Kapitel 34 | Zahltag II

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„Was hast du ihr denn gekauft?", fragte Flip wenige Minuten später, während sie auf der Kante des Brunnens hockten und auf Cora warteten. Sie hatten Glück gehabt, denn anscheinend war die Gezeitenruferin ebenfalls noch in die Stadt gefahren, anstatt sich sofort auf den Weg nach Hause zu machen. Sie war einverstanden gewesen.

„Etwas, was ich mir diesen Monat eigentlich gar nicht mehr leisten kann", erwiderte Miles geheimnisvoll und verschwieg lieber die Tatsache, dass von kaufen eigentlich nicht die Rede sein konnte. Böse Zungen würden es „stehlen" nennen, was natürlich überhaupt nicht infrage kam, da Miles zufällig den entsprechenden Betrag „verloren" hatte. So war alles in Ordnung, obwohl Flip es bestimmt nicht verstanden hätte, weswegen Miles ihn auch nicht ins Vertrauen zog. Es musste eben anders gehen.

„Du wirst es gleich sehen", sagte er nur und trank seine Coke aus.

Flip nickte nur, wie immer, wenn er keine Konfrontation wünschte – was eigentlich ständig der Fall war. Dann deutete er die Straße runter.

„Da hinten kommt sie."

Beide erhoben sich und Miles bemerkte, wie das Lächeln in Coras Gesicht zurücktrat, als sie ihn sah.

„Was hat er denn hier zu suchen?", fragte sie als erstes an Flip gewandt. „Ich dachte, wir zwei wollten uns treffen – und nur wir zwei!" Etwas enttäuscht musterte sie den Empathen, der sich unter ihrem Blick sichtlich wand.

„Tun wir doch auch, aber ... hör ihm erstmal zu, ja?"

„Na schön." Bockig verschränkte sie die Arme und starrte Miles herausfordernd an, was ihn fast wieder zu einer bissigen Trotzantwort verleitet hätte. Er schluckte seinen Stolz gerade so hinunter, weil er sich immer noch etwas schuldig wegen Flip fühlte und seinem Freund nun den Gefallen der Versöhnung tun wollte.

„Cora, es tut mir leid, ich wollte dich gestern keinesfalls bloßstellen", brummelte er, während er schräg an ihrem Kopf hinwegschielte. Ich fühlte mich von dir ausgelacht und fand das ziemlich unfair, nachdem ... du weißt schon. Hier." Mit einem Griff zog er ein kleines Buch aus seiner Tasche hervor und reichte es Cora. „Dieses Yuri-Manga-Zeug gehört dir."

„Du hast ihr nicht ernsthaft ...?", fragte Flip etwas entsetzt, beendete den Satz aber nicht.

„Miles", seufzte Cora. „Denkst du nicht ich ... huh! Das sind ja ..."

Eilig öffnete sie ihre Tasche und stopfte das Heft hinein.

„Was?", fragte Flip misstrauisch.

„Och, ich formuliere es mal so", sagte Miles unschuldig. „Nun ist es mal zur Abwechslung ihr Bruder, der etwas in ihrem Zimmer finden könnte, um sie zu erpressen."

Ein leichter Hauch Farbe trat in ihr Gesicht, aber sie schien ihm die Aussage nicht krumm zu nehmen.

„Wenn der Nerd es denn mal verlassen würde. Da mache ich mir eher Gedanken um meine jüngere Schwester. Ich glaube, die sollte ihren ersten Yaoi Manga erst später in die Hände bekommen ..." Ihr Blick verhärtete sich wieder. „Ein Arsch bleibst du trotzdem."

„Hey, und was ist ...!", wollte er aufbrausen, unterbrach sich jedoch, als Flip ihm mit dem Ellenbogen anknuffte. „Ja, stimmt, ich war echt ein unsensibler Riesenarsch", murmelte er brummig. „Bitte sei nicht nachtragend. Ich vermisse unsere Blödeleien vor Kursbeginn bereits jetzt schon."

„Unterwürfigkeit?", erkannte Cora und hob überrascht die Augenbrauen. „Und das von dir, Miles. Das sollte ich ausnutzen! Du könntest meine Mathehausaufgaben für die nächste Woche machen, dann verzeihe ich dir vielleicht."

„Hey, er hat sich doch entschuldigt", ergriff Flip das erste Mal Partei für ihn, aber Cora war noch nicht fertig.

„Ich mach doch nur Spaß. Was das angeht frag ich lieber dich, Flip." Erstmals stahl sich ein versöhnliches Lächeln in ihr Gesicht. „Ich habe nicht bemerkt, dass ich dich mit den Sticheleien verletzt habe, Miles, das wollte ich nicht", sagte sie nun leiser. „Es tut mir leid, ich stand wohl etwas neben mir. Wenn das nächste Mal so was ist, wenn ich dir unbewusst zu nahe trete ... sag es einfach gleich, okay?" Sie umarmte ihn kurz mit ihrer freien Hand, woraufhin Flip ein erleichtertes „Na endlich", von sich gab.

Das Erbe des LichtbringersWhere stories live. Discover now