckiger ist, als ich ihr zugetraut habe. Ob sie es schaffen würde, mich auszuknocken, bleibt zwar fraglich, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

„Das hier ist allein Ihre Schuld, Green", ihr Blick könnte geradewegs durch eine massive Betonwand schneiden, „Seit wir Sie gerettet haben, jagt eine Katastrophe die nächste. Paintball, schön, aber das hier ist kein Witz mehr. Es geht um Leben und ja, auch um Soldaten, die auf dem Schlachtfeld fehlen. Sie wissen gar nicht, was sie angerichtet haben! Denken Sie zumindest einen Moment darüber nach, dass Sie das Richtige tun könnten."

Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht. Kalter Schweiß steht auf meiner Stirn.

„Wir wissen beide, dass ich das nicht tun kann", erwidere ich ruhig. Die Götter wissen, wie sehr ich mir wünsche, ich könne meine Seele durch dieses Opfer reinwaschen. Doch wenn ich mich der VHN ausliefere, wird all das hier – die Leben der Besatzung – verblassen, im Gegensatz zu dem, was die VHN mit mir tun kann. Selbst, wenn ich ihnen kein Wort verrate, bin ich der Föderation genug wert, um einen Gefangenenaustausch möglich zu machen. Ich beiße die Zähen zusammen beim Gedanken an die vielen hochrangigen Verbrecher, die in den Zellen im Core sitzen und nur darauf warten, wieder auf ein Schlachtfeld losgelassen zu werden. Kurz gesagt: wenn ich Ravennas Forderung folge, richte ich noch mehr Schaden an, als ich ohnehin schon verursacht habe.

„Und was jetzt?", fragt Booth in die Stille, während der Countdown unaufhaltsam weiter abläuft. Ich wende meinen Blick nicht von Siren ab.

„Lassen Sie mich einfach mein Ding machen, General."

Sie presst die Lippen zusammen und sieht einen Moment aus, als würde sie mich am liebsten an den Schultern packen und schütteln, bis ich zur Vernunft komme. Doch dann seufzt sie.

„Okay, von mir aus. Was ist Ihr Plan? Sie können da schließlich nicht einfach von Kopf bis Fuß bewaffnet reingehen und ‚Hola pendejos' sagen."

~☀️~

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