Kapitel 44 | Die Schatten werden länger IV

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Auch auf der Krankenstation herrschte dieselbe Einsamkeit wie in den Büroräumen. Das Licht brannte, aber von der Heilerin und ihren potentiellen Patienten fehlte jede Spur. Miles hatte nichts Anderes erwartet. Zielstrebig hielt er auf das erstbeste Krankenbett zu und wickelte Blacky fürsorglich in die Decke ein.

„Also gut", sagte er und wandte sich Cora und Däx zu. „Wir brauchen etwas, um seine Wunden zu säubern und zu verbinden. Blacky ist der Einzige, der uns gerade weiterhelfen kann. Sorgen wir also dafür, dass er schnell wieder aufwacht."

Die beiden nickten widerspruchslos. Cora begann damit, die Fächer an den Nachtschränken neben den Betten zu öffnen, während Däx auf den großen roten Kasten an der Wand zusteuerte. Miles selbst wandte sich dem gläsernen Schrank hinter den Krankenbetten zu. Beim näheren Untersuchen stellte er jedoch schnell fest, dass dieser erstens abgeschlossen war und zweitens anscheinend nur Tabletten enthielt.

„Der Verbandskasten ist leer", hörte er Däx zu ihm hinüberrufen. „Vermutlich brauchten die das Zeug gerade selbst."

Miles drehte sich um. „Okay", antwortete er, „ich schaue mal, ob ich nebenan mehr Glück habe."
Wenn auch Cora nicht fündig wurde, sollte sich doch wenigstens ein Waschbecken und ein Lappen finden lassen. Frau Obhut war auch immer erst im Nebenraum verschwunden, um etwas zu holen, bevor sie seine Wunden versorgt hatte.

Er streckte die Hand nach der Tür aus, die im Gegenzug zum Schrank nicht verschlossen war. Vorsichtig drückte er sie auf und sah sich mit lauernder Schwärze konfrontiert. Natürlich. Überall in der Hochschule brannte Licht, nur hier hatte jemand daran gedacht, es auszumachen. Er trat über die Schwelle, um nach dem Lichtschalter zu tasten, als ihm etwas Hartes mit hoher Geschwindigkeit in die Eingeweide traf.

Die Welt verfinsterte sich schlagartig und kippte dabei um neunzig Grad. Jedenfalls erschien es Miles so, bis er realisierte, dass er gekrümmt auf dem Boden lag.

„Shit", keuchte er und verschränkte die Arme vor seinem Bauch, um einen weiteren Treffer in diese Gegend zu vermeiden. Sein Innerstes fühlte sich bereits jetzt schon an, als wäre es durch Kartoffelstampf ersetzt worden. Was hatte ihn nur erwischt?

„Miles?", hörte er eine weibliche Stimme über sich. „Oh, wow, tut mir leid, ich habe nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen."

Ein Engel trat aus der Finsternis. Miles lächelte selig.

Schritte hinter ihm, kündigten das Nahen seiner Freunde an.

„Sag, mal spinnst du?", hörte er Däx hinter sich blöken, bevor sich sein breites Gesicht in sein Sichtfeld schob. „Alles okay, Partner?"

„Ja, ja", bestätigte Miles träge, wobei er weiterhin auf den Engel starrte, der ihn mit besorgter Miene musterte.

„Hey, das wollte ich nicht", hörte er ihre Stimme. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass noch andere hier sind. Ich dachte eher, dass der, der für den Zustand der Hochschule verantwortlich ist, mich gefunden hat. Ich habe Miles im Gegenlicht nicht gleich erkannt."

„Das ist aber kein Grund, ihm sofort dieses Ding in die ... Warte ... du kennst Miles?"

Sie kannte ihn? Das musste sein Glückstag sein.

„Was hast du mit ihm angestellt?", ereiferte sich Däx weiter. „Er sieht aus, als stünde er unter Drogen."

„Ich weiß nicht, der Stab ist magisch und ..."

„Nah, ich glaube, das Problem liegt eher woanders." Das war Coras Stimme. Sie klang resigniert. Miles sah, wie sie sich neben ihn hockte und mit ihren Händen durch sein Blickfeld wedelte. „Huhu, reiß dich zusammen, Miles. Du kannst doch nicht wie ein Schlappschwanz vor deiner Freundin liegen."

Das Erbe des LichtbringersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt