Kapitel 47 | Schattentanz I

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Der Telekinet

Als Telekinet wird ein Magier bezeichnet, der in der Lage ist, durch das Verbrennen von Magie kinetische Energie auf feste Stoffe auszuwirken. Somit gehört der Telekinet den sogenannten Aggregatmagiern (Telekinet, Gezeitenrufer, Sturmrufer) an.

- aus Leubrunners Lehrbuch der Magie; Kapitel 1.2 Begabte Magier



Magie knisterte, ballte sich wie eine zum Schlag ausholende Faust. Wie von Magneten konfrontierte Eisenspäne sammelte sie sich in dem Runenkreis, den der Hexenmeister mit Schafftlichs Schulkreide auf den Boden gemalt hatte. Innerhalb des magischen Zirkels wog die Luft schwerer, denn sie sog sich geradezu voll mit Magie. Ein außenstehender Betrachter, hätte den Raum, durch das hochkonzentrierte Feld verzerrt und den darin befindlichen Hexenmeister womöglich überhaupt nicht wahrgenommen.

Mit weit ausgebreiteten Armen schwebte er mehrere Handbreit über dem Boden und erfreute sich an der wohligen Spannung, die im Zentrum seines Ortes der Kraft herrschte. Es war wie ein Rausch für die Sinne, ein unvergleichbares Gefühl von Macht und Kraft, die den Körper wie Schokolade in einem Marmorkuchen durchzog.

Lehrbücher warnten vor diesem Zustand. An sich war der Aufenthalt in einem hochenergetischen magischen Feld nicht schädlich, da der Körper nicht mehr Magie aufnahm, als er in der Lage war. Gefährlich wurde es erst, wenn man bewusst versuchen wollte, die Magie in sich aufzunehmen. Im besten Fall starb man an multiplen Organversagen, im schlimmsten fand man sich bis zu einem Umkreis von hundert Metern verteilt auf der Straße wieder.

Dann, mit einem Geräusch, das man erhält, wenn man einen gurgelnden Abfluss mit einer unter Hochspannung stehenden Leitung kombiniert, normalisierte sich der Raum.

„Oooaaaaar", raunte der Hexenmeister und sank mit der Anmut eines schwarzen Engels zu Boden. Es war vollbracht! Sein persönlicher Ort der Kraft, ausgerichtet nur auf ihn und angereichert mit der Magie einer ganzen Stadt! Eine Quelle, mächtiger als das Grab des ersten Lichfürsten, mächtiger noch als der Erebos oder die Halle der Donnergötter. Magie, so rein und mächtig so perfekt – und sie war sein! Stand sie doch nun zu jeder Zeit und an jedem Ort zu seiner freien Verfügbarkeit!

Ein lautes Schnarchen unterbrach ihn in seinen erlauchten Gedanken.

Beleidigt wirbelte der Hexenmeister herum. Das unflätige Geräusch stammte von Schafftlich, der bäuchlings auf der Couch lag und der Zeremonie nicht die gebührende Aufmerksamkeit widmete. Wie sollte er auch? Er schlief.

Erzürnt hob der nun mächtigste Magier der Welt seinen Arm und sammelte knisternde Magie zwischen den metallenen Fingern seiner Handschuhe. Es war an der Zeit, dieses lästige Anhängsel loszuwerden.

Ein melodisches Geräusch hielt ihn in letzter Sekunde von seinem Vorhaben ab. Der Hexenmeister nahm die Magie zurück und das Knistern erstarb. Vielleicht sollte er besser warten. Noch konnte der lausige Schwarzmagier nützlich sein. Nach wie vor verwirrten ihn diese sogenannten Maschinen, die es in dieser Zeit zu Haufe gab. Schafftlich musste sie ihm erklären, jede einzelne!

Das Geräusch wiederholte sich. Immer wieder, im gleichmäßigen Abstand. Neugierig schlich der Hexenmeister auf den Flur und betrachtete das längliche Objekt auf dem kleinen Tisch. Ein rotes Licht leuchtete auf. Er hatte schon einmal gesehen, wie Schafftlich es benutzt hatte.

Langsam streckte er die Hand aus und zog das Objekt aus seiner Halterung, woraufhin das nervtötende Geräusch verstummte. Der Hexenmeister führte das Gerät an seinen Kopf. Ein Rauschen drang daraus hervor.

Das Erbe des LichtbringersWhere stories live. Discover now