Kapitel 41 | Konfrontation II

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Immer noch unter Schock und mit zitternden Knien lehnte Flip sich an den gusseisernen und mit einer unordentlich geschnittenen Hecke durchwachsenen Zaun, der sie vom Gelände der Hochschule trennte. Lange durfte er aber nicht verweilen, denn Cora griff sofort nach seinem Arm und zerrte ihn noch gute zweihundert Meter weiter die Straße hinunter, damit sie auch ganz sicher außer Hörweite waren. Felix trottete derweil schweigend aber angespannt neben ihnen her, als wartete er sehnsüchtig auf das Signal, alles erklären zu dürfen.

Cora tat ihm den Gefallen. „Du hast was gut bei mir Felix – und zwar egal was!"

Felix strahlte. „Bringst du mich zu Miles?"

Cora schüttelte den Kopf. „Sorry, Felix, aber ich hab keine Ahnung, wo der Kerl hingelaufen ist."

Erwartungsvoll drehte Felix sich zu Flip um.

„Ich weiß es auch nicht, tut mir leid. Magst du uns aber vielleicht verraten, was da gerade passiert ist?"

Die Enttäuschung des Jungen wandelte sich sofort in Begeisterung. „Klar!", rief er aus. Felix legte seinen Rucksack ab und öffnet den Reißverschluss. Mit einem Griff förderte er eine Ausgabe von Leubrunners Lehrbuch zutage. Ein Lesezeichen ruhte zwischen den Seiten; genau dort schlug der Junge das Buch auf und hielt es Flip und Cora entgegen.

„Hier!", sagte er.

Flip beugte sich nach vorne. „Der Illusionist", las er. „Okay, ich verstehe, du hast den beiden vorgegaukelt, wir wären gar nicht da?"

„Ganz genau!", rief Felix vergnügt und ließ das Buch sinken. „Ich habe es gestern im Waisenhaus herausgefunden, als Niclas mich wieder ärgern wollte. Ich hab mir vorgestellt, wie toll es wäre, einfach verschwinden zu können ... und ich tat es!" Wenn überhaupt möglich, wuchs sein Grinsen noch weiter in die Breite. „Naja, ich habe es Theo erzählt, und der sagte, ich sei ein Illusionist und er wollte an die Hochschule gehen und mit einigen Magiern sprechen. Er meinte, für normalen Unterricht wäre ich noch immer zu jung, aber er würde sich erkundigen, ob man mich in meiner Gabe unterrichten würde. Ihr glaubt gar nicht, wie ich mich freue! Ich wollte das unbedingt sofort Miles erzählen und ihm das hier zeigen, seht her!"

Er deutete auf die nächste Straßenlaterne, die sich daraufhin allmählich vor ihren Augen auflöste. Nur der Leuchtkopf und ein kleiner Teil des Stiels waren am Ende noch zu sehen.

„Daran musst du noch feilen", sagte Cora, woraufhin die Laterne wieder Gestalt annahm. „Okay, das ist alles ganz toll, Felix, aber wir haben gerade echt ernsthaftere Probleme. Am besten gehst du zurück ins Waisenhaus. Wir sagen Miles, dass er vorbeischauen soll."

Doch so leicht ließ der Junge sich nicht abwimmeln.

„Probleme?", fragte er verwirrt. „Ihr meint doch nicht etwa, weil ihr gerade euren magischen Unterricht schwänzt? Streitet es nicht ab, ich kenne die Zeiten ganz genau, weil Niclas auch immer erst so spät frei hat."

„Ihr wohnt zusammen im Waisenhaus?", wich Cora aus.

„Ja. Was für Probleme?"

Cora gestikulierte wild mit den Armen. „Zu große Probleme für dich. Wir ..."

„Hör zu, Felix", unterbrach Flip die Gezeitenruferin. „Wir brauchen deine Hilfe!"

Ärgerlich drehte das Mädchen den Kopf. „Spinnst du!? Er ist doch noch ..."

Sie stoppte, als Flip die Hand hob. „Weißt du, Miles ist in ernsten Schwierigkeiten", fuhr der Empath fort. „Wir wollen ihm helfen, deswegen sitzen wir nicht im Unterricht. Um das zu können, müssen wir aber wissen, was wirklich passiert ist. Was habt ihr zwei am Wochenende erlebt?"

Das Erbe des LichtbringersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt