Kapitel 29 | Der Zeugenzeuge II

647 97 166
                                    


„In den Schrank, schnell!", holte Herr Jakob die beiden Freunde in die Realität zurück.

„Aber was ist mit Ihnen?" Cora war ganz bleich geworden.

„Ich bin vorbereitet", sagte Herr Jakob nur und riss die Tür zu einem hohen und schmalen Schrank auf, in den er die beiden Teens hineindrängte. Gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Moment hörten sie auch schon die Wohnungstür auffliegen. Miles zitterte, während Cora sich fest an ihn klammerte und nicht zu atmen versuchte. Nicht weiter schwierig, zwischen all den nach Mottenkugeln riechenden Anzügen.

Schwere Schritte drangen an seine Ohren und Miles konnte einfach nicht anders, als durch den schmalen Spalt zwischen den Schrankflügeln zu lunsen.

„Nicht, Miles, bitte nicht", hörte er Cora leise in sein Ohr schluchzen und erstmals bemerkte er, wie viel Angst sie in diesem Moment hatte. Von dem toughen Mädchen war nichts geblieben.

„Shh", flüsterte er, obwohl ihm das eigene Herz bis zum Halse schlug. Beruhigend nahm er sie in den Arm und versuchte ihr Zittern somit zu unterdrücken, damit sie nicht auf sich aufmerksam machen würde.

„Elias Fichtelbert Jakob?", fragte eine markdurchdringende Stimme, die Miles sehr wohl kannte. Es war jene, die er auch damals an der Schlossruine vernommen hatte.

Herr Jakob antwortete nicht, sondern stand nur stocksteif in der Mitte seines Wohnzimmers; Miles konnte ihn am Rande seinen Blickfeldes durch den Spalt sehen. Das Geräusch von gezogenem Stahl ertönte und Miles sah die Spitze eines Schwertes auf Herrn Jakob deuten.

Kamillenteeee, summte eine leise Stimme.

Der Zeuge Jehovas blieb gefasst. „Sind Sie hier, um Ihr Werk zu vollenden?", fragte er mutig. „Wenn ja, dann wisse, dass Jehova Ihnen Ihre Sünden und die Grausamkeiten, die Sie meinen Brüdern, Schwestern und Freunden angetan haben, nie vergeben wird!"

Schritte.

„Ich bin untröstlich", antwortete der Magier und das Schwert vibrierte in seiner behandschuhten Faust.

„Spottet nur. Ihr werdet in den Feuern der Hölle schmoren!"

Der Fremde blieb unbeeidruckt. Langsam drängte er Herrn Jakob weiter zurück, sodass Miles ihn nun zur Gänze sehen konnte. Er sah tatsächlich aus, als wäre er aus dem nächsten Fantasyroman entsprungen. Seine Kleidung wirkte mittelalterlich und an den Händen trug er gepanzerte Handschuhe.

„Glaubt mir, Ihr seid meiner Zeit nicht würdig. Ich bin nur hier, um zu vermeiden, dass Ihr den Magiern von mir berichtet."

„Ma-magiern?", stotterte Herr Jakob.

„In der Tat. Ich will nicht, dass Lichtbringers Erbe gewarnt wird. Ihr seht, es ist absolut nichts Persönliches."

Was im Folgenden geschah, war für Miles später schwer in Worte zu fassen. Er bekam mit, wie der schwarze Magier mit dem Schwert ausholte und weiter nach vorne schritt, wobei er auf Miles' Skateboard trat und den Boden unter den Füßen verlor. Mit erstaunlich wenig Getöse, landete der Hüne auf dem Rücken, während Herr Jakob die Situation nutzte und eine Pistole zog, die bisher am Gürtel unter seinem Pullunder verborgen war. Miles spürte Cora zusammenzucken, als Herr Jakob die Waffe abfeuerte.

Klock, Tschakk.

Nichts rührte sich. Auch Miles blieb wie versteinert an Ort und Stelle. Nicht etwa, weil gerade ein Zeuge Jehovas auf seinen Angreifer geschossen hatte, eher, weil der Angreifer wieder auf die Beine kam.

„Wie ...!?", hauchte Herr Jakob und Miles hörte die Waffe sanft auf den Teppichboden fallen.

„Macht!", erwiderte der Fremde und packte den Mann am Kragen seiner Weste. Während Cora den Blick abwandte und ihr Gesicht in seiner Schulter vergrub, konnte Miles nicht anders als zuzusehen. So sehr er auch wegsehen wollte, es gelang ihm nicht. Herr Jakob stieß einen kläglichen Schrei aus, bevor sich seine Zunge und auch alles andere, was ihm das Sprechen bis dahin ermöglicht hatte, in Asche verwandelte. Wie Staub rieselten die Überreste des Zeugen Jehovas zu Boden.

Das Erbe des LichtbringersWhere stories live. Discover now