Kapitel 1| Der Beginn des ganzen Desasters III

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Während der folgenden Geschichtsstunde blieb Miles sehr nachdenklich. Er machte weder den üblichen Unsinn, noch versuchte er, Sarah auf die Nerven zu gehen. Dennoch nahm er nur halbherzig am Unterrichtsgeschehen teil. Frau Wasabi bemerkte dies, ließ ihn aber gewähren. Einerseits war er ihr dankbar dafür, andererseits machte es ihn wütend. Was wollte sie eigentlich von ihm? Und wieso hatte sie ihm ihre Handynummer gegeben? Sie musste doch wissen, dass er damit einen Haufen Blödsinn anstellen konnte.

Zudem beunruhigte ihn ihre Aufmerksamkeit. Nachher würde sie ihm noch einen Schulpsychologen auf den Hals hetzen und das war das Letzte, was Miles gebrauchen konnte. Er versuchte sich irgendwie abzulenken, zwischendurch sogar mit Unterricht, aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab.

Zum Glück zog sich die Zeit diesmal nicht so sehr in die Länge und Miles atmete auf, als er endlich den Klassenraum verlassen und sich auf den Weg nach Hause machen durfte. Nur noch morgen und übermorgen, dann war Wochenende! Und die Woche danach stand er auch noch durch. Insgesamt also nur noch zehn Schultage bis zu den Sommerferien. Miles konnte es kaum abwarten, dem muffigen Klassenzimmer für sechs Wochen den Rücken zu kehren.

Der Gedanke hellte seine Laune ein wenig auf, vermochte seine angeschlagene Stimmung jedoch nicht vollständig zu kurieren. Frau Abelsch hatte angekündigt, dass sie seine Mutter über sein Verhalten in Kenntnis setzen würde. Pah, als ob die das nicht am besten wüsste! Dennoch ... sie würde wieder tagelang stressen. Und das so kurz vor den Ferien.

„Hey, übrigens echt coole Aktion eben bei der Abelsch, Miles." Die Worte kamen von seinem besten Kumpel Däx, der ihn wie immer nach Hause begleitete.

Miles drehte den Kopf. Er war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass er den stämmigen Jungen beinahe aus seiner Wahrnehmung ausgeblendet hatte. Däx ... Eigentlich hieß er Karl Dankwart Günther Friedrich Herbert – ein Umstand, über den er nicht gerade glücklich war, aber seine Eltern hatten einen typisch deutschen Namen für ihren Sohn gewollt. Leider hatten sie dabei übersehen – wahrscheinlich, weil das kurz nach ihrer Auswanderung aus Kuba gewesen war – dass heutzutage niemand mehr auf einen Namen wie Karl Dankwart Günther Friedrich Herbert getauft wurde, da es hierzulande als unschicklich galt, Kinder bereits vor ihrer Geburt zu bestrafen.

Also hatte Miles vor dem Schulwechsel von der Grundschule zur Oberschule beschlossen, seinem Kumpel einen nachhaltigen Spitznamen zu verpassen. Däx wollte ein „Ä" drinhaben – aus welchen Gründen auch immer – und Miles ein „X", weil ein „X" alles cooler machte. Der Anfangsbuchstabe kam von Dankwart, derjenige seiner zahlreichen Vornamen, den Miles gerne benutzte, um seinen Kumpel aufzuziehen. Viel mehr Fantasie bedurfte es nicht und so wurde aus dem kubanischen Jungen namens Karl der chillige Däx.

Es klang wesentlich cooler, war kürzer und außerdem konnte Miles sich jetzt ganz alleine über seinen richtigen Namen lustig machen. Von den Lehrern immer Karl genannt zu werden war schon schlimm genug, aber Däx wurde jedes Mal richtig sauer, wenn Miles noch den gesamten Anhang aufzählte und hämisch kicherte. Der Grad der Freundschaft zwischen Jungs wie Miles und Däx ließ sich nunmal an der Härte der gegenseitigen Beleidigungen und Neckereien erkennen.

„Schade nur, dass sie dich rausgeworfen hat", fuhr Däx fort und band seine dunklen Rastalocken hinten zusammen. „Denn danach war es wieder ziemlich öde."

„Hmm", sagte Miles nicht wirklich bei der Sache.

„Warum können wir nicht die Wasabi in Mathe haben, so wie die kleinen Scheißer aus der Fünften?"

„Die unterrichtet Mathe?"

„Ja Mann, ich glaube, die unterrichtet fast alles. Mein großer Bruder hat sie neuerdings in Bio."

Das Erbe des LichtbringersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt