Kapitel 20 | Wie Pech und Schwefel

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Der Empath

Empathen stellen die Wissenschaft vor eines der größten Rätsel. Bis heute konnte keine vernünftige Erklärung gefunden werden, wie genau ihre Gabe funktioniert, nur dass sie vielseitiger ist, als der Name nahelegt. Es gibt nicht viele Empathen – und noch weniger, die im Gebiet ihrer Gabe forschen. Eher wissen wir, dass nur die wenigsten Empathen mit ihrer Gabe zurecht kommen. Statistisch gesehen ist die Selbstmordrate unter den Empathen höher, als unter allen anderen Magiern.

- aus Leubrunners Lehrbuch der Magie; Abschnitt 1.2 Begabte Magier



Da er im selben Trakt suchen musste, fand Miles den von Lo He gewiesenen Raum sehr schnell. Auf dem Weg nach unten traf er auf eine andere Gruppe von Schülern, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Mit seinen ruinierten Klamotten und dem lächerlichen Trainingsgewand unter den verbrannten Armen musste er auch einen furchtbaren Anblick bieten. Unbehaglich duckte er sich unter ihren Blicken hinweg und hastete die Treppe hinunter ins Erdgeschoss.

Raum 200 lag direkt am Hauptflur und trug die beruhigende Aufschrift Krankenstation.

Das Wort beförderte sofort Bilder von überfüllten Räumen hustender und ächzender Menschen in Miles' Kopf. Visionen von freundlich lächelnden Ärzten, die wenig erfolgreich riesige Spritzen hinter ihrem Rücken zu verstecken versuchen sowie von Krankensälen, in denen sie einem den Bauch aufschneiden, um fröhlich in den Eingeweiden herumwühlen zu können.

Auf einmal fand Miles, dass er vielleicht doch keine Behandlung notwendig hatte, aber es war bereits zu spät.

„Himmel, was ist denn mit dir geschehen?", fragte eine Frau, die gerade aus dem Raum nebenan getreten war. Besorgt musterte sie Miles' krebsrote Arme. Inzwischen brannten sie nicht mehr ganz so stark, aber immer noch genug, um Miles zu nerven.

„Ein Drache hat mich gefressen", antwortete er trocken während die Frau ihm die Tür öffnete. „Es geht schon wieder."

„So sieht mir das aber nicht aus", widersprach sie und wollte Miles am Arm packen, um ihn in den Raum zu schleifen, erinnerte sich aber gerade noch rechtzeitig daran, dass sie ihm damit mehr wehtun als helfen würde. „Das sind ernste Verbrennungen", beharrte sie. „Mich wundert es, dass du nicht jaulend am Boden liegst."

„Natürliche Feuerresistenz", antwortete Miles nur.

„Funkenschmied?" Die Frau runzelte skeptisch die Stirn. „Da hast du aber Glück gehabt! Dennoch, deine Haut kann nicht richtig atmen. Auch für einen Funkenschmied kann das gefährlich werden. Also kommst du jetzt freiwillig mit, oder soll ich dich hinterherschleifen und deine Feuerresistenz auf die Probe stellen?"

Erschöpft blickte Miles in das strenge Gesicht der pummeligen Frau, die ihn um mehr als einen Kopf überragte.

„Ist gut", gab er nach.

Die Krankenstation entpuppte sich als heller und freundlicher Raum, in dem in gutem Abstand zueinander mehrere, derzeit unbelegte Betten aufgestellt waren. Miles nahm auf einem davon Platz, während die Frau in einem angrenzenden Nebenraum verschwand. Nur eine Minute später kam sie mit einer Schüssel in ihren Händen zurück.

„Bereits in der ersten Woche bringt ihr Jungs euch in Schwierigkeiten", fing sie an, noch bevor sie das Bett vollkommen erreicht hatte. Herrisch kam sie vor ihm zum Stehen und begutachtete dann seine geschundenen Arme. „Hast du dich mit einem anderen Funkenschmied angelegt, wenn du sagst, ein Drache hat dich gefressen?"

„Ähm ..."

„Wie auch immer, die Verbrennung ist nur oberflächlich, dass sollten wir schnell kuriert haben. Einen Moment." Sie rührte den Inhalt der Schüssel mit einem kleinen Holzlöffel um. „Das wird jetzt ein wenig brennen", warnte sie vor und klatschte Miles eine zähflüssige Pampe, die entfernt an eitrige Rotze erinnerte, auf die gerötete Haut.

Das Erbe des LichtbringersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt