Epilog

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Still hockte Miles im Schneidersitz auf dem Bett, ein altes Fotoalbum auf seinen Beinen liegend. Sachte blätterte er die Seite um und musste grinsen, als er ein Bild von sich und Däx fand, wie sie zusammen durch den Vorgarten des Hauses tobten. Er hatte gar nicht gewusst, dass solche Bilder von ihm und seinem Kumpel existierten.

Neugierig blätterte er in der Zeit weiter und ein dreizehnjähriger Miles lächelte ihm fröhlich entgegen. Das Bild hatte Reg an seinem Geburtstag gemacht, direkt nachdem er die Playstation ausgepackt hatte. Sein Onkel hatte genau gewusst, wann er das glücklichste Lächeln bei ihm einfangen konnte.

Reg selbst zeigte sich selten auf den Fotos – schließlich hatte er die meisten davon gemacht. Erst als Miles bei den Urlaubsbildern aus Frankreich ankam, fand er Fotos, auf denen er ebenfalls zu sehen war. Gemeinsam standen sie barfuß im Meer, die Jeans bis unter die Kniekehlen hochgekrempelt und den Sonnenuntergang beobachtend. Jetzt wo er das Bild sah, erinnerte sich Miles genau an diesen Moment. Es war zwar erst vor zweieinhalb Jahren gewesen, aber die Ereignisse des vorletzten Winters hatten ihn all diese Erinnerungen aus dem Gedächtnis drängen lassen.

Miles schlug die Seite um – es war die letzte. Abermals fand er ein Bild von sich, dass seinem heutigen Ich von allen am ähnlichsten sah – ein Foto von seinem vierzehnten Geburtstag. Miles musste lächeln. Sein Onkel hatte es tatsächlich geschafft, von seiner Geburt an jedes Jahr ein Foto von ihm zu machen. Nun ... letztes Jahr war diese Tradition gebrochen. Eigentlich schade.
Miles sah hinüber zu der analogen Spiegelreflexkamera seines Onkels, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Aber man konnte Traditionen wiederbeleben. Ein Film war noch drin ... ob man damit Selfies machen konnte? Nein, besser nicht. Außerdem war es zu früh. Sein Geburtstag war erst morgen.

Das Geräusch der Haustür, vermischt mit dem Klacken von Absätzen und dem Klimpern eines Schlüsselbundes kündigten die Heimkehr seiner Mutter an. Stimmen verrieten ihm zusätzlich, dass Ralf bei ihr war.

Miles klappte das Fotoalbum zu und erhob sich vom Bett seines Onkels. Ein sachtes Brennen in der Brust wies ihn darauf hin, dass er diese Bewegung noch immer langsam angehen musste. Es war erst eine Woche her, dass man ihn aus dem Krankenhaus entlassen hatte und Miles wollte nicht durch zu hastige Bewegung ein erneutes Aufreißen seiner inneren Verletzungen provozieren. Nicht so kurz vor seinem Sechzehnten.

„Ich bin oben!", rief er seiner Mutter zu, woraufhin diese die Treppe empor stieg.

„Wir haben alles bekommen", begann Ida Helion noch bevor sie überhaupt den Treppenabsatz erreicht hatte. „Chips, Pizza, Cola ... Ralf hat gegen meinen Willen sogar einen Kasten Bier gekauft. Er meinte, das sollte nicht fehlen und ..." Sie verstummte, als sie bemerkte, dass er gar nicht in seinem Zimmer war. Sie drehte um und Miles musste beim Anblick ihres verwirrten Gesichtsausdruck schmunzeln.

„Du hast Regs Zimmer aufgeräumt!", erkannte sie. „Nicht nur das, du hast auch Staub gewischt!"

„Ja", erwiderte Miles. „Wo ich gerade mal dabei war ..." Die Aussage bezog sich auf sein eigenes Zimmer. Es war eine der Bedingungen seiner Mutter gewesen, dass er es von Grund auf für die Party aufräumte.

