Kapitel 42 | Rückzug I

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Sei dir zu jedem Zeitpunkt deines Lebens der dich umgebenen Magie bewusst. Nehme sie immer wahr, achte auf sie und lass sie nie zu einer Selbstvertändlichkeit wie die Luft zum Atmen werden. Wenn sie nämlich plötzlich fehlt, merkst du es vielleicht erst, wenn du sie verbrennen willst und es gibt nichts Gefährlichers für Magier, als einen Raum ohne Magie – von den Schatten einmal abgesehen."

- Worte eines Meisters an seinen Schüler



Die Tür schwang auf und präsentierte die schlanke, aber muskulöse Gestalt eines kubanischen Jungen. Bevor Miles auch nur ein Wort sagen konnte, hatte dieser bereits den Kopf über die Schulter gedreht.

„Karl!", rief er die schmale Treppe hinauf. „Ist für dich. Dein Kumpel ist da!"

Keine weitere Notiz von Miles nehmend wandte Däx' großer Bruder sich ab und hielt durch den Flur auf die Küche zu.

„Karl ist oben, kennst ja den Weg", sagte er nur mit dem Daumen über die Schulter deutend.

Miles nickte unnötigerweise und schloss die Haustür hinter sich. Die Fahrt auf dem Skateboard hatte ihn ein wenig beruhigt und seine Wut abkühlen lassen. Eigentlich hätte er zu Runenkunde gehen müssen, aber dort wäre er unter Garantie mit Winfried van Harzel aneinander geraten, so geladen, wie er gewesen war. Seine Abwesenheit war natürlich auch Mist ... was hatten Flip und Cora auch so stur sein müssen? Wenn sie einfach das Thema fallen gelassen hätten ...

Miles beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Er war schließlich hier, um runterzukommen.

Er lehnte sein Skateboard an die Garderobe und stieg dann die schmale Treppe empor, an dessen Ende ihn sein Kumpel bereits mit einem breiten Grinsen erwartete.

„Miles!", rief er. „Was machst du denn hier? Ich dachte, du bist beim Sozialtraining?"

„Ist ausgefallen", brummte Miles, ohne großartig zu überlegen.

Däx hob die Augenbrauen. „Alter, bist du immer noch schlecht drauf wegen dem Anschiss von der Wasabi heute Vormittag, oder weil du gerade umsonst in die Altstadt gefahren bist, eh?"

„Ein bisschen von beidem. Lass uns einfach zocken, okay?"

„Klar", sagte Däx ohne zu zögern und öffnete die Tür zu seinem Zimmer. „Ballern ist immer gut zum Abreagieren."

Miles grinste schwach. Das mochte er so an Däx. Er stellte keine Fragen, sondern akzeptierte, dass er einfach nur Zeit mit ihm verbringen wollte.

„Obwohl ich eigentlich mehr Lust hätte, Martin eins aufs Maul zu geben", setzte er hinterher. „Dieser Wichser ist heute Morgen echt zu weit gegangen. Wär die Wasabi eher vorbeigekommen, hätte er den Anschiss erhalten. Was meinst du, wollen wir mal nachholen, was die Lehrer verpasst haben?"

„Lass mal", sagte Miles einsilbig und trat an Däx vorbei ins Zimmer. „Der legt sich früher oder später von alleine auf die Fresse. Jetzt lass uns was zocken, ich brauch das gerade."

Däx schloss die Tür. „Sag mal, was bist du denn plötzlich für 'ne Pussy?", fragte der Kubaner angriffslustig. „Das können wir doch nicht einfach auf uns sitzen lassen! Sowieso ... Seit Beginn der Schule haben wir keine zwei Nachmittage zusammen abgehangen. Immer hast du keine Zeit, oder irgendwelche Ausflüchte und jetzt, wo du das ganz plötzlich brauchst, ist alles gut, eh? Wir reden immer weniger miteinander, seit du an die Hochschule musst. Du erzählst nichts mehr, anwortest so gut wie nie auf meine WhatsApp-Nachrichten und du wirst leicht jähzornig. Das pisst mich echt an, Alter!"

„Ah, tut es das?", fragte Miles herausfordernd. „Und weißt du, was mich anpisst? Dass du mich immer in irgendeine Scheiße reinreitest!"

„Ach, jetzt bin ich auch noch Schuld daran, eh?", rief Däx und baute sich einschüchternd vor ihm auf. „Du baust doch selbst genug Scheiße alleine! Ich weiß noch, wie du vor Mathe einmal sämtliche Kreide in Kondome gesteckt und diese zugeknotet hast, damit diese nicht in gefährlich näheren Kontakt mit der Tafel kommt. Und das alles, um uns vor einer schrecklichen Übertragungskrankheit namens „Wissen" zu schützen. Das war witzig, was stört dich also plötzlich daran? Das Nachsitzen und der blaue Brief haben dich damals nicht gejuckt."

Das Erbe des LichtbringersWhere stories live. Discover now