Kapitel 25 | Besuch bei den Senters I

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„Hast du schon gesehen? Unser Miles hat bereits wieder nur eine Zwei in Mathematik bekommen. Und die Lehrer wollen mir dann erzählen, dass Schule die tatsächliche Leistung bewertet. Er hatte alle Punkte, Ida! Ich vermute eher, dass er ein kleines Mathegenie ist. Die Lehrer wollen das nur nicht einsehen, weil er schnell ungeduldig wird und dann den Unterricht aus Langeweile stört. Er ist unterfordert!"

- Reginald Helion




Das Haus, in dem Flips Familie wohnte, lag in den urbanen Ausläufen hinter der Altstadt. Eine hügelige und verlassene Gegend, in der mehr Bäume als Zivilsation gediehen. Miles war früh aufgestanden, um bereits vormittags anzukommen. Er hoffte inständig, dass Flip überhaupt Zeit für ihn hatte und nicht zu den Langschläfern zählte, so wie er selbst.

Zuerst hatte er geglaubt, Cora würde die Adresse nicht rausrücken. Zum Glück schien sie ihm sein Gespamme bei WhatsApp nicht übel zu nehmen, denn letztendlich hatte sie sich breitschlagen lassen. Vermutlich war sie immer noch ein wenig sauer auf ihn und wollte ihn necken. Zutrauen tat er's ihr.

Miles bremste das Skateboard ab und sah sich um. War er hier richtig? Mehrmals hatte er umdrehen und auf die Karte in seinem Smartphone schauen müssen, bis er in der von Cora gewiesenen Straße angekommen war, doch welches das passende Haus war, konnte er nicht sagen. Von Hausnummern schienen die Leute hier nicht viel zu halten. Erst die Aufschrift eines Briefkastens am Straßenrand wies ihn darauf hin, dass er sein Ziel erreicht hatte. Miles atmete tief durch. Also dann ...

Leichter Nieselregen setzte ein, als Miles sich das Skateboard unter den Arm klemmte und den matschigen Hof überquerte. Einige Hühner glotzen ihn desinteressiert von der Seite an und unterstrichen die Tatsache, dass er sich nicht länger in der Stadt befand. Nach fast einer Stunde Fahrt auf dem Skateboard war das auch zu erwarten gewesen.

Das Haus selbst lag durch den Vorhof von der Straße getrennt und war ein schlichtes und einstöckiges Gebäude, welches von imposanten Eichen und einem kleinen Schuppen umrahmt wurde. Es machte keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Von den Wänden blätterte bereits der mattblaue Putz und die Fenster waren blind. Vor dem Eingang standen einige Tontöpfe, in denen irgendwelche Pflanzen heranwuchsen.

Welcher Art konnte Miles nicht sagen. Er unterschied generell zwischen Blumen, Gestrüpp und Zeug, das man eventuell nach dem Kochen essen konnte. Da er nicht wusste, wie letzte Kategorie im Wachstumszustand aussah, ordnete er alles dem Gestrüpp zu, mit der Option, sich eines Besseren belehren zu lassen.

Er erreichte den Eingang, in der eine abgewetzte Fußmatte lag, deren Aufdruck er auch mit Hilfe seiner Fantasie nicht zu entschlüsseln vermochte.

Nun vor dem Nieselregen geschützt schob er die Kapuze seines Pullis zurück, während er mit der anderen Hand sein Smartphone hervorholte, um Flip eine Nachricht zu schreiben. Er wollte ihm mitteilen, dass er vor der Tür stand. Als er jedoch seine Kontakte durchsah, fiel ihm wieder ein, dass sein neuer Freund ja gar kein Handy besaß. Verdammt! Und wie sollte er dem Jungen jetzt Bescheid sagen? Das hatte er ganz vergessen. Kein Wunder, es war ja noch nicht einmal zehn Uhr! Wer konnte um diese Zeit schon denken?

Unsicher blieb er stehen und wartete. Was blieb ihm auch anderes übrig? Ein Quietschen hinter ihm ließ ihn aufhorchen. Miles drehte sich um und sah eine junge Frau aus dem Schuppen zu seiner Linken treten. Sie trug eine fransige Latzhose und hielt einen blauen Plastikeimer in ihrer behandschuhten Hand.

„Guten Morgen", grüßte sie überrascht.

„Guten Morgen", erwiderte Miles den Gruß. „Sind Sie Frau Senter?"

Das Erbe des LichtbringersWhere stories live. Discover now