„Hmm." Ida lächelte. „Wenn das so weitergeht dann wischt du vielleicht noch die Küche wenn ich sage, räum mal eben bitte das Geschirr zurück in den Schrank."

„Soweit kommt's noch!", erwiderte Miles spöttisch. Er wollte das Zimmer verlassen, doch Ida blieb im Türrahmen stehen und versperrte ihm den Weg.

„Alles klar bei dir, Schatz?", fragte sie besorgt.

„Ja", antwortete Miles verwundert. „Ich bin kein Krüppel, ich sollte nur nicht versuchen, in nächster Zeit akrobatische Meisterleistungen zu vollführen." Er grinste breit.

„Das meinte ich nicht", sagte seine Mutter ernst. „Ich meine, du bist lange nicht mehr in Regs Zimmer gewesen ..."

Miles ahnte worauf sie hinauswollte. „Ja", sagte er leiser. „Er fehlt mir noch immer. Aber wir beide tun Reg keinen Gefallen, wenn wir nicht mehr an ihn zu denken versuchen, weil es uns wehtut. Wir hatten so viele schöne Momente und das ist eher, was wir empfinden sollten, wenn wir an die Zeit zurückdenken."

Seine Mutter hob die Augenbrauen. „Mein Gott, als ich neulich sagte werd erwachsen da meinte ich doch nicht so bald!" Sie lächelte sanft. „Kommst du klar, oder sollen Ralf und ich dir noch bei den Vorbereitungen helfen?"

„Mum, es ist alles vorbereitet!"

Ida wirkte nicht glücklich darüber. „Wir könnten die Pizza schon belegen, dann brauchen deine Freunde sie nur noch in den Ofen schieben."

„Mum, der Witz an Pizza ist doch, dass man sie sich selbst belegt."

„Na gut", lenkte seine Mutter ein. „Dann machen Ralf und ich uns auf den Weg und überlassen dir heute Nacht das Haus. Falls was ist, meine Handynummer hast du und Ralfs Handynummer hab ich dir aufgeschrieben."

„Ja, Mum."

„Und übertreib es nicht noch mal mit dem Alkohol. Auch wenn es nur Bier ist, du hörst auf, wenn du merkst, dass es zu viel wird."

„Ja, Mum." Miles dachte an seine Besucher. Däx würde vermutlich der einzige sein, der das Bier anrührte.

„Und dass das Haus noch steht, wenn ich wiederkomme."

„Ja, Mum."

„Und dass du ..."

„Mum!"

Seine Mutter unterbrach ihren Redefluss. „Okay, ich habe es verstanden, wir lassen dich nun alleine." Sie drehte sich um und schloss ihn in eine schnelle Umarmung. „Ich hab dich lieb, Schatz. Genieß deine Feier." Sie zwinkerte und wandte sich von ihm ab. Bereits auf der Treppe fing sie an mit Ralf zu kommunizieren – ein erfolgloses Unterfangen, da er am Auto wartete. Miles hatte die Tür gehört.

Er grinste. Ja, so war seine Mutter nun mal.

Wenige Sekunden später hörte er unten die Tür ins Schloss fallen. Miles wartete noch bis das Auto abgefahren war, dann stieg er eilig die Treppe hinab. Er musste noch ein paar Sachen erledigen, bevor seine Freunde kamen. Zuallererst irgendwie den Fuchs aus dem Wohnzimmer scheuchen, bevor dieser nachher die ganzen Chips wegfuttern würde. Es wurde Zeit, dass Blacky langsam mal einen neuen Schützling zugewiesen bekommen würde, aber nach dem, was er sich in seiner Zeit als Magier geleistet hatte, würde das frühestens in zwei oder drei Jahren geschehen.

Miles blieb stehen und grinste in sich hinein, als sein Blick den Kasten Bier streifte. Anders würde er es auch gar nicht haben wollen.

Das Erbe des LichtbringersWhere stories live. Discover